Kiel. Schleswig-Holstein ist das einzige Landesparlament, in dem die AfD draußen bleibt. Was das mit dem Politikstil im Norden zu tun hat.
50.000 in Hamburg, 10.000 in Flensburg, 3500 in Henstedt-Ulzburg, 3000 in Pinneberg. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen. Menschen im Norden stehen auf gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit und demonstrieren gegen die AfD. Und am kommenden Wochenende geht es gleich weiter. Dann haben Veranstalter erneut Demonstrationen in mehreren norddeutschen Städten und Kommunen angemeldet.
Nach der Demo ist vor der Demo: Dem Parteienforscher Wilhelm Knelangen von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel mache es „Mut, dass so viele Menschen deutlich machen, dass sie um die Demokratie kämpfen und gegen die AfD aufstehen“. Das Abendblatt sprach mit dem Politikwissenschaftler über das Auseinanderdriften der Gesellschaft, die Politik der Regierungen in Berlin und Kiel und über die bundespolitische Rolle Daniel Günthers.
Knelangen spricht von einem „starken Signal“, das von den Demonstrationen ausgehe. Die Zustimmung zur AfD werde damit nicht gleich deutlich sinken, dafür gebe es zu viele Menschen, die extrem unzufrieden mit der Politik der demokratischen Parteien seien.
Die AfD ist bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein gescheitert
Schleswig-Holstein ist das einzige Bundesland, in dem es die AfD, die zuletzt bundesweit in Umfragen bei rund 22 Prozent Zustimmung lag, gar nicht erst in den Landtag geschafft hat. Das lag nicht zuletzt, sagen Experten, an der überdurchschnittlich hohen Zufriedenheit der Menschen im Norden mit dem Regierungskurs sowie dem unaufgeregten und weitgehend harmonischen Miteinander in der ehemaligen Jamaika-Koalition.
Dieses Bündnis ist zwar seit eineinhalb Jahren Geschichte. Seither regiert Günthers CDU in Schleswig-Holstein mit den Grünen. „Aus der eigenen Partei heraus wird erwartet, dass sich die CDU und auch der Ministerpräsident klarer positionieren. Und das tun Partei und Parteichef auch“, sagt Politikbeobachter Knelangen. Aber selbst, wenn Konflikte in einzelnen Sachfragen jetzt auch mal öffentlich ausgetragen werden – wie bei der Frage um einen Nationalpark Ostsee: Das Miteinander in der Koalition überwiegt immer noch eindeutig das Gegeneinander, die geräuschlose Politik überwiegt den Krawall. Kiel ist noch immer ein Gegenentwurf zu Berlin.
Verbreitete Auffassung: Diese Bundesregierung kann es nicht
„In der Bundespolitik erleben wir das genaue Gegenteil“, sagt Knelangen. Die Folge: „Ohne dass das immer mit Fakten belegt wäre, überwiegen Ablehnung, Hass und Misstrauen. Die Wahrnehmung scheint vielfach zu sein: Die in Berlin wissen nicht, wie wir leben und wie es uns geht“, sagt der Kieler Politikwissenschaftler. Als Beispiel dient ihm das Thema Heizungsgesetz.
Zu Beginn der Legislaturperiode habe die Ampel-Regierung mit einer großen Erzählung gepunktet. Knelangen spricht von einer „Transformationsagenda“ und meint die Idee, das Wirtschaftsmodell in einer nie dagewesenen Dimension klimaneutral umzubauen. Nur: Laut Knelangen war es „falsch so zu tun“, als ob man solche ambitionierten Klimaziele erreichen könne, ohne den Menschen weh zu tut.
Spätestens mit dem Streit um das Heizungsgesetz im vergangenen Jahr habe sich dann bei den Menschen die Auffassung verbreitet: Diese Bundesregierung kann es nicht. „Das Misstrauen in die Regierungsarbeit ist ganz weit verbreitet. Die Menschen sind unzufrieden mit den Leistungen der Politik. Es ist schwierig, diese Stimmung wieder einzufangen.“
Knelangen: Bundesregierung muss Gefühl eines Neubeginns vermitteln
Dafür bräuchte es laut Knelangen ein Gefühl von Neubeginn. Um die Stimmung auch mit Blick auf die drei Landtagswahlen in ostdeutschen Bundesländern wieder einzufangen, wo die AfD in den Umfragen aktuell klar vorne liegt, müssten „mehr Menschen den Eindruck gewinnen, es werden verlässliche, nachvollziehbare Entscheidungen vorbereitet und getroffen“.
Ein Grund der relativen Bedeutungslosigkeit der AfD im nördlichsten Bundesland machen Experten in Daniel Günthers Politikansatz aus. Der CDU-Politiker pflegt einen „konsensorientierten Stil“ (Forsa-Chef Manfred Güllner). „Wir feiern Erfolge gemeinsam, wenn wir sie gemeinsam erzielt haben. Wir gönnen dem anderen seine Erfolge. Und ich äußere mich auch nicht abwertend über andere politische Parteien. Ich freue mich, wenn das bei vielen Menschen gut ankommt“, hat Günther im Abendblatt-Interview gesagt. Zuletzt hatte der schleswig-holsteinische Regierungschef auch von seiner Partei öffentlich gefordert, nicht den billigen Vorteil zu suchen, in dem man die Arbeit der Bundesregierung immer nur schlecht mache.
Was in Schleswig-Holstein anders läuft
Günther betont - zum Beispiel in der Migrationsdebatte oder in der Frage nach sicheren Herkunftsländern von Flüchtlingen – sein eindeutig konservatives Profil, um kurz darauf „sein liberales Verständnis von Christdemokratie zu markieren“, sagt Knelangen. „Daniel Günther positioniert sich nicht nur klar zu landespolitischen Themen, sondern meldet sich auch stärker bei bundespolitischen Themen zu Wort - wie zuletzt bei Sandra Maischberger zum Thema AfD-Verbot. Seine Aussagen werden bundesweit registriert. Damit macht er deutlich, dass die CDU breiter aufgestellt ist als es der eher konservative Kurs von Friedrich Merz vermuten lässt“, sagt Knelangen.
Knelangens Urteil über die Arbeit des schwarz-grünen Kabinetts in Kiel fällt nicht so positiv aus wie seine Bewertung der Vorgängerkoalition. Bis Sommer 2022 hatte Günther mit einem Jamaika-Bündnis aus CDU, Grünen und FDP in Schleswig-Holstein regiert. „In der alten Konstellation konnte er relativ bequem abwarten, wie sich FDP und Grüne einander abarbeiten. Ich nehme zwar an, dass er auch damals dazwischengefunkt hat, aber das wurde nicht öffentlich“, sagte Knelangen. Günther sei in der Jamaika-Zeit als politischer Kopf mit eigenen Positionen eher unsichtbar geblieben. „Jetzt positioniert er sich klarer.“
Der Vorteil einer Dreierkonstellation als Regierung
Das habe auch damit zu tun, dass die CDU in der Zweierkoalition stärker eigenes Profil zeige. „Ein Beispiel ist der Nationalpark Ostsee. Beide Parteien hatten sich darauf geeinigt, zu prüfen, ob der sinnvoll ist. Noch bevor die Prüfung abgeschlossen wurde, hat die CDU versucht, Fakten zu schaffen und lehnte das Projekt ab, während der Konsultationsprozess noch lief. Das hat die Grünen und ihren Umweltminister verärgert“, sagt Knelangen.
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Er spricht davon, dass Schwarz-Grün nach einer „Phase der Hochstimmung zur Landtagswahl im Mai 2022 in den Niederungen angekommen ist. Das hat damit zu tun, dass weniger Geld zur Verfügung steht, um Auswege zu finden, wenn es zwischen den Parteien unterschiedliche Interessen gibt“, so Knelangen. Nicht nur in der Bundespolitik, auch in Schleswig-Holstein funktioniere vieles nicht gut, kritisiert er. „Die Leistungen der Schülerinnen und Schüler werden schwächer, aber es wird nicht erkennbar, was die Landesregierung hier tun möchte. Investitionen lassen lange auf sich warten. Der Bau der A20 klappt nicht. Die Bahn wird und wird nicht verlässlicher. Das schlägt auf die Stimmung im Land“, warnt der Politikwissenschaftler.