Jerusalem. Die schleswig-holsteinische Bildungsministerin traf bei einem Kurzbesuch Opfer des Hamas-Terrors. Welche Konsequenzen sie jetzt zieht.

Sie hat in dieser Woche die Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem besucht, Bildungsexperten in Tel Aviv getroffen, sich in Schulen mit geflüchteten Kindern ausgetauscht und Opfer des Terrorüberfalls der Hamas und deren Angehörige in Kibbuzen getroffen: Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien. Das Abendblatt erreichte eine sichtlich bewegte CDU-Politikerin auf der Rückreise nach Deutschland bei einem Zwischenstopp in Wien.

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Hamburger Abendblatt: Frau Prien, wie kam es zu diesem Kurzbesuch in Israel?

Karin Prien: Es war wichtig, als Kultusministerkonferenz Solidarität mit Israel zu zeigen und nicht nur Maßnahmenpakete für unsere Schulen zu beschließen. Das überschnitt sich mit der Einladung des israelischen Erziehungs- und Bildungsministers, der ausdrücklich um den Besuch von Erziehungsministern aus OECD-Ländern bat.

Was haben Sie sich von dem Besuch versprochen?

Es ging darum, Solidarität mit den Menschen in Israel zu zeigen. Und es ging darum, die israelische Perspektive noch besser zu verstehen, sie mit nach Deutschland zu bringen und dann hier Zeugnis abzulegen über das, was wir in Israel gesehen und gehört haben.

Und was haben Sie gehört? Sie haben Überlebende des Hamas-Terrorüberfalls und Angehörige von Opfern getroffen.

Wir haben mit Opfern des grausamen Überfalls am 7. Oktober gesprochen, mit der Mutter eines Ermordeten und dem Bruder einer Geisel. Wir sind in einen Kibbuz gefahren, den es besonders schlimm getroffen hat. Dort haben wir unvorstellbare Zerstörungen und die Auslöschungswut der Terroristen gesehen. Wir haben Schulen besucht, in denen geflohene Kinder unterrichtet werden. Aktuell gibt es rund 300.000 Binnenflüchtlinge in Israel, die ihre Städte an der Grenze zu Gaza und zum Libanon verlassen mussten. Und wir haben die Gedenkstätte Yad Vashem besucht, wo auch eine Schule für geflüchtete Kinder und Jugendliche eingerichtet wurde.

Wie haben Sie die Menschen wahrgenommen? Immer noch stark traumatisiert vom Überfall Anfang Oktober?

Unbedingt. Das Land kämpft einen Überlebenskrieg. Jeder Israeli ist betroffen. Jeder kennt einen Getöteten, ein Opfer oder einen Soldaten im Einsatz. Das Land ist sehr entschlossen, den Kampf gegen die Hamas zu führen und gleichermaßen alles zu tun, um die restlichen Geiseln zu befreien. Immer noch werden 130 Menschen von den Terroristen in Geiselhaft gehalten. Aber Israel ist auf der anderen Seite ein im tiefsten Mark erschüttertes Land. Das Versprechen Israels, ein sicherer Ort zu sein für jüdische Menschen, wurde gebrochen. Das merkt man den Menschen an.

Das Vertrauen der Israelis in ihre politische und militärische Führung ist verloren gegangen mit dem Überfall?

Den Eindruck habe ich. Die Gesellschaft war vor dem 7. Oktober schon tief gespalten angesichts der anstehenden Rechtsstaatsreform. Diese Spaltung ist nicht überwunden. Aber die Menschen stehen jetzt in einer unglaublichen Solidarität zusammen und sind sich einig, dass die Geiseln befreit werden müssen und die Hamas ausgeschaltet. Die Geiseln dürfen nicht vergessen werden – das ist die Botschaft, die man in Israel überall hört und sieht. Dass Menschen von hier in großer Zahl verschleppt wurden, trägt zu einer tiefen Traumatisierung in Israel bei.

Prien betont: 7. Oktober hat alte Traumata in Israel wieder hervorgebracht

Was bringen Sie von Ihrem Besuch in Israel mit zurück nach Deutschland? In ein noch tieferes Verständnis für die israelischen Reaktionen?

Bei mir hat sich die Erkenntnis vertieft, dass der 7. Oktober eine Zäsur ist. Das israelische Volk muss nicht zum ersten Mal in seiner Geschichte um die nackte Existenz kämpfen. Jüdinnen und Juden sind immer wieder von der Auslöschung bedroht gewesen, zuletzt in der Shoah. Der Überfall am 7. Oktober hat diese Traumata, die sich über Generationen hinweg gebildet haben, wieder hervorgebracht. Israel wird nach wie vor unablässig mit Raketen angegriffen. Die Menschen im Süden des Landes leben in einem permanenten Kriegszustand, nicht erst seit dem 7. Oktober. Aktuell wird sehr viel über das Leid in Gaza gesprochen. Aber die Situation Israels scheint in zeitlicher Entfernung zum 7. Oktober immer mehr in den Hintergrund zu rücken. Es ist meine Aufgabe, das wieder in den Vordergrund zu stellen.

Die Hamas hatte bei ihrem Überfall auf den Kibbuz Kfar Aza gezielt Kinder getötet. Wer den Terror hier überlebt hat, ist traumatisiert.
Die Hamas hatte bei ihrem Überfall auf den Kibbuz Kfar Aza gezielt Kinder getötet. Wer den Terror hier überlebt hat, ist traumatisiert. © Bildungsministerium / Daniel Ermes | Bildungsministerium

Das israelische Militär bekämpft die Hamas mit Bodentruppen und mit Luftangriffen. Die Hamas wiederum missbraucht die eigene Bevölkerung als Schutzschild. Das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung in Gaza ist enorm.

Ich empfinde für jedes Kind Mitgefühl, für jeden Zivilisten, für jedes Opfer dieser grausamen Auseinandersetzung. Ich wünsche mir humanitäre Unterstützung. Aber man darf Ursache und Wirkung nicht verwechseln. Wir haben es mit einer religiös-ideologisch fundierten Terrororganisation zu tun, die offensichtlich auch vom Iran unterstützt wird. Die Hamas will nichts anderes, als diesen Konflikt zu schüren. Dieses unmenschliche Kalkül geht auf, wie man an den Debatten in Deutschland sieht.

Was löst die israelische Bodenoffensive bei den Palästinensern im Gazastreifen aus? Treibt sie der Hamas neue Kämpfer regelrecht in die Arme?

Natürlich besteht die Gefahr. Viel wird davon abhängen, wie es weitergeht, wenn die eigentliche Bodenoffensive abgeschlossen ist. Welche Perspektiven für Gaza und das Miteinander werden entwickelt? Es muss neue Persönlichkeiten geben, die aufeinander zugehen. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass man für Gaza internationale Lösungen sucht, die zumindest eine Abwesenheit von Krieg garantieren. An sich könnte der Gazastreifen ein blühender Ort sein.

Prien auf Israel-Reise: Deutsche müssen immer die israelische Perspektive sehen

Ist eine Zwei-Staaten-Lösung noch realisierbar?

Es ist sicher nicht leichter geworden. Die Hamas hat die Annäherungen Israels mit einigen Nachbarn nach dem Abraham-Abkommen mit dem Überfall bewusst torpediert.

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Jetzt sind Sie nicht nur schleswig-holsteinische Bildungsministerin, sondern auch stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende. Was muss über die Bildungsinitiativen hinaus, die Sie für die Schulen im Norden schon auf den Weg gebracht haben, jetzt bei uns passieren?

Ganz besonders als Deutsche müssen wir immer die israelische Perspektive sehen und in die Welt tragen. Wir dürfen nicht zulassen, dass dieser andere Krieg, der im Augenblick stattfindet, nämlich der Propagandakrieg in den sozialen Medien, die Herzen der Menschen in Europa und Amerika zulasten Israels vergiftet. Dann müssen wir die Kontakte in der Zivilgesellschaft zwischen jungen Menschen hier und in Israel oder zwischen den Wissenschaftlern ausbauen. Man kann Israel auch besuchen. Es ist zwar ein Land im Krieg, aber Israel ist sehr routiniert darin, auch im Krieg der Zivilgesellschaft ihren Raum zu geben.