Kiel. Ringen um einen rechtskonformen Haushaltskurs. Neue Notkredite für 2023 und 2024. Landtag richtet Sondervermögen ein.

Die Nerven liegen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch im Kieler Landtag blank, die Ratlosigkeit, wie jetzt hohe Zukunftsinvestitionen finanziert werden sollen, ist groß. Von „asozialer grüner Politik“ war am Donnerstag in Zusammenhang mit der Energiewende im Parlament die Rede, wofür sich SPD-Fraktionschef Thomas Losse-Müller später entschuldigte.

Dann musste der Ältestenrat nach Zwischenrufen während einer Sitzungsunterbrechung die Wogen glätten. Die Tagesordnung geriet reichlich durcheinander. Beschlossen wurden dann doch noch zentrale finanzpolitische Weichenstellungen für die kommenden Monate.

Schleswig-Holstein: Parlament erklärt Notlage – Zwischenrufe stören Sitzung

So wurde in erster Lesung ein Gesetzentwurf über ein Sondervermögen für die Beseitigung der Schäden der Jahrhundertflut an der Ostsee vor vier Wochen auf den Weg gebracht. Zweitens erklärte das Parlament eine Haushaltsnotlage für dieses und dann gleich eine mit für das nächste Jahr.

Dadurch, glaubt zumindest Schwarz-Grün, können rechtskonform trotz Schuldenbremse neue Kredite aufgenommen werden. Und drittens bewilligte der Landtag 137 Millionen Euro als Investitionszuschuss. Mit dem Geld soll dem schwedischen Konzern Northvolt der Bau einer Batteriefabrik in Heide schmackhaft gemacht werden.

Das Urteil und die Folgen

Das Bundesverfassungsgericht hatte vor einer Woche eine Umwidmung von Krediten von 60 Milliarden Euro im Bundeshaushalt 2021 für nichtig erklärt – und damit die Finanzpolitik des Bundes und der Länder nachhaltig erschüttert. Die 60 Milliarden waren ursprünglich zur Bewältigung der Corona-Krise aufgenommen, aber nicht ausgegeben worden. Stattdessen wollte die Bundesregierung damit vor allem Klimaschutzmaßnahmen vorantreiben. Das hat das Bundesverfassungsgericht untersagt – mit weitreichenden Folgen auch für andere Sondervermögen des Bundes und die Haushaltspolitik der Länder, die regelmäßig nach dem „Prinzip Eichhörnchen“ nicht ausgegebene Kredite in Sondervermögen geparkt und erst später ausgegeben hatten.

Damit ist jetzt Schluss. Für Schleswig-Holstein heißt das: Was noch in Sondervermögen gebunkert wurde, soll Ende des Jahres zurückgezahlt werden. Um dann in Teilen – jetzt aber gesetzeskonform angesichts der vom Parlament beschlossenen Haushaltsnotlage – als neuer Kredit wieder aufgenommen zu werden. Die FDP hält das immer noch für „Trickserei“.

Um Investitionen in großem Stil in einen klimaneutralen Umbau des Landes überhaupt noch hinbekommen zu können, wird zunehmend die im Grundgesetz verbriefte Schuldenbremse infrage gestellt. Losse-Müller nennt sie einen „deutschen Fetisch. Wir müssen die Schuldenbremse reformieren, wenn der Staat funktionieren soll.“ Und Grünen-Fraktionschef Lasse Petersdotter fordert eine Neubeantwortung der Frage, ob der Staat Kredite überhaupt tilgen müsse. „Der Staat wächst aus den Schulden heraus“, sagte er.

Was wurde jetzt im schleswig-holsteinischen Landtag beschlossen?

1. Der „Wiederaufbaufonds Flutkatastrophe“

Experten schätzen den Schaden durch die Jahrhundertflut an der Ostsee auf rund 200 Millionen Euro. Das Wasser hatte Straßen und Wege zerstört, Häuser, Restaurants oder Campingplätze geflutet, Strände abgetragen, Kais und Häfen ruiniert und Deiche brechen lassen. Mit einem „Wiederaufbaufonds“ reagiert Schleswig-Holstein auf die massiven Zerstörungen. In den zahlen das Land und die Kommunen zu gleichen Teilen ein, Millionenhilfen vom Bund werden erwartet, sind aber noch nicht zugesagt.

Aus dem Fonds wird der Wiederaufbau der zerstörten öffentlichen Infrastruktur bezahlt. Betroffene Firmen und Familien können daraus zudem Darlehen bis 50.000 Euro bei einem Zinssatz von einem Prozent Zins beantragen. Besonderen Härtefällen versprach Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen am Donnerstag Beihilfen, die nicht zurückgezahlt werden müssen. „Von Montag an können die Menschen Anträge stellen“, kündigte Madsen an, schränkte aber auch ein: „Der Staat kann nicht alle Risiken abfedern.“

Abgelehnt wurde ein Antrag der SPD, allen stark Betroffenen eine nicht rückzahlbare Soforthilfe zu zahlen. Das hatte Nordrhein-Westfalen vor zwei Jahren getan und den Opfern der Ahrflut 5000 Euro überwiesen, so SPD-Fraktionschef Thomas Losse-Müller.

2. Die Haushaltsnotlage 2023 und 2024

Der Landtag hat am Donnerstag darüber hinaus offiziell eine Haushaltsnotlage für Schleswig-Holstein für die Jahre 2023 und 2024 erklärt. Das Vorgehen begründet Schwarz-Grün mit dem Aufeinandertreffen unterschiedlicher Krisen: Die Folgen von zunächst Corona, dann Putins Krieg in der Ukraine mit weitreichenden Konsequenzen für unsere Energieversorgung und schließlich die verheerende Ostseeflut hätten Schleswig-Holstein in eine Notsituation gebracht, die sich „der Kontrolle des Staates entziehe“. Die Landesregierung glaubt, mit dieser Argumentation rechtssicher neue Kredite aufnehmen zu können, um beispielsweise auch die Sanierung von Kliniken oder Schulen finanzieren zu können. Die FDP ist sich hingegen sicher: Das ist Rechtsbruch.

3. Die Beihilfe für Northvolt

137 Millionen Euro will Schleswig-Holstein dem schwedischen Konzern Northvolt zahlen, sofern der seine Fabrik für Batteriezellen für E-Autos mit 3000 unmittelbaren Arbeitsplätzen in Heide baut. Die 4,5 Milliarden Euro-Investition steht und fällt mit staatlichen Zuschüssen. So hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck - vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts - mehr als 600 Millionen Euro Beihilfen fest zugesagt. Aus welchem Topf die jetzt kommen sollen, ist völlig unklar.

Auf den Bundeszuschuss hat das Land kaum Einfluss, aber zumindest hat Schleswig-Holstein am Donnerstag seine Zusage auf neue und, wie man hofft, rechtskonforme Beine gestellt.


Einen Antrag der SPD auf ein weiteres Sondervermögen von gleich mehr als zehn Milliarden Euro zur klimagerechten Transformation des Landes (wir berichteten) halten die anderen Fraktionen für verfassungswidrig, mit den inhaltlichen Forderungen daraus soll sich aber der Finanzausschuss weiter beschäftigen.