Kiel. Wohnungen, Deiche, Straßen, Hafenanlagen und Sandstrände zerstört. Was das Land macht und was die Opposition jetzt fordert.
Überflutete Landstriche, gebrochene Deiche, verwüstete Häfen, gesunkene Yachten. Die Sturmflut vor einer Woche hat an Teilen der schleswig-holsteinischen Ostsee ein Bild der Zerstörung hinterlassen. Die Schäden summieren sich geschätzt auf mehr als 100 Millionen Euro. Auf wie viel genau, weiß im Moment noch niemand. Deshalb will das Land Schleswig-Holstein jetzt eine Plattform freischalten, auf der in erster Linie die Kommunen hinterlegen sollen, was bei ihnen zerstört wurde und wie hoch die Schäden sind. Das sagte Innen- und Katastrophenschutzministerin Sabine Sütterlin-Waack dem Abendblatt. Am kommenden Mittwoch wollen Ministerien und Kommunen dann auf dieser Basis in einer Krisensitzung ihr weiteres Vorgehen beraten.
Schon jetzt steht fest, wem wie geholfen werden soll. Menschen, die ihr Zuhause versichert hatten, sollen zügig einen Überbrückungskredit erhalten. Damit will das Land lange Wartezeiten auf das Geld von Versicherungen verhindern, wenn die Flut beispielsweise wie in zahlreichen Schleswiger Häusern das „Hab und Gut der Bewohner zerstört hat“, wie Sütterlin-Waack sagt.
Sturmflut an der Ostsee sorgt für schwere Schäden: Schleswig-Holstein legt Härtefallfonds auf
Menschen, für die Versicherungen gar nicht angeboten worden waren, sollen Geld aus einem Härtefallfonds des Landes erhalten, möglicherweise, ohne dass eine Rückzahlung fällig wird. Zudem gewährt das Land über einen Katastrophenerlass Schleswig-Holsteinern Steuererleichterungen, die einen materiellen Schaden durch Sturm oder Wassermassen erlitten haben.
Woher die vielen Millionen Euro kommen sollen, die das hoch verschuldete Land in die Hand nehmen will, ist noch unklar. Finanzreserven gibt es keine, eventuell muss ein neuer Notkredit her. Jedenfalls soll das Geld schnell fließen. „Wir geben unser Möglichstes, damit die Menschen schnell Hilfe bekommen. Dass das geht, haben wir in der Pandemie bewiesen“, sagte Sütterlin-Waack.
Ministerpräsident Daniel Günther bittet Bundeskanzler Olaf Scholz um Hilfe
Allerdings erinnert die CDU-Politikerin auch an die Enttäuschungen nach der Ahr-Flut: Nach solchen Katastrophen werde schnell unbürokratische Hilfe zugesagt. Dann aber dauere die Abwicklung länger, als es die Menschen erhofften. „Was ich verspreche, ist, dass wir mit Hochdruck daran arbeiten“, sagte die CDU-Politikerin, die wie ihr Ministerpräsident auch auf Hilfe durch den Bund setzt, worum Daniel Günther Olaf Scholz in einem Brief gebeten hat.
Die größte Herausforderung für Land und Kommunen stellt laut Sütterlin-Waack die zerstörte Infrastruktur dar. So wurden Deiche, Straßen, Gebäude, Hafenanlagen, Kais und Strände von der für die Ostsee so untypischen Sturmflut zerstört. „Viele, auch ich, haben die Kraft der Ostsee unterschätzt. Die Wucht des Meeres hat Deiche durchbrochen, Sandstrände existieren nicht mehr, wo vorher welche waren, Boote türmten sich wie auf Schiffsfriedhöfen. Und vor allem gibt es Menschen, die alles verloren haben“, sagt Sütterlin-Waack aus eigener Anschauung. Sie hatte ihren Urlaub abgebrochen und in den Tagen nach der Flut mehrere stark betroffene Orte an der Ostsee besucht.
Nach Sturmflut an Ostsee: Mit diesen Kosten rechnen Versicherungen
Allein die norddeutsche Provinzial-Versicherung schätzt ihren Regulierungsaufwand für Sturmschäden auf 10 bis 12 Millionen Euro. „Rund 2000 Schäden sind uns infolge des Sturm- beziehungsweise Sturmflutgeschehens mittlerweile gemeldet worden, insbesondere an Gebäuden, Booten und Pkw“, sagte ein Sprecher des nach eigenen Angaben Marktführers für Wohngebäudeversicherungen im Norden.
Die Hamburger Pantaenius Yachtversicherung rechnet laut einer ersten Sichtung mit 400 Schadensfällen wegen beschädigter oder gesunkener Yachten. „An den Hotspots sind sicherlich 30 Prozent davon Totalverluste“, sagte Vertriebsleiter Dirk Hilcken der Deutschen Presse-Agentur. Er schätzt, dass an der gesamten deutschen Ostseeküste rund 2000 Yachten Opfer der Sturmflut geworden sind. „Die Lage ist für uns fast apokalyptisch.“
Bundesfinanzminister Christian Linder nach Sturmflut an Ostsee eingeschaltet
Auch wenn viele Schäden über solche Versicherungen abgedeckt sind – Tausende Schleswig-Holsteiner dürften auf ihren Kosten sitzen bleiben. So fordert der einzige SSW-Bundestagsabgeordnete Stefan Seidler finanzielle Hilfen des Bundes für die Menschen im Norden. „Wir müssen in dieser Notsituation zusammenstehen. Aus meiner Sicht ist es ein Gebot der Menschlichkeit, den Betroffenen unter die Arme zu greifen und Existenzen zu retten“, so Seidler. Da der Bund nach der jüngsten Steuerschätzung mit zusätzlichen Milliarden-Einnahmen rechne, sei eine „angemessene Hilfe geboten, möglich und finanzierbar“, sagte der SSW-Bundestagsabgeordnete.
Sönke Rix, SPD-Bundestagsabgeordneter für Rendsburg-Eckernförde, sieht die schwarz-grüne Landesregierung von Schleswig-Holstein in der Verantwortung. Sie müsse mit den finanziellen Hilfen zur Beseitigung der Schäden „in die Puschen kommen. Kredite reichen nicht aus. Die originäre Zuständigkeit hat nun einmal das Land“, so Rix. Er habe aber auch Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) in einem Brief „die Drastik der Schäden umfassend erläutert“ und um Geld für die Menschen im Norden gebeten.
Was die Opposition nach Sturmflut an Ostsee im Landtag fordert
SPD-Fraktionschef Thomas Losse-Müller forderte, den Wiederaufbaufonds des Landes „rasch zu konkretisieren und der Größe der Aufgabe entsprechend auszustatten.“ Der Hochwasserschutz an der Ostsee und der Katastrophenschutz im Land müssten gestärkt werden. „Das kann das Land über ein Sondervermögen finanzieren.“ Darum dürfte es auch in einer Sondersitzung des schleswig-holsteinischen Landtages am kommenden Freitag gehen.
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Der Fraktionschef der FDP im schleswig-holsteinischen Landtag, Christopher Vogt, forderte schnellstmögliche Verbesserungen des Küstenschutzes. „Dies wurde damals auch nach der Jahrhundertflut 2013 in der Stadt Lauenburg zugesagt und hier hat das Umweltministerium nach über zehn Jahren noch nicht viel Sichtbares vorangebracht, was natürlich für Frust bei den Betroffenen sorgt.“ (mit lno)