Kiel. Wie Schleswig-Holstein nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts um die Ansiedlung einer „Gigafactory“ mit Tausenden Jobs kämpft.

Für Schleswig-Holstein ist es das Zukunftsprojekt schlechthin, von dem man sich nicht weniger als den ersten großen Schritt in Richtung eines klimaneutralen Industrielandes verspricht. Heute würde man wohl von einem Gamechanger sprechen, von einer kompletten Veränderung der Infrastruktur an der schleswig-holsteinischen Westküste. Bei Heide, also zwischen Windrädern, Kohlfeldern und Nordsee, plant der schwedische Konzern Northvolt seine „Gigafactory“, also die klimaneutrale Produktion von Batteriezellen.

3000 Jobs verspricht man sich im infrastrukturell schwachen Kreis Dithmarschen, Tausende weitere bei Zulieferern und Dienstleistern – und damit einen Boom an der Westküste. Von einem „neuen Kapitel schleswig-holsteinischer Wirtschaftsgeschichte“ war die Rede, als die größten Hürden aus dem Weg schienen. Nur: Jetzt steht das Projekt wieder auf der Kippe. Wie es weitergeht und wie Schleswig-Holstein das Projekt zu retten versucht.

Northvolt: Investitionen von mehr als vier Milliarden Euro

Northvolt kalkuliert bei der Fabrik in Heide mit Kosten von rund 4,5 Milliarden Euro. Bei solchen Größenordnungen sind hohe Beihilfen durch Bund und Land gang und gäbe. Zuletzt hatte sich der schwedische Konzern mit Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) auf mehr als 700 Millionen Euro Zuschuss geeinigt. Dazu kommt ein Darlehen des Bundes („Wandelanleihe“) an Northvolt, für das Bund und Land zu gleichen Teilen bürgen. Der Kredit ist längst in „trockenen Tüchern“, die Beihilfen schienen es auch.

Doch jetzt droht ein höchstrichterliches Urteil die Überweisungen und damit das Großprojekt zu stoppen. Das Bundesverfassungsgericht hat vergangene Woche eine Umschichtung von 60 Milliarden Euro im Bundeshaushalt von 2021 für null und nichtig erklärt. Ursprünglich war der Kredit aufgenommen worden, um die Pandemie und ihre Folgen zu bekämpfen. Was nicht ausgegeben wurde, packte die Bundesregierung in den Klima- und Transformationsfonds (KTF).

Mehr als 600 Millionen Euro hatte der Bund Northvolt aus diesem Topf für Klimaschutzmaßnahmen versprochen. On top sagte Schleswig-Holstein 137 Millionen Euro zu. Das Problem auf Landesseite: Auch Schleswig-Holstein wollte seinen Anteil aus einem umgeschichteten Kredit zahlen. Und das ist mit dem Urteil tabu.

Landtag soll Mittwoch oder Donnerstag Notlage erklären

Soweit die aktuelle und höchst dynamische Gemengelage. Und wie geht es jetzt weiter? Schleswig-Holstein verstärkt nochmals den Kampf um die Ansiedlung. Am Dienstag beriet sich das Kabinett zum drohenden Aus der Batteriefabrik. Am Mittwoch und Donnerstag soll der Landtag auf Initiative von CDU und Grünen den Landeszuschuss retten. Parallel gab es hinter den Kulissen zuletzt mehrere Krisentelefonate zwischen Kiel, Berlin und Stockholm.

Offiziell sprechen will keiner der Beteiligten. Aber: Alle geben sich trotz der dramatischen Folgen des Urteils zuversichtlich. So sagt Ministerpräsident Daniel Günther: „Wir stehen zu unserem Ziel, das Ansiedlungsvorhaben von Northvolt finanziell zu unterstützen. Es ist von höchster industriepolitischer und klimapolitischer Bedeutung. Die gemachten Zusagen werden wir einhalten. Das Ziel ist klar, der Weg wird in enger Abstimmung mit dem Bund gegangen“, so Günther, ohne konkret zu werden.

„Es gibt keinen Grund, an den Zusagen zu zweifeln“, sagt auch Northvolt-Sprecher Martin Höfelmann. Schon jetzt hat sein Unternehmen in Heide einen „signifikanten“ Betrag investiert, um Bauern die Flächen abzukaufen, eine Gaspipeline zu verlegen und knapp 50 Menschen extra für das Projekt einzustellen.

Northvolt in Heide: Was die Beteiligten hoffen lässt

Aber gibt es wirklich keinen Grund für Zweifel? Was Kiel (Landesregierung) und Stockholm (Northvolt) optimistisch stimmt: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wissen um die Wucht der Finanzierungszusage.

Halten sie ein öffentlich gegebenes Versprechen nicht ein, ist das Signal nicht nur, dass die Ansiedlung von Northvolt scheitert, sondern, dass eine Zusage der Bundesregierung an internationale Konzerne nichts wert ist. Cancelt der Bund die versprochene Beihilfe, muss er sich die nächsten Jahre nicht mehr um ausländische Investitionen in Chipfabriken oder Batteriezellenwerke in Deutschland bemühen.

Und Schleswig-Holstein? Hier bringt Schwarz-Grün gleich zwei Anträge in die dreitägige Sitzung des Landesparlaments ein, um das Projekt zu retten. Antrag 1 zielt darauf ab, eine Haushaltsnotlage für 2023 und 2024 offiziell zu erklären. Mit Antrag 2 sollen die Northvolt zugesagten 137 Millionen Euro Rechtssicherheit bekommen. Die Begründung der schwarz-grünen Regierungsfraktionen: Der russische Angriffskrieg habe nicht nur eine Energiekrise ausgelöst, sondern auch klargemacht, dass der „unabdingbare Weg zur Energiesouveränität“ beschleunigt werden müsse.

Ende des Jahres soll es einen Schnitt geben

Und dazu könne man in diesem Jahr noch nicht verbrauchte Ukraine-Gelder nehmen. Ende des Jahres soll es aber einen „Schnitt“ (CDU-Fraktionschef Tobias Koch) bei dieser Art der Haushaltsführung geben. Schwarz-Grün wolle dann sämtliches Geld, das noch aus Notkrediten stammt, zum Schuldenabbau nutzen, um dem Urteil gerecht zu werden. Die Folge: Voraussichtlich benötigt Schleswig-Holstein 2024 dann aber den nächsten Notkredit.

Kritik an diesem Vorgehen kommt von der Opposition. „Die Tricksereien müssen ein Ende haben“, sagte FDP-Fraktionschef Christopher Vogt. Für seine Partei ist klar: „Die Northvolt-Ansiedlung ist kein Notfall, sondern ein Glücksfall.“ Und deshalb müssten die 137 Millionen Euro Zuschuss auch aus dem Haushalt kommen und nicht aus Notkrediten, fordert Vogt.

Northvolt-Debatte: Warnung vor neuen Schulden

Ebenso kritisch sieht der Landesrechnungshof die Haushaltspolitik. „In den vergangenen Jahren gab es eine inflationäre Aufnahme von Notkrediten, die dann in Rücklagen und Sondervermögen für die späteren Jahre geparkt wurden“, kritisiert Rechnungshofpräsidentin Gaby Schäfer. Das sei rechtswidrig. Schäfer sieht das Land in der Pflicht, „wieder einen verfassungsgemäßen Haushalt aufzustellen und darüber dann die Beihilfe zu finanzieren“.

„Man muss mit den Einnahmen auskommen“, sagte Rechnungshofpräsidentin mit Blick auf die steigenden Zinsen. Schleswig-Holstein zahlt für neue Kredite inzwischen einen Zins von rund drei Prozent. „Aktuell liegt die Zinslast im Jahr bei rund 480 Millionen Euro, 2030 droht der Betrag auf eine Milliarde Euro zu steigen“, warnt Schäfer vor neuen Schulden.

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Ursprünglich sah Northvolts ambitionierter Fahrplan einen Baustart noch in diesem Jahr vor. Ziel ist, dass die Fabrik 2026 die ersten Batteriezellen herstellt. Ist die Produktion hochgefahren, soll jährlich rund eine Million E-Autos mit Batteriezellen aus Heide versorgt werden.