Kiel. Viele brechen die Ausbildung ab oder treten sie erst gar nicht an. Studienplätze sind unbesetzt. Was das Land sagt, was die GdP fordert.
Die Prognosen verheißen nichts Gutes. Allein in Schleswig-Holstein werden bis zum Jahr 2035 rund 180.000 Arbeitskräfte fehlen. Bereits in sechs Jahren können im nördlichsten Bundesland 130.000 Stellen im Handel und Handwerk, in der Pflege oder in Verwaltungen nicht mehr besetzt werden – das wäre jeder zehnte Arbeitsplatz.
„Der Wettkampf um geeigneten Nachwuchs in öffentlichen Dienstbereichen und der freien Wirtschaft ist voll entbrannt“, sagt Torsten Jäger. Er ist der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Der nächste schleswig-holsteinische Polizeijahrgang startet zwar erst im Sommer, aber die Bewerbungen gehen nach Informationen der GdP nur sehr schleppend ein. „Wir fürchten, dass es im kommenden Jahr schwierig werden könnte, alle Ausbildungs- und Studienplätze des dringend gebrauchten Nachwuchses zu besetzen“, sagt Jäger.
Personalsorgen bei Schleswig-Holsteins Polizei: Viele brechen Ausbildung ab
Die Personalsorgen bei der Polizei – nicht nur in Schleswig-Holstein – verschärfen sich durch hohe Abbrecher- und Ausfallquoten beim Nachwuchs. Während selten ausgebildete Polizisten kündigen und in die Privatwirtschaft wechseln – das Innenministerium weiß von 28 Beamtinnen und Beamten seit 2018 –, brach zuletzt immerhin jeder Fünfte die Ausbildung bei der schleswig-holsteinischen Polizei ab oder trat sie trotz Zusage erst gar nicht an.
Die Gründe sind vielfältig. So entscheiden sich Anwärter dann doch für ein Studium, andere merken, dass Polizist zu sein nicht der richtige Beruf für sie ist, wieder andere überfordert der Job – gesundheitlich, mental oder durch hohe Anforderungen. Die Folge: 2022 konnte die Polizei im Norden nicht mehr alle Studienplätze besetzen.
Imagefilme, Radiospots und Anzeigen sollen für Polizeidienst werben
In diesem Jahr sah es dann schon wieder besser aus: 395 junge Frauen und Männer wollte die Landespolizei im Sommer 2023 einstellen, um alle frei werdenden Posten wieder zu besetzen und zusätzliche Stellen aufzubauen. Darin einkalkuliert war schon die hohe Abbrecherquote in der Ausbildung. 409 junge Frauen und Männer wurden dann tatsächlich eingestellt, mehr als geplant.
„Dies wurde möglich durch die gute Qualität der Bewerbenden, durch die Anstrengungen der an der Ausbildung beteiligten Stellen und schließlich durch den politischen Willen, die Landespolizei mit einem guten personellen Fundament zu versehen“, sagt Jana Reuter, Sprecherin der Kieler Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU).
Die Zeit, in denen sich eine Polizei nicht bemühen musste und aus den Bewerbungen nur die besten auswählen konnte, ist vorbei. Imagefilme im Internet und im Kino, Spots im Radio oder Anzeigenkampagnen in Tageszeitungen sollen Interesse an einem Job als Polizistin oder Polizist wecken. Einstellungsberater sind auf Messen im ganzen Land unterwegs, die Polizei arbeitet mit den Arbeitsagenturen zusammen, wirbt bei der Bundeswehr.
Polizei Schleswig-Holstein betreibt Eigenwerbung auf Eisbahnen und am Strand
„Relativ neu sind Live-Chats, Podcasts, Polizei-Poetry-Slam und der Einsatz von Ausbildungsbotschafterinnen und -botschaftern, die sich aus Anwärterinnen und Anwärtern rekrutieren“, sagt Ministeriumssprecherin Jana Reuter. Sie spricht von werbewirksamen Events. So präsentiert sich eine „coole“ Polizei im Sommer bei Strand- und im Winter bei „Ice-Touren“.
Ein weiterer Schwerpunkt wird auf die Bewerberbindung gelegt. Bewerber, die man für geeignet hält, bekommen bis zur Einstellung einen Polizei-Azubi als Ansprechpartner an die Seite gestellt und werden schon vor Dienstantritt zum „Welcome-Day“ eingeladen.
All diese Bemühungen honoriert die Polizeigewerkschaft, sie gehen der GdP aber nicht weit genug. „Die Landespolizei braucht dringend Nachwuchs als Ersatz. Wir als GdP fordern zudem zusätzliche 600 Stellen. Es bedarf enormer Kraftanstrengungen“, sagt Torsten Jäger. Die Polizeigewerkschaft regt deshalb neben einer deutlichen Gehaltserhöhung weitere neue Anreize an. GdP-Chef Jäger zählt Beispiele auf, die er „Denkanstöße“ nennt: So könnte ein kostenloser Führerschein Teil der Ausbildung sein; die Polizei könnte Bewerber bei der Wohnungssuche unterstützen, und sie könnte Homeoffice ermöglichen.
Polizisten auf den Nordseeinseln erhalten bis zu 600 Euro extra
Auf einen der „Denkanstöße“ ist die Polizei längst eingegangen. Das Problem, bezahlbare Wohnungen zu finden, stellt sich nicht nur am Hamburger Rand, in Kiel oder Lübeck. So zahlt das Land Polizistinnen und Polizisten, die auf den Nordseeinseln leben und arbeiten, zusätzlich bis zu 600 Euro im Monat. Angesichts hoher Mieten spricht Jana Reuter von einer „besonders prekären Situation“ auf Sylt oder Föhr.
Dieser Inselbonus reicht der SPD im schleswig-holsteinischen Landtag nicht aus. Polizisten arbeiteten im Norden im Ländervergleich relativ viel für relativ wenig Geld, sagt Innenexperte Niclas Dürbrook. Er kritisiert: „Der angekündigte Sparkurs der Landesregierung führt zu einer Menge Unsicherheit in der Polizei.“
Als Beispiele nennt Dürbrook die stockenden Tarifverhandlungen und ausstehende Beförderungen. „Trotz des Personalaufbaus in den vergangenen Jahren ist die Arbeitsbelastung noch immer sehr hoch, wie auch der Überstundenberg zeigt. Trotz der Haushaltslage wird es darum zusätzliche Stellen für die Polizei brauchen, zum Beispiel für den Aufbau einer zweiten Einsatzhundertschaft“, sagt Dürbrook.
GdP blickt „sorgenvoll“ in die Zukunft
Mit ihren rund 400 Neueinstellungen pro Jahr in der jüngeren Zeit hat die schleswig-holsteinische Polizei auch auf den Abschied der Babyboomer aus dem Dienst reagiert. Vom Jahr 2025 sollen die Einstellungszahlen dann wieder auf 200 bis 250 pro Jahr sinken. Das korrespondiert dann mit den geplanten Pensionierungen.
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Auch wenn der Bedarf an Bewerbern sinkt, die GdP blickt dennoch „sorgenvoll in die Zukunft“, sagt deren Landeschef Torsten Jäger. Ein Grund ist der aktuelle Tarifstreit und das „Verhalten der Arbeitgeber der Länder. Das trägt nicht zur Attraktivität bei“, so Jäger.
Auch die Ankündigung der Landesregierung, das Ergebnis der Tarifverhandlungen wohl nur zeitverzögert auf die Besoldung zu übertragen, hält Jäger für falsch. „Es bedarf dringender Kurskorrekturen und auch eines finanziellen Kraftaktes. Die GdP hat dazu auf Bundes- und Länderebene den Vorschlag eines milliardenschweren Sondervermögens innere Sicherheit gemacht.“