Hamburg/Kiel. Das Thema schien längst abgeräumt – ist es aber nicht. Im Mittelpunkt der Kritik steht jetzt der Bund. Aber auch im Norden droht neuer Ärger
Zwischen den Bundesländern Hamburg und Schleswig-Holstein sowie dem Bund bahnt sich neuer Streit um die Schlickverklappung in der Nordsee an. Im Mittelpunkt der Kritik der beiden grünen Politiker Jens Kerstan (Umweltsenator in Hamburg) und Tobias Goldschmidt (Umweltminister in Kiel) steht zuforderst Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP). Sein Ministerium und die zuständige Wasser- und Schifffahrtsdirektion trieben eine dauerhafte Lösung nicht voran, wo das Baggergut aus dem Hamburger Hafen über den Standort bei Tonne E3 bei Helgoland hinaus in der Nordsee verklappt werden könne, kritisieren die beiden Umweltpolitiker im gemeinsamen Gespräch mit dem Abendblatt.
Die Folge: Die Verklappung von mehreren Hunderttausend bis zu einer Million Tonnen Baggerguts aus dem Hamburger Hafen allein in diesem Jahr sind noch ungeklärt. Und deshalb droht neuer Ärger auch zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein. Denn irgendwohin muss der Dreck aus dem Hafen schließlich hin. Eine Möglichkeit, die Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) nie ausgeschlossen hat, wäre, den Schlick vor der zu Hamburg gehörenden Vogelschutzinsel Scharhörn ins Meer zu kippen. Das will Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) vermeiden: „Ich möchte als Umweltsenator so wie meine Amtskollegen nicht vor Scharhörn verklappen.“
Man habe mit den Nachbarländern vereinbart zu prüfen, ob es Alternativen zu Scharhörn gebe. „Wenn aber keine andere Option gefunden wird, könnte es aus Sicht der Hafenverantwortlichen und des Bürgermeisters wieder auf Scharhörn hinauslaufen“, glaubt Kerstan. Und damit auf breiten Widerstand aus Kiel.
Hafenschlick – Nordsee „darf nicht die Zeche zahlen“
„Eine Verbringung bei Scharhörn lehnen wir klipp und klar ab“, sagt Tobias Goldschmidt. Das schleswig-holsteinische Parlament habe sich hier einstimmig positioniert. „Wir haben geliefert“, sagt Goldschmidt und meint die Vereinbarung zur Verklappung bei Tonne E3. Die liegt vor Helgoland. „Die Wünsche von Hamburg, Sediment zu verbringen, muss sich an den Realitäten orientieren. Weitere Belastungen des Weltnaturerbes Wattenmeer müssen ausgeschlossen werden. Deshalb sehe ich die Verbringung von Sedimenten zum Neuen Lüchtergrund durch den Bund ebenfalls kritisch. Auch hier bräuchte es größere und vor allem nachhaltigere Lösungen. Unsere Meeresumwelt braucht mehr Schutz“, zieht Goldschmidt Grenzen.
Seine Kritik: Wesentliche Arbeitsaufträge, die man sich im vergangenen Dezember gegeben habe, seien nicht erledigt worden, so auch vom FDP-geführten Bundesverkehrsministerium. Deshalb ist für mich ganz klar: Wenn noch mehr Sedimente verbracht werden müssen, sollte nicht Schleswig-Holstein und schon gar nicht die Meeresumwelt die Zeche dafür zahlen“, kritisiert Goldschmidt.
Kerstan fordert einen besseren Schutz der Nordsee
Sein Parteifreund Kerstan, eingebunden in die rot-grüne Senatsdisziplin, drückt sich in der Kritik etwas diplomatischer aus. Er sorge sich ums Wattenmeer und die Nordsee insgesamt, sagt Kerstan. Es werde Schlick eingebracht, es werde nach Öl und Gas gebohrt. „Neben aller Standort- und Wirtschaftspolitik müssen wir auch den Schutz des Meeres im Blick haben. Das macht eine Verständigung nicht einfacher.“
Um eine mögliche Verständigung geht es an diesem Mittwoch, wenn sich die Chefs der Kieler und Hannoveraner Staats- und der Hamburger Senatskanzlei zu einem weiteren Schlickgipfel treffen. Streitpunkt der Runde ist, wie groß das sogenannte Delta ist, also wie viel zusätzlicher Schlick tatsächlich aus dem Hafen gebaggert und irgendwo vor der schleswig-holsteinischen Westküste abgekippt werden muss. Hamburg und der Hafen haben den Wunsch, Defizite aus der Vergangenheit abzuarbeiten. Deshalb streitet man sich aktuell, ob tatsächlich eine weitere Million Tonnen aus dem Hafen gebaggert werden oder ob man das Vorhaben auch strecken kann. Jens Kerstan: „Aber klar ist: Hamburg braucht bis Ende des Jahres eine weitere Stelle zur Verklappung, sonst bekommt der Hafen Probleme.“
Länder appellieren gemeinsam an den Bund
Kerstan und Goldschmidt appellieren im gemeinsamen Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt an den Bund und insbesondere an die Wasser- und Schifffahrtsdirektion, mehr Tempo bei der Genehmigung der Verklappung in der sogenannten Außenwirtschaftszone zu machen. „Dann würden wir das Problem endgültig lösen und verhindern, dass die Sedimente immer wieder aufs Neue über die Elbe in den Hafen gelangen. Das wäre die beste Lösung, die von allen Nordländern akzeptiert würde“, sagte Kerstan. „Ich höre wohl, dass der Bund hier etwas tun möchte. Aber praktisch passiert hier zu wenig. Das ist ungünstig – weil wir sonst wieder in den alten Konflikt zwischen Hamburg und den Nachbarländern laufen und Hamburg handeln muss.“
Schleswig-Holstein hatte im Sommer Hamburg vertraglich zugesichert, die nächsten zehn Jahre jährlich bis zu zwei Millionen Tonnen Baggergut aus dem Hafen bei Tonne E3 abkippen zu dürfen. Dort ist die Nordsee rund 30 Meter tief. Im Kieler Umweltministerium gilt die Erlaubnis lediglich als die „beste aller schlechten Lösungen“. Diese Genehmigung lässt sich Schleswig-Holstein übrigens gut bezahlen: Für jede Tonne des getrockneten Schlicks sind zwischen 5 Euro und 7 Euro fällig. Mit den Einnahmen finanziert Schleswig-Holstein Maßnahmen zum Schutz des Wattenmeers und der Biodiversität.
Beide für Reform der Netzentgelte
Nicht nur bei der Schlickthematik, sondern auch in der Energiepolitik erhöhen Kerstan und Goldschmidt gemeinsam den politischen Druck. Ende dieser Woche tagt die Energieministerkonferenz in Wernigerode. Im Vorwege der Herbstsitzung fordern die beiden grünen Politiker im Abendblatt erneut die Reform der sogenannten Netzentgelte.
Vereinfacht ausgedrückt, kostet Strom dort am meisten, wo erneuerbare Energien intensiv genutzt werden. Da Schleswig-Holstein im Ausbau der Windenergie bundesweit führend ist, zahlen die Menschen hier also erheblich höhere Netzentgelte als beispielsweise in Bayern, das sich laut Kerstan dem Ausbau regenerativer Energien verweigere.
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Aber auch die Hamburger Stromkunden profitieren von der geltenden Regelung, weil im Stadtstaat erneuerbare Energien im Vergleich zum Nachbarland kaum Bedeutung haben und der Platz für Windräder begrenzt ist. Bei einer Reform der Netzentgelte würde Strom in Hamburg noch „etwas“ (Kerstan) teurer. Dennoch ist er dafür. „Ein Land wie Schleswig-Holstein kann diese Last nicht allein tragen. Das können wir als Nachbarland nicht ignorieren.“ Aber durch die Kooperation der Nordländer werde es an anderer Stelle für Hamburg auch günstiger, sodass am Ende beide Seiten profitierten, glaubt Kerstan.
„Wir sind uns einig, dass die Netzentgelte reformiert werden müssen, auch wenn die Interessenlagen von Hamburg und Schleswig-Holstein sehr unterschiedlich sind“, sagt Tobias Goldschmidt. Das wolle man gemeinsam bei der Energieministerkonferenz nochmals forcieren. „Ich erwarte eine Reform der Netzentgelte noch im vierten Quartal dieses Jahres.“
Der Hamburger Jens Kerstan ist übrigens begeistert von der Energiepolitik im Nachbarland: „Ich bin schon sehr beeindruckt, wie schnell Schleswig-Holstein beim Ausbau der erneuerbaren Energie vorangeht. Mittlerweile produziert das Land ein Vielfaches des eigenen Bedarfs.“ Schleswig-Holstein hat in vielen Punkten vorgelegt, wir müssen jetzt noch nachziehen.