Kiel. Der Fraktionschef über deutliche Stimmenverluste bei den jüngsten Wahlen, die Haushaltssperre und wie Schwarz-Grün „Politik simuliert“

Auf den Moment dürfte er ein Jahr lang gewartet haben. Auf den Moment, an dem die schleswig-holsteinische Landesregierung ihm, dem Oppositionsführer, die Tür zur Attacke öffnet. Mit ihrer Entscheidung, eine Haushaltssperre zu verhängen, hat Schwarz-Grün das getan, Vereine, Sozialverbände und Gewerkschaften verunsichert oder gegen sich aufgebracht. Thomas Losse-Müller, Fraktionschef der bei der Landtagswahl im Mai 2022 auf Platz 3 zurückgefallenen SPD, blickt im Abendblatt auf die Folgen sinkender Steuereinnahmen für die Harmonie in der Koalition – und auf seine eigene gebeutelte Partei.

Hamburger Abendblatt: Herr Losse-Müller, sind Sie zu vornehm oder sprechen Sie zu technokratisch? Ihr Vorvorgänger als SPD-Fraktionschef, Ralf Stegner, hat Sie zwar nicht mit Namen genannt, aber gemeint, als er im Abendblatt über den Zustand der Nord-SPD gesprochen hat.

Thomas Losse-Müller: Diskussionen werden im Moment sehr hitzig geführt. Das führt oftmals zu Verkürzung und Zuspitzung. Ich halte das für falsch. Zum Beispiel lässt sich die Frage des Klimaschutzes nicht einfach mit einem Ja oder Nein beantworten. Die Frage lautet vielmehr: Wie gestalten wir diesen sozial gerecht? Die Beantwortung dieser Frage braucht Erklärungen – und das erfordert Mühe. Ich bin dafür, dass der Staat Wärmenetze baut und die Menschen mit ihrem Heizproblem nicht alleinlässt. Wie das funktioniert, muss man erklären.

Schleswig-Holstein: Schwarz-Grün in „schwierigem Zustand“

Ralf Stegner fordert „klare und verständliche Botschaften“ von der SPD ein, um die Menschen zu erreichen. Werden Sie künftig klarer Attacke fahren gegen die Regierungspolitik?

Wir müssen erklären, warum unsere Konzepte besser sind. Aber ich halte es für absolut falsch, durch Attacken die Spaltung der Gesellschaft noch weiter zu befeuern.

Ralf Stegner nennt die Lage der SPD in Schleswig-Holstein „bedrohlich“. Hat er recht?

Alle, denen die SPD am Herzen liegt, wünschen sich, dass wir besser dastehen. Bei der Kommunalwahl haben wir immerhin ein besseres Ergebnis erzielt als bei der Landtagswahl. Wir haben Boden unter den Füßen, auch wenn das Ergebnis uns nicht zufriedenstellen kann. Die Aufgabe ist klar: Wir müssen unsere neuen Ideen im Land bekannt machen. Daran arbeiten wir.

„Haushaltssperre war Aktionismus“

Sie betonen, dass das Ergebnis besser war als das bei Wahl der landesweit. Aber Sie haben keine Großstadt gewonnen. Sie sind in Flensburg hinter dem SSW gelandet. Sie haben gegenüber der Kommunalwahl 2018 noch mal fast vier Prozentpunkte verloren. Welche Konsequenzen ziehen Sie?

Das Beispiel Eckernförde zeigt, dass wir gewinnen können. An den positiven Beispielen im Land müssen wir uns orientieren. Unser Anspruch bleibt, inhaltlich zu überzeugen. Wir haben vielleicht die etwas kompliziertere Antwort. Dafür wissen wir aber auch, dass sie funktioniert. Das wird auch wieder mehr Menschen von der SPD überzeugen.

Blicken wir auf Ihre politischen Gegner. CDU und Grüne haben mit ihrer nur 14 Tage geltenden Haushaltssperre die Menschen im Land, die Vereine, Verbände, Gewerkschaften verunsichert. Was war das: Panikmache? Aktionismus? Oder ein Signal an die eigenen Leute, das Geld zusammenzuhalten?

Aktionismus und eine vollkommene Fehleinschätzung der Lage. Das zeigt auch die Tatsache, dass die Haushaltssperre nach zwei Wochen schon wieder aufgehoben wurde. Schwarz-Grün ist in einem schwierigen Zustand.

Nehmen die Konflikte in der Koalition zu?

Erwarten Sie, dass in den Zeiten knapper Kassen die Konflikte zwischen Schwarz und Grün stärker und wahrnehmbarer werden?

Absolut. Wenn die Grünen mit ihrer Klimaschutzpolitik Erfolg haben wollen, müssen sie dafür sorgen, dass sich alle Menschen im Land Klimaschutz leisten können. Dafür braucht es massive Investitionen in Infrastrukturen, in Bus und Bahn, Ladeinfrastruktur, in Wärmenetze. Dieses Geld will die CDU nicht in die Hand nehmen. Auf diesen Widersprich muss die grüne Finanzministerin eine Antwort geben.

Wenn Konflikte zwischen CDU und Grünen offen zutage treten, statt sie mit Geld zu lösen – könnte die SPD davon profitieren?

Wir als Opposition profitieren natürlich davon, dass es eine schwache Landesregierung gibt. Aber es geht aktuell nicht um die Frage, welche Partei eine kurzfristige Chance hat. Es geht darum, wie wir dieses Land zukunftsfähig aufstellen und dabei die Gesellschaft zusammenhalten. Statt gegen die Krisen anzusparen, müssen wir in die Zukunft investieren: Wir müssen Fachkräfte gewinnen, viel mehr bauen, um die Wohnungsnot zu lindern und die Energiewende durch öffentliche Investitionen für alle bezahlbar machen.

Sondervermögen statt Haushaltskürzungen

Aber die Einnahmen sinken massiv, gleichzeitig steigen die Ausgaben des Landes. Es wird doch gar nicht ohne Haushaltskürzungen funktionieren.

Es gibt Wege, die andere Länder schon gehen, um die finanziellen Mittel zu mobilisieren. Das muss nicht immer über den Landeshaushalt sein. Investitionen sind auch über Sondervermögen möglich. Das haben wir auch in Schleswig-Holstein im vergangenen Jahr erneut genutzt. Das sind Lösungsansätze, die ich angesichts der Klimakrise und den damit verbundenen sozialen Verwerfungen von einer grünen Finanzministerin erwarte. Aber sie ist offensichtlich nicht bereit dazu.

Was sind aus Sicht des Oppositionsführers die größten Versäumnisse in einem Jahr Schwarz-Grün?

Die Landesregierung hat keine Idee vorgelegt, wie sie dieses Land weiterentwickeln will. Sie simuliert Politik. Wir haben Wohnungsnot in Schleswig-Holstein, und der Ministerpräsident verteilt bei einem schönen Fototermin Obdachlosenzeitungen vor einem Kaufhaus. Aber gleichzeitig tut Schwarz-Grün nichts dafür, den kommunalen Wohnungsbau anzukurbeln, der das Problem lösen könnte. Also: Es gibt viel Show, aber keine Antwort auf die großen Probleme.

Fraktionschef in Schleswig-Holstein: „Wir sind bereit, Verantwortung zu übernehmen“

Der grüne Fraktionschef erwartet vor dem Hintergrund der veränderten Finanzlage „Verteilungskämpfe“ zwischen CDU und Grünen. Hält die Koalition noch vier Jahre, wenn es schwieriger wird zu haushalten?

Die Koalition hat einen großen Willen, an der Macht zu bleiben. Sie ist bereit, ihre Konflikte durch nette Fotos zu übertünchen. Sollten aber die Grünen einfordern, dass die Regierung ihr Klimaziel 2040 ernsthaft verfolgt, dann glaube ich tatsächlich, dass Schwarz-Grün am Ende wäre. Mit der CDU ist das nicht zu machen.

Und dann stünden Sie bereit?

Wir stehen da, wo wir stehen. Wir machen Politik, die unsere Gesellschaft zusammenhält und in die Zukunft investiert. Wir stehen für sozialen Klimaschutz, den alle bezahlen können. Wenn jemand diese Politik mit uns gemeinsam machen will, sind wir immer bereit, Verantwortung zu übernehmen.