Scharbeutz. Scharbeutzer sind unzufrieden mit den vielen Urlaubern. Gemeinde und Touristiker gehen auf die Einheimischen zu
Wie können Einheimische beliebter Küstenorte an Nord- und Ostsee und Touristen in Zukunft gut oder besser miteinander klarkommen? Das möchte die Gemeinde Scharbeutz in der Lübecker Bucht gemeinsam mit den Touristikern vor Ort klären und geht als eine der ersten Küstenorte in den offenen Dialog mit den Bürgern. Das Ergebnis der Gespräche ist ermutigend.
„Menschen zieht es immer schon ans Meer, und jeder Mensch hat naturgegeben Bedürfnisse. Genau hieraus kann in touristisch beliebten Orten Konfliktpotenzial entstehen und egal aus welcher Perspektive man es betrachtet, verstehen kann man jeden – die einen, die Erholung brauchen und sie am Meer finden, und die anderen, die sich ein bisschen mehr Ruhe im Heimatort wünschen“, so Doris Wilmer-Huperz von der Tourismus-Agentur Lübecker Bucht (TALB).
Ostsee: 48 Prozent der Scharbeutzer genervt von Touristen
Obwohl die Mehrheit um die Bedeutung des Tourismus für ihre Gemeinde weiß, ist fast die Hälfte der befragten Scharbeutzer gleichzeitig genervt von den Gästen. Das war das Ergebnis einer Online-Befragung unter 1314 Einheimischen, die im November 2022 vorgestellt wurde.
Die Umfrage hatte ergeben, dass 96 Prozent der Scharbeutzer gerne in der Gemeinde leben. 82 Prozent der Befragten schätzen die Bedeutung des Tourismus für den Ort auch als hoch ein, und die eindeutige Mehrheit der Befragten (74 Prozent) sieht für Scharbeutz auch eher positive Effekte – und doch empfinden 48 Prozent der Befragten den Tourismus in seinen Auswirkungen auf die eigene Lebenssituation als negativ.
Scharbeutzern sind Verkehr und Lebensqualität ihrer Kinder wichtig
Doris Wilmer-Huperz: „Die Einwohner und Einwohnerinnen kennen ihren Ort sehr gut, und ihre Wahrnehmung von Spannungsfeldern zwischen dem „Urlaubsort“ und „Heimatort“ ist von großem Stellenwert.“
Daher wurde von der Gemeindeverwaltung gemeinsam mit der Tourismus-Agentur Lübecker Bucht der Scharbeutzer Dialog ins Leben gerufen – die Politiker und Touristiker wollen in Aktion treten, statt die Befürchtungen und auch die Unzufriedenheit der Einheimischen wegen der vielen Gäste einfach hinzunehmen.
Ostsee: Scharbeutz – Tempo-100-Straße wurde Tempo-50-Bereich
Zwischen dem 10. Januar und dem 20. Februar 2023 beteiligten sich 167 Scharbeutzer mit mehr als 650 Beiträgen an diesem Online-Dialog, der drei Themenbereiche behandelte: Mobilität und Verkehr, Lebensqualität sowie Kinder und Jugendliche in Scharbeutz.
Und Ergebnisse liegen aus den Befragungen nun auch vor: So wurde dem Bürgerwunsch entsprechend ein Tempo-100-Bereich im Speckenweg in einen Tempo-50-Bereich umgewandelt, die Konzeption eines Jugendparlaments läuft, die Gemeinde hat einen Klimaschutzmanager eingestellt und der Jugendtreff in Haffkrug wurde neu eröffnet.
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Ostsee: Gespräche zur Tourismusakzeptanz in Schleswig-Holstein einmalig
So ein Vorgehen zur Tourismusakzeptanz hat es im Tourismus in Schleswig-Holstein noch nicht gegeben. Statt Ferienwohnungen wie auf Sylt zu verbieten, geht die Gemeinde hier mutig in den Dialog mit dem Ansatz: „Ihr seid unzufrieden? Jetzt wollen wir es genau wissen.“
André Rosinski, Vorstand der TALB: „Mit dem Scharbeutzer Dialog haben wir schnell auf die Ergebnisse der Tourismusakzeptanzumfrage reagiert und fundiert herausarbeiten können, welche Maßnahmen aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger nun abgeleitet werden sollten.“
Ostsee: Gespräche mit Scharbeutzern sollen fortgeführt werden
Bei der Online-Kommunikation allein soll es nicht bleiben, echte Begegnungen und Gespräche sind der Gemeinde und der TALB wichtiger. Ein kleiner Teil der Scharbeutzer, die bei der Umfrage online mitgemacht hatten, traf sich daher nun persönlich mit den Touristikern und Politikern im Haffhus in Haffkrug zum direkten Austausch.
Als vorrangige Themen zeigen sich unter anderem die Mobilität durch den ÖPNV, die Sicherheit auf Schulwegen, die Ortsgestaltung und vor allem die hohe Zahl an Zweitwohnungen und Ferienunterkünften. Dieses Thema zwischen Einwohnern und Touristikern bleibt heikel.
„Klar ist, dass ‚höher, schneller, weiter‘ nicht mehr funktioniert, und im Scharbeutzer Dialog hat sich gezeigt, was nie aus der Mode kommt: sich wirklich zuzuhören und gemeinsam, sachlich und engagiert nach Lösungen zu suchen“, sagt Touristikerin Doris Wilmer-Huperz. Die Gespräche mit den Scharbeutzern sollen fortgeführt werden.