Kiel/Rendsburg. Christdemokraten beschließen bei Klausurtagung Strategiepapier. Warum die SPD Daniel Günther für die Vorschläge kritisiert.

Schleswig-Holsteins CDU will mit gezielter Zuwanderung und einer besseren Integration Geflüchteter dem Mangel an Fachleuten und anderen Arbeitskräften begegnen. Dazu sollen bürokratische Hürden sinken. Bei einer Klausurtagung beschlossen die Spitzengremien der Partei am Wochenende in Rendsburg ein Strategiepapier. Zu den Zielen gehören das Anwerben ausländischer Arbeitskräfte, eine höhere Frauen-Erwerbsquote und flexible Anreize für Ältere, länger zu arbeiten.

„Wir erleben im Alltag immer häufiger die Auswirkungen unbesetzter Stellen, sei es im Restaurant, in der Arztpraxis oder bei der hohen Auslastung im Handwerk. Schon heute ist der Fachkräftemangel mit Händen zu greifen“, erläuterte der CDU-Landesvorsitzende Daniel Günther. Die Herausforderungen seien riesengroß, sagte Bildungsministerin Karin Prien. Die CDU verweist auf 30.000 unbesetzte Stellen allein in Schleswig-Holstein. Das ist erst der Anfang: Bis 2035 müsse das Bundesland 300.000 Arbeitskräfte gewinnen.

Daniel Günther nennt als Ziel: 90.000 ausländische Arbeitskräfte

Bundesweit sei der jährliche volkswirtschaftliche Schaden durch Fachkräftemangel in Deutschland nahezu so groß wie das komplette Bruttoinlandsprodukt Schleswig-Holsteins. Und das liegt immerhin bei rund 100 Milliarden Euro. Die Folge: „Wir verlieren jeden Tag Wohlstand“, sagte Günther.

Um gegenzusteuern, sieht das CDU-Papier vor, Arbeitslose besser zu befähigen, auf dem „Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, die Erwerbsquote bei Frauen deutlich zu steigern und älteren Menschen Anreize zu bieten, länger zu arbeiten“. Aber das alleine werde nicht reichen: „Wir müssen gezielt Fachkräfte aus dem Ausland anwerben.“ Günther nannte als Ziel die Zahl von 90.000 ausländischen Arbeitskräften. Um das hinzubekommen, brauche es eine Willkommenskultur.

CDU in Schleswig-Holstein will das Aufenthaltsrecht reformieren

Deshalb will die CDU das Aufenthaltsrecht reformieren und Verfahren vereinfachen. „Dazu gehört die Verbesserung der Einreise-, Aufenthalts- und Beschäftigungsmöglichkeiten für Arbeitskräfte aus Drittstaaten ohne formale Berufs- oder akademische Ausbildung.“ Zudem soll eine Kampagne „mit internationaler Strahlkraft“ den Standort bewerben. Ausländische Abschlüsse sollen leichter anerkannt und ein früherer Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit möglich werden. Laut Günther werde das Land in diesem Jahr ein Welcome Center eröffnen, um die gezielte Zuwanderung zu vereinfachen.

Massive Kritik am Ergebnis der CDU-Klausur kommt von der Landes-SPD. In den vergangenen fünf Jahren in Regierungsverantwortung habe die CDU die Sicherung von Fachkräften komplett versäumt, kritisierte SPD-Chefin Serpil Midyatli. Sie listete die aus ihrer Sicht größten Versäumnisse auf: Die CDU habe das Bürgergeld bekämpft, obwohl damit Langzeitarbeitslose besser zu qualifizieren seien; Schleswig-Holstein habe eine der höchsten Schulabbrecherquoten bundesweit; Berufsabschlüsse im Bereich der Medizin, in Pflegeeinrichtungen und Kitas müssten schneller unbürokratischer anerkannt werden; es fehle an Krippen- und Kitaplätzen. „Familien brauchen Verlässlichkeit, damit sie Familie und Beruf vereinbaren können“, sagte SPD-Chefin Midyatli.

SPD-Chefin Midyatli: CDU bietet nicht die Lösung, sondern ist das Problem

Während Daniel Günther eine Willkommenskultur für Fachkräfte einfordere, mache die CDU auf Bundesebene oder in der Hauptstadt „menschenverachtenden Vornamen-Wahlkampf und faselt von Sozialtourismus“. Midyatlis Fazit: Die CDU biete in der Fachkräftepolitik nicht die Lösung, sondern sie sei das Problem.

Neben der Anwerbung von Fachkräften im Ausland sollte Deutschland nach Einschätzung von Experten auch stärker auf die Potenziale älterer Menschen setzen. Um Innovationsstärke, Produktivität und Wachstum der deutschen Volkswirtschaft aufrechtzuerhalten, brauche es die Innovationspotenziale der Älteren. So steht es im Jahresgutachten der Expertenkommission Forschung und Innovation, das vergangene Woche an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) übergeben wurde.

Zahl der Erwerbstätigen verringert sich bis 2060 um fast zehn Millionen

Die Experten weisen darauf hin, dass sich die Zahl der Erwerbstätigen laut Statistischem Bundesamt bis 2060 um fast zehn Millionen auf etwa 31,5 Millionen verringern wird. Gleichzeitig steigt der Anteil der Älteren in der Bevölkerung wegen steigender Lebenserwartung.

„Älteren sollten attraktive und flexible Wege eröffnet werden, um über den Ruhestand hinaus länger im Erwerbsleben bleiben zu können“, heißt es im Gutachten. Ruheständlern, die zurück ins Arbeits­leben kommen wollen, könnten beispielsweise befristete Verträge angeboten werden, da ein besonderes Schutzbedürfnis hier nicht erkennbar ist.