Brokstedt/Kiel/Hamburg . Attacke hat in Hamburg parlamentarisches Nachspiel. Die beiden Todesopfer waren ein frisch verliebtes Paar. Die News im Überblick.

Zwei junge Menschen sind tot, zwei Fahrgäste des Regionalzugs von Kiel nach Hamburg sind lebensgefährlich verletzt, drei schwer und weiter beschäftigt die Frage nach dem Warum die Menschen. Der Täter, Ibrahim A., 33, laut Innenministerium ein staatenloser Palästinenser, der Polizei durch etliche Straftaten bekannt, griff offenbar völlig unvermittelt und willkürlich die Passagiere an. Und erst wenige Tage vor der Tat war er aus der Untersuchungshaft in Hamburg entlassen worden.

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Nach Messerattacke: Videoüberwachung in allen Waggons gefordert

Nach dem Messerangriff in einem Regionalexpress in Brokstedt mit zwei Toten und mehreren Verletzten sprechen sich der Fahrgastverband Pro Bahn und die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer GDL für mehr Sicherheitsmaßnahmen in Zügen aus.

„Wir fordern einen flächendeckenden Ausbau der Videoüberwachung in allen Waggons“, zitieren die „Lübecker Nachrichten“ Karl-Peter Naumann von Pro Bahn. Das könne Kriminalität in den Zügen womöglich nicht immer verhindern. „Es hilft aber in jedem Fall, die Täter zu fassen. Und das ist insbesondere für die Opfer von hoher Bedeutung.“

Die GDL trifft dem „LN“-Bericht zufolge in Kürze mit der landeseigenen Verkehrsgesellschaft Nah.SH, um über die Konsequenzen aus dem Angriff zu beraten. „Wir fordern schon seit Langem mehr Sicherheitsmaßnahmen in den Zügen“, sagte der GDL-Bezirksvorsitzende Hartmut Petersen der Zeitung zufolge. Laut Dennis Fiedel von Nah.SH verfügen alle neueren Regionalzüge, die seit 2015 im Einsatz sind, über Videotechnik, wie die „Kieler Nachrichten“ am Samstag schreiben. Doch der RE 70, in dem sich die Messerattacke abspielte, war dem Bericht zufolge ein Ersatzzug ohne Videoaufzeichnung.

Messerattacke im Zug: Angreifer schwieg beim Haftrichter

Nach der Messerattacke in einem Regionalzug bei Brokstedt in Schleswig-Holstein hat der mutmaßliche Täter beim Haftrichter-Termin keine Aussagen zur Sache gemacht. Dort habe er geschwiegen. Nach Vorliegen von Ermittlungsergebnissen werde er mit seinem Mandanten sprechen, sagte Anwalt Björn Seelbach am Sonnabend.

Der 33-jährige staatenlose Palästinenser war am Mittwoch nach dem Messerangriff als dringend tatverdächtig festgenommen worden. Bei der Tat starben zwei Menschen, fünf wurden schwer verletzt. Gegen den Mann wurde Haftbefehl wegen zweifachen Mordes und versuchten Totschlags in vier Fällen erlassen. Der 33-Jährige war nur wenige Tage vor der Tat aus der Untersuchungshaft entlassen worden.

Spurensicherer des Landeskriminalamtes am RE70 im Bahnhof von Brokstedt. Bei der Messerattacke in dem Regionalzug von Kiel nach Hamburg sind zwei Menschen getötet und mehrere verletzt worden.
Spurensicherer des Landeskriminalamtes am RE70 im Bahnhof von Brokstedt. Bei der Messerattacke in dem Regionalzug von Kiel nach Hamburg sind zwei Menschen getötet und mehrere verletzt worden. © AFP

Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV), Thomas Oberhäuser, verneinte am Sonnabend im Deutschlandfunk die Frage, ob Justiz und Verwaltung die Tat hätten verhindern können. Er verwies auf rechtliche Abwägungen und Vorgaben in Untersuchungshaft-Fällen.

Justiz und Verwaltung hätten allenfalls die Tat dadurch verhindern können, dass sie ihn weiterhin in Untersuchungshaft gehalten hätten, so Oberhäuser. „Aber da hat die Justiz entschieden, dass das unverhältnismäßig gewesen wäre angesichts der ihm vorgeworfenen Tat.“

Ibrahim A. saß bereits seit Januar 2022 in U-Haft, da er einen Mann in einer Obdachlosenunterkunft mit einem Messer verletzt hatte. Ein Amtsgericht verurteilte ihn dafür im August wegen gefährlicher Körperverletzung und Diebstahls zu einem Jahr und einer Woche Haft. Dagegen hatte A. Berufung eingelegt. Kurz vor Ablauf der Strafmaßes wurde der Haftbefehl am 19. Januar 2023 aufgehoben.

Die beiden Opfer waren ein frisch verliebtes Paar

Dass durch die Messerattacke zwei junge Menschen ums Leben kamen, sorgt überall für Entsetzen. Besonders tragisch: Nach übereinstimmenden Medienberichten waren die beiden ein frisch verliebtes Paar. Das 17-jährige Mädchen und der 19-jährige Mann sollen erst eine Woche vor der schrecklichen Tat zusammengekommen sein.

Andacht für Opfer von Messerattacke in Brokstedt

Mit einer Andacht in der Brokstedter Kirche haben zahlreiche Menschen der Opfer des Messerangriffs mit zwei Toten und fünf Verletzten in einem Regionalzug in Schleswig-Holstein gedacht. Die Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Brokstedt hatte dazu eingeladen. Von der schleswig-holsteinischen Landesregierung kamen die stellvertretende Ministerpräsidentin und Finanzministerin Monika Heinold (Grüne), Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) und Sozialministerin Aminata Touré (Grüne) in die kleine Gemeinde im Kreis Steinburg.

Vor der Kirche in Brokstedt gedachten am Freitagabend viele Menschen der Opfer der Messerattacke im Zug.
Vor der Kirche in Brokstedt gedachten am Freitagabend viele Menschen der Opfer der Messerattacke im Zug. © dpa

Insgesamt versammelt sich Beobachtern zufolge rund 500 Menschen in und vor der Kirche, wo Bänke aufgestellt waren. Nach der Andacht, bei der auch den zahlreich erschienenen Helfern und Rettungskräften gedankt wurde, entzündeten Besucher etwa 200 Kerzen und stellten sie im Freien auf.

Messerattacke im Zug hat parlamentarisches Nachspiel in Hamburg

Die tödliche Messerattacke in einem Regionalzug im schleswig-holsteinischen Brokstedt und der Umgang der Behörden mit dem mutmaßlichen Täter haben ein parlamentarisches Nachspiel. Der Justizausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft wird sich in der kommenden Woche mit dem Fall befassen. In Düsseldorf soll der Rechtsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Das Motiv des Tatverdächtigen ist unterdessen weiter unklar.

Ibrahim A., ein 33 Jahre alter staatenloser Palästinenser, war in der Vergangenheit sowohl in NRW als auch in Hamburg mit Gewaltdelikten aufgefallen. Erst eine Woche vor der Bluttat im Regionalzug war er in Hamburg aus Untersuchungshaft freigekommen.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte am Donnerstag diesbezüglich bereits Fragen aufgeworfen. Auch müsse geklärt werden, „warum Menschen, die so gewalttätig sind, noch hier in Deutschland sind“, hatte sie bei einem Besuch in Brokstedt gesagt. Hamburgs Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) hat angekündigt, am kommenden Donnerstag im Justizausschuss zu den Hamburger Aspekten der Tat zu berichten.

Die Fraktionen von SPD und FDP in NRW betonen in ihrem Antrag für eine Sondersitzung des Rechtsausschusses am kommenden Dienstag, dass A. „ein justizbekannter Mehrfachstraftäter“ sein soll, der in der Vergangenheit „insbesondere auch in Nordrhein-Westfalen bereits in erheblichem Maße auffällig geworden sein soll“. Sie erwarten von der Landesregierung „einen umfassenden schriftlichen Bericht zu den Tatvorwürfen und den Strafverfahren, die gegen den mutmaßlichen Täter in der Vergangenheit in Nordrhein-Westfalen aktenkundig geworden sind“.

Täteranwalt erhebt Vorwürfe gegen Hamburger Behörden

Der Verteidiger des Messerangreifers von Brokstedt in Schleswig-Holstein hat ein terroristisches Motiv seines Mandanten ausgeschlossen. „Ich gehe sicher davon aus, dass er kein politisches oder religiöses oder terroristisches Motiv in sich trägt“, sagte Rechtsanwalt Björn Seelbach am Freitag der Deutschen Presse-Agentur.

Er habe Ibrahim A. im Bonner Raum, wo der Palästinenser von 2015 bis 2020 lebte, bereits bei kleineren Strafverfahren wegen Körperverletzung, Sachbeschädigung, Ladendiebstahl und Verkehrsdelikten vertreten, sagte Seelbach. In jener Zeit und später während der Untersuchungshaft in Hamburg seien bei seinem Mandanten keinerlei extremistische Tendenzen bemerkt worden. Für möglich hält der Verteidiger, dass der 33-Jährige bei der Tat im Regionalzug wütend und außer sich war. Er könne auch psychisch krank sein oder unter dem Einfluss von Drogen gestanden haben.

Nach seiner Festnahme am 20. Januar 2022 habe sein Mandant einen „kalten“ Drogenentzug in der Untersuchungshaft gemacht. Er sei fälschlicherweise mit Methadon behandelt worden. Das habe ihm bei seiner Verurteilung durch das Amtsgericht Hamburg-St. Georg wegen gefährlicher Körperverletzung und Diebstahls eine Strafmilderung eingebracht. Vor seiner Entlassung habe sich A. um eine Therapie bemüht, um seine Drogenabstinenz zu verfestigen. Das sei abgelehnt worden, sagte Seelbach.

Gegen das Urteil habe er Berufung eingelegt, weil sein Mandant der Auffassung sei, sich bei der Tat vor einer Hamburger Drogeneinrichtung in Notwehr mit einem Messer verteidigt zu haben. Im vergangenen Dezember habe er als Anwalt das Landgericht darauf aufmerksam gemacht, dass die Zeit in U-Haft bald die Dauer der verhängten Strafe erreichen werde. Die Aufhebung des Haftbefehls am vergangenen 19. Januar sei für ihn jedoch überraschend gekommen, weil er erst noch mit seinem Mandanten über Hilfen nach der Entlassung sprechen wollte. „Ich habe versucht, ihn zu erreichen, aber man hat ihn sofort vor die Tür gesetzt“, sagte Seelbach.

Mehrere Opfer weiter im künstlichen Koma

Nach der tödlichen Messerattacke im Zug nach Hamburg liegen Abendblatt-Informationen zufolge immer noch mehrere der Opfer von Ibrahim A. im künstlichen Koma. Der 33-Jährige hatte am Mittwochabend im Regionalexpress von Kiel nach Hamburg willkürlich um sich gestochen. Ein 19 Jahre alter Bahn-Azubi und eine 17-Jährige starben noch im Zug, darüber hinaus verletzte der Täter insgesamt fünf Menschen zum Teil lebensgefährlich.

Gedenkgottesdienst für die Opfer in Brokstedter Kirche

Die Evangelische Kirchengemeinde Brokstedt wird am Freitag um 17 Uhr mit einem Gottesdienst der Opfer gedenken, teilte der Kirchenkreis Altholstein mit. In der Brokstedter Kirche (Kirchenstraße) können die Besucherinnen und Besucher ihrer Seele Luft verschaffen und eine Kerze anzünden. Gemeinsam mit den beiden Pastorinnen Ulrike Witte und Miriam van der Staaij soll in dem Gottesdienst auch der Dank für den Einsatz der Rettungskräfte zum Ausdruck kommen, hieß es.

SSW will Reform des Integrationsrecht

Nach der Zugattacke in Brokstedt hat Schleswig-Holsteins SSW-Fraktionschef Lars Harms eine Reform des Integrationsrechts im Norden gefordert. Dass Menschen ohne Aufenthaltsrecht kein Recht auf psychologische Betreuung hätten, sei ein echtes Problem, sagte Harms am Freitag. „Durch einen Zugang zu psychotherapeutischen Angeboten könnte das Risiko für solche Taten, wie wir sie etwa in Brokstedt erlebt haben, deutlich minimiert werden.“

Der SSW hat einen Entwurf für eine Reform des Integrations- und Teilhabegesetzes in Schleswig-Holstein vorgelegt. Der Entwurf befinde sich derzeit in der Anhörung, sagte Harms. „Der Rechtsstaat hat im Rahmen seiner Möglichkeiten gehandelt. Anlass zu Vorwürfen sehe ich da erst mal nicht.“

Polizei gibt Gepäck aus dem Unglückszug frei

Die Fahrgäste, die wegen der Messerattacke in dem Zug, ihr Gepäck zurücklassen mussten, können es nun wieder in Empfang nehmen. Das bestätigte eine Polizeisprecherin am Freitag. Sie sagt: „Ansprechpartner für die Abholung ist der regionale Kundendialog der DB mit der Rufnummer 0431 / 53 44 05 00."

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Schleswig-Holstein trägt Trauer

In Schleswig-Holstein sind nach der tödlichen Messerattacke im Regionalzug an mehreren Gebäuden die Flaggen auf Halbmast gehisst. Unter anderem an der Walther-Lehmkuhl-Schule in Neumünster, die die 17-Jährige und der 19-Jährige besucht hatten. Sowie am Amtsgericht Itzehoe. Dort wurde der Haftbefehl gegen den 33 Jahre alten Täter erlassen.

Die schleswig-holsteinische Landesflagge am Amtsgericht Itzehoe ist auf Halbmast gehisst.
Die schleswig-holsteinische Landesflagge am Amtsgericht Itzehoe ist auf Halbmast gehisst. © Gregor Fischer/dpa

Ministerin besucht Schule der Opfer

Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien ist am Freitagmorgen in der Schule der beiden Opfer des Messerangriffs von Brokstedt eingetroffen. Die 17-Jährige und der 19-Jährige waren von Ibrahim A. getötet worden.

Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien am Freitag beim Besuch der Walther-Lehmkuhl-Schule, die die 17-Jährige und der 19-Jährige besuchten.
Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien am Freitag beim Besuch der Walther-Lehmkuhl-Schule, die die 17-Jährige und der 19-Jährige besuchten.

Die CDU-Politikerin wollte in Neumünster mit Lehrkräften sowie Schülerinnen und Schülern der Walther-Lehmkuhl-Schule sprechen. „Ich bin heute hergekommen, um in erster Linie zum Ausdruck zu bringen, dass wir mit den Schülerinnen und Schülern, mit den Lehrkräften, den Sozialarbeitern, den Schulpsychologen gemeinsam trauern. Das ganze Land trauert“, sagte die CDU-Politikerin.

Mitarbeitende der Spurensicherung sind nach der Messerattacke in einem Zug am Bahnhof Brokstedt im Einsatz.
Mitarbeitende der Spurensicherung sind nach der Messerattacke in einem Zug am Bahnhof Brokstedt im Einsatz. © Jonas Walzberg/dpa

Sie lobte die Aufarbeitung für die Mitschüler in den Klassen der Getöteten sowie die Unterstützung des dortigen Kriseninterventionsteams. „Aber auch die anderen Schülerinnen und Schüler sind natürlich betroffen davon, dass auf einer Bahnstrecke, die sie täglich benutzen, ein solches Verbrechen geschehen konnte.“, so Prien.

Ibrahim A. sitzt in Itzehoe in U-Haft

Dem 33 Jahre alten staatenlosen Palästinenser werde zweifacher heimtückischer Mord und viermal versuchter Totschlag vorgeworfen, sagte Oberstaatsanwalt Peter Müller-Rakow. Ein Haftbefehl wurde bereits erlassen. Ibrahim A. soll in Itzehoe in Untersuchungshaft sitzen. Auf Frank Matthiesen, Leiter der dortigen Polizeidirektion, mache der Täter einen „ruhigen Eindruck". Auf die Frage, ob er verwirrt gewirkt habe, sagte Matthiesen: „Ich glaube, wer Menschen schwer verletzt oder tötet, kann nicht ganz normal sein“.

Messerattacke im Zug: Täter hat langes Vorstrafenregister

Ibrahim A., der am 24. November 2014, in Deutschland eingereist war, war zunächst im nordrhein-westfälischen Euskirchen gemeldet. Dort wurde er bereits straffällig: Bedrohung, Körperverletzung, Sachbeschädigung, Ladendiebstahl, sexuelle Belästigung. Erstmals zu einer Haftstrafe wird er 2022 in Hamburg verurteilt – nach einer Messerattacke bei der Essensausgabe Herz Ass in Hamburg-St. Georg. Ibrahim A. soll während seiner Zeit in der JVA Billwerder einen Mithäftling verletzt und einen Beamten angegriffen haben. Am 19. Januar wird er aus der Haft entlassen. Sieben Tage später stieg er in den Regionalzug in Kiel, mit einem Messer bewaffnet.