Kiel. Umweltminister Tobias Goldschmidt spricht über forcierten Flüssiggasimport und beschleunigte Genehmigungsverfahren.
In einem nie vorstellbaren Tempo haben der Bund und das Land Schleswig-Holstein das schwimmende LNG-Terminal in Brunsbüttel und die Anbindung ans Gasnetz geplant, genehmigt und vorangetrieben. Nur wenige Monate waren für den Aufbau der Infrastruktur zum Import von flüssigem Erdgas nötig. Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) sieht darin „ein Musterbeispiel, wie Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung aussehen kann“. Die Anlage steht und soll bis zum 20. Januar in Betrieb gehen.
Dort an der Westküste sollen in diesem Jahr von LNG-Tankern 3,5 Milliarden Kubikmeter Gas ins Netz eingespeist werden. Bis Ende 2023 soll auch eine 55 Kilometer lange Rohrleitung nach Hetlingen im Kreis Pinneberg fertig sein. Dann könnten jährlich 7,5 Milliarden Kubikmeter Gas von Brunsbüttel aus ins Netz gepumpt werden. Auch dieses Vorhaben ist laut Regierung im Zeitplan. Der sieht zudem ein stationäres Terminal in Brunsbüttel vor, das 2026 in Betrieb gehen soll.
Goldschmidt: "Befinden uns in einem energiepolitischen Dilemma"
Schleswig-Holsteins Umweltminister Tobias Goldschmidt (Grüne) spricht im Abendblatt-Interview über den forcierten Flüssiggasimport, um die Abhängigkeit von Energielieferungen aus Russland zu verringern und über beschleunigte Genehmigungsverfahren.
Hamburger Abendblatt: Herr Goldschmidt, Ihr Parteifreund und Vorvorgänger als Umweltminister, Robert Habeck, musste, damit im Winter keine Versorgungsengpässe bei der Gasversorgung auftreten, nach Katar reisen und mit dem umstrittenen Herrscherhaus über Gaslieferungen verhandeln. Wie sehr widerstrebt das einem grünen Verständnis von einer ökologischen Energieversorgung?
Tobias Goldschmidt: Wir befinden uns in einem großen energiepolitischen Dilemma. Auch ich bin kein Fan von LNG- oder Erdgasimporten, aber Deutschland hat sich über die letzten Jahrzehnte viel zu langsam unabhängig davon gemacht. Das war ein großes politisches Versagen. Jetzt geht es darum, Not vom Land abzuwenden, die Industrie mit Energie zu versorgen und die Wohnungen warm zu halten. Natürlich ist das alles nicht einfach. Aber weder Robert Habeck noch ich sind in die Politik gegangen, um es einfach zu haben.
Jetzt sprechen wir nicht nur über das energiepolitische Dilemma, sondern auch konkret über Katar. Auch nach der Fußball-WM gibt es massive Kritik an diesem Staat, zuletzt im Zusammenhang mit der Korruptionsaffäre um die EU-Vizepräsidentin Eva Kaili. Wie sehr schmerzen Verträge mit solchen Staaten?
Tobias Goldschmidt: Es war uns allen klar, mit welchem Staat wir es zu tun haben. Und an der Fußball-WM und den Diskussionen dazu ist das energiepolitische Dilemma, von dem ich gesprochen habe, nochmals ganz offenkundig geworden. Es gab viele Fehlentscheidungen an vielen verschiedenen Stellen in den letzten Jahrzehnten. Jedes Windrad, jede Dämmplatte und jede Wärmepumpe hilft uns ein Stück wieder aus diesem furchtbare Dilemma heraus.
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Mit einem zuvor niemals vorstellbaren Tempo haben Schleswig Holstein und der Bund das LNG-Terminal in Brunsbüttel geplant, genehmigt und gebaut. Hätten Sie sich dieses Tempo vor dieser Ausnahmesituation, in die Putin uns gebracht hat, jemals vorstellen können?
Tobias Goldschmidt: Dass wir schnell sein können, haben wir immer wieder bewiesen, auch in Schleswig Holstein beim Stromnetzausbau. Das jetzt vorgelegte Tempo ist aber einmalig.
Ist das Tempo jetzt einmalig gut – oder ist es auch schlecht?
Tobias Goldschmidt: Es ist erst einmal eine große Leistung. Der Staat hat Handlungsfähigkeit bewiesen. Und ganz viele haben daran mitgewirkt, es war der unbedingte Wille aufseiten der Bundesregierung, der Landesregierung und der Privatwirtschaft das Projekt hinzubekommen. Und ich bin sehr dankbar, dass das so gelaufen ist.
Aber sie mussten, damit es so schnell läuft, die Einspruchsmöglichkeiten von Naturschutzverbänden außer Kraft setzen.
Tobias Goldschmidt: Das energiepolitische Problem ist so groß, dass es die Mitwirkungsmöglichkeiten ein Stück weit geschliffen hat. Deswegen sollte das nicht zur Blaupause für andere Projekte werden. Aber ich fand es in dieser Situation, wo es darum ging, eine Gasmangellage zu verhindern, richtig und angemessen so.
Das heißt, dieses beschleunigte Verfahren ist kein Zukunftsmodell zum Beispiel bei der Genehmigung von Windparks?
Tobias Goldschmidt: Wir müssen auch bei den erneuerbaren Energien auf’s Tempo drücken und genau schauen, was sinnvoll aus den LNG-Beschleunigungsmaßnahmen übernommen werden kann. Und da ist einiges, zum Beispiel die gute Zusammenarbeit der Behörden, eine Prioritätensetzung vonseiten der Politik, Digitalisierung und eine deutlich aufgestockte Ausstattung der Genehmigungsbehörden. Auch der Baubeginn vor Erhalt der Genehmigung ist eine gute Beschleunigungsoption.