Kiel. Der Grüne soll Umweltminister in Schleswig-Holstein werden – was er über LNG, die Energiewende und die steigenden Energiepreise denkt.

  • Tobias Goldschmidt ist der Wunschkandidat der Grünen für das Amt des Umweltministers in Schleswig-Holstein
  • Was Goldschmidt über die steigenden Energiepreise denkt, wie er Bürger entlasten will
  • Wie der Grüne den Norden klimaneutral machen möchte

Das Vorgehen war für die Grünen ziemlich ungewöhnlich, schließlich hält man sich mit herausgehobenen Personalien oder gar Schattenkabinetten ansonsten zurück: Wochen vor der Landtagswahl in Schleswig-Holstein präsentierten die Spitzenkandidatinnen Monika Heinold und Aminata Touré mit Tobias Goldschmidt den potenziellen Umweltminister der nächsten Legislaturperiode. Jedenfalls, wenn es nach den Grünen geht und sie wieder der Landes­regierung angehören.

„Wir wollen auch künftig Regierungsverantwortung in der Umwelt-, Klima-, Agrar- und Energiepolitik tragen“, meldete die Partei Anspruch an. Heinold, die Ministerpräsidentin werden will, nennt Goldschmidt eine „Top-Besetzung für unser künftiges Regierungsteam“. Der gebürtige Emsländer würde die Nachfolge von Jan Philipp Albrecht antreten, der zur Grünen-nahen Böll-Stiftung wechselt. Goldschmidt, Vater dreier Kinder, gehörte zu den Grünen, die ins Kieler Umweltministerium einzogen, als Robert Habeck 2012 Minister wurde. Aktuell leitet er als Staatssekretär die Behörde.

Hamburger Abendblatt: Herr Goldschmidt, zunächst lese ich Ihnen mal zwei Zitate vor: „Ein LNG-Terminal wäre derzeit so konzipiert, dass es auf einen fossilen Rohstoff setzt. Aus schleswig-holsteinischer Energiewendesicht kann ich nicht erkennen, worin der Nutzen eines solchen Terminals liegen soll“ ... Und: „Als Klimapolitiker hier im Land können Sie nicht von mir erwarten, dass ich ein großer Fan des Projektes bin.“ Das haben Sie vor sechs Wochen den „Kieler Nachrichten“ gesagt. Würden Sie die Aussagen heute wiederholen?

Tobias Goldschmidt: Kurz nach diesem Interview hat Putin den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine befohlen. Damit einher geht ein grundsätzliches Infragestellen unserer Energieversorgung. Deshalb kann ich heute – und konnte es schon damals – nachvollziehen, dass man aus geopolitischen Gründen ein solches LNG-Terminal unterstützt. LNG wird dadurch aber nicht zum nachhaltigen Energieträger, und ich werde dadurch als Klimapolitiker nicht zum Fan des Projektes. Für mich ist das Terminal eine Versicherung gegen Putin. Unsere Art zu wirtschaften ist leider noch in viel zu starkem Maße abhängig von fossilen Energieträgern – da rächen sich nun jahrzehntelange Versäumnisse.

Wie sehr bringt Putins Krieg grüne Grundsatzpositionen ins Wanken?

Goldschmidt: Natürlich muss man in einer solchen Situation Dinge neu bewerten. Aber im Grundsatz treffen unsere grünen Antworten heute umso mehr zu: Wenn wir mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien viel weiter wären – was wir immer wollten – dann wären die Abhängigkeiten von russischen Energien bei Weitem nicht so dramatisch wie sie heute sind.

Hätten Sie sich vor wenigen Wochen vorstellen können, dass ein grüner Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in Katar fossile Energie einkauft für die nächsten Jahre?

Goldschmidt: Wir gehen als Grüne ganz stark in die Verantwortung, setzen uns mit realen Problemen auseinander und verlieren dabei nicht unsere Ziele aus den Augen. Und die Abhängigkeit von russischen Energieträgern ist ein ganz reales Problem, das wir kurzfristig und zupackend lösen müssen. Die Bevölkerung hat verdient, dass sich ein Bundeswirtschaftsminister so direkt wie möglich um die Sicherung der Energieversorgung kümmert.

Hier kommen gleich zwei grüne No-Gos zusammen – fossile Energie und Katar …

Goldschmidt: Das Problem ist unsere Abhängigkeit von fossilen Energieträgern, die wir im Regelfall aus hochproblematischen Lieferländern importieren. Wie zum Beispiel Katar. Deshalb haben wir Grüne immer gesagt, dass wir in Deutschland möglichst schnell die erneuerbaren Energien ausbauen müssen, um endlich raus aus der Abhängigkeit von diesen Staaten zu gelangen.

Fotos und Berichte von Gräueltaten an der ukrainischen Zivilbevölkerung sind kaum auszuhalten. Aber Deutschland bezieht weiter Gas und Öl aus Russland und finanziert so den Krieg mit. Wie stehen Sie zum Import fossiler Energien aus Russland?

Goldschmidt: Die Bilder, die Situation in der Ukraine, die Abhängigkeit von Putin – das alles ist unerträglich. Deshalb unterstütze ich auch den Weg Robert Habecks, schnellstmöglich Alternativen zu suchen und notfalls übergangsweise auch nach Katar zu gehen.

Die Menschen bei uns stehen den Gräueltaten fassungslos und voller Abscheu gegenüber, nur ausrichten können sie kaum etwas. Eine der wenigen und nur begrenzt wirksamen Möglichkeiten ist, selbst mehr Energie zu sparen. Halten Sie das für sinnvoll?

Goldschmidt: Klimaschutz und die Beendigung der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern sind eine Gemeinschaftsaufgabe. Das fängt bei der EU-Kommissionspräsidentin an und hört im privaten Haushalt auf. Jeder einzelne kann und sollte seinen Beitrag leisten – und nicht erst seit dem Krieg. Jeder von uns kann sich vor Ort dafür einsetzen, dass neue erneuerbare Energieanlagen gebaut werden oder auch durch das eigene Verhalten dazu beitragen, dass insgesamt weniger Energie verbraucht wird. Politik darf die Verantwortung aber nicht auf den Einzelnen abwälzen. Die vorherigen Bundesregierungen haben uns in die Lage manövriert, in der wir jetzt sind, und nur durch den Ausbau erneuerbarer Energien kommen wir aus dieser wieder raus.

Aber die Landesregierung hat es in den fünf Jahren auch nicht geschafft, mehr Windkraftanlagen in Schleswig-Holstein zu bauen.

Goldschmidt: Wir haben in den vergangenen beiden Jahren mehr als ein Fünftel aller bundesweiten Windkraftgenehmigungen erteilt, obwohl wir nur über viereinhalb Prozent der Bundesfläche verfügen. Wir haben die Stromnetze im Rekordtempo ausgebaut; wir sind eins von ganz wenigen Ländern, die zwei Prozent der Landesfläche für die Windenergie reserviert haben. Und wir sind noch lange nicht am Ziel. Aus Gründen der Energiesicherheit und als Wirtschaftsfaktor wollen wir Grüne zukünftig sogar drei Prozent ausweisen.

Aber die Zahl der Windkraftanlagen ist mit rund 3000 trotzdem nur in etwa so hoch wie vor fünf Jahren.

Goldschmidt: Die Zahl der Anlagen ist in der Tat nicht gestiegen. Aber durch den Austausch alter Anlagen konnten wir die Gesamtleistung deutlich erhöhen. Vor fünf Jahren, als wir die Regierung übernahmen, lagen keine rechtskräftigen Regionalpläne vor. Diesen Zustand mussten wir erst einmal reparieren. Jetzt sind die Genehmigungen und damit das Baurecht da und jetzt können die Unternehmen endlich zusätzliche Windkraftanlagen bauen.

Sie wollen das Land schnellstmöglich klimaneutral machen. Wie soll das funktionieren?

Goldschmidt: Durch den beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien und die Elektrifizierung von zuvor fossilen Prozessen in der Industrie. Dies gelingt indem wir die Infrastruktur konsequent erneuerbar ausbauen und indem wir erneuerbaren Energien und Klimaschutzzielen Vorrang in Planungsprozessen geben. Zudem wollen wir Landwirte verstärkt auch zu Klimawirten machen und den kommunalen Klimaschutz stärken.

Was heißt das für die Menschen auf dem Land und ihre Mobilität? In Grossstädten ist es leicht, auf den öffentlichen Personennahverkehr zu verweisen.

Goldschmidt: Individuelle Mobilität wird es auf dem Land immer geben. Und sie muss bezahlbar bleiben. Schleswig-Holstein ist das Bundesland mit den höchsten Quoten bei der Neuzulassung von Elektroautos. Das zeigt ein hohes Bewusstsein für Klimaschutz und dass viele Menschen in Schleswig-Holstein bereits die richtigen Entscheidungen für sich treffen.

Den Aufbau einer ausreichenden Ladeinfrastruktur können sie kaum den Menschen allein überlassen. Was muss das Land leisten?

Goldschmidt: Das ist natürlich auch eine Landesaufgabe. Ich setze mich dafür ein, den Ladesäulenausbau weiter zu fördern und massiv zu forcieren. Der Ausbau sollte von der Privatwirtschaft vorangetrieben werden. In der letzten Legislaturperiode wurde die Anzahl der öffentlichen Ladepunkte verzehnfacht. Schleswig-Holstein steht im Länderranking ganz weit vorne.

Kaum ein Thema neben Putins Krieg belastet die Menschen so stark wir die hohen Energiekosten. Wie wollen Sie sie entlasten?

Goldschmidt: Erst einmal ist es wichtig, dass Politik ehrlich ist: Energie ist wertvoll und damit auch teuer. Deshalb sollten die Menschen auch darüber nachdenken, wie sie ihre Verbräuche reduzieren können. Gleichermaßen ist es aber auch die Aufgabe des Staates, sich um dieses Problem zu kümmern. Jetzt kommt endlich die lange von uns geforderte Streichung der EEG-Umlage. Auch sind die Pakete der Bundesregierung, zum Beispiel den Heizkostenzuschuss zu erhöhen, richtig. Komplett falsch wäre hingegen die Subventionierung von fossilem Energieverbrauch. Damit würde man die Krise eher beschleunigen.

Im Mai wählen die Schleswig-Holsteiner einen neuen Landtag. Dann entscheidet sich, in welcher politischen Konstellation es weitergeht. Wem fühlen sie sich denn politisch näher: SPD oder CDU?

Goldschmidt: Ich fühle mich keiner der beiden Parteien nahe, nur meiner eigenen.

Und welche Koalitionspräferenz haben Sie?

Goldschmidt: Ich präferiere die Koalition, mit der sich am meisten
Klima- und Umweltschutz durchsetzen lässt.