Kappeln. Marion Essing ist Trakehner-Züchterin des Jahres 2022 – ihr Gut Roest ist in vieler Hinsicht besonders.
Kappeln ist an sich keine Stadt der Superlative. Aber einen Rekord gibt es schon. Hier steht das Haus mit einer der größten zusammenhängenden Reetdachflächen Nordeuropas. Ein wenig versteckt in einer Seitenstraße liegt das Gut Roest, das seit 2004 der Familie Essing gehört. Doch anders als die meisten Güter der Gegend gibt es hier weder Wohnungen, Ferienapartments oder Veranstaltungsräume auf dem Gelände. Die Stallungen werden auf Gut Roest noch ganz klassisch genutzt: für Pferde. Marion Essing hat hier, in der Nähe der Schlei, eine kleine, feine Trakehnerzucht aufgebaut, die mittlerweile bundesweit bekannt ist. Gerade wurde sie für ihre Erfolge als Trakehner-Züchterin des Jahres 2022 geehrt.
Gut Roest: Knapp vier Jahre wurde renoviert
Kurz nach der Jahrtausendwende entdeckten Marion und Norbert Essing das Gut in Kappeln. Sie waren auf der Suche nach einem neuen Zuhause für sich und ihre Pferde. Doch die Gebäude waren heruntergekommen, die zuvor häufiger wechselnden Besitzer hatten sich nicht wirklich um das große Areal gekümmert. Knapp vier Jahre lang renovierten sie das Hauptgebäude, die Nebengebäude und die Stallungen aufwendig. Bauten eine eigene Reithalle, einen großen Außenplatz und Paddocks. 2008 zogen sie mit ihren drei Kindern aus Westfalen nach Kappeln.
„Wir haben lange nach einem geeigneten Ort gesucht, an dem wir die Pferde gut unterbringen konnten und als Familie so leben können, wie wir uns das immer vorgestellt haben.“ Der Umzug in den Norden sei allen leicht gefallen. Gut Roest sei schnell das neue Zuhause geworden. „Unsere Kinder fühlen sich als Roester, auch wenn sie heute in München und London leben“, sagen die Eltern. So sehr, dass ihre Tochter nach Jahren in Großbritannien und Prag nun mit ihrem Mann zurückgekehrt sei und hier eine Familie gründen wolle.
Das Gut ist älter als die Kirche von Kappeln
Marion Essing ist Architektin. Sie plante den Umbau des Guts. Entwarf die neue Reithalle, die nach gewissen denkmalschutzrechtlichen Vorgaben gebaut werden musste. Ihr ist es bis heute wichtig, dass diese Geschichte bewahrt und erhalten wird. „Dieses Gut ist eines der wichtigsten Kulturdenkmäler in Schleswig-Holstein“, sagt sie. Schließlich sei das Gut älter als die Kirche von Kappeln. „Die von Rumohrs, die jahrhundertelang hier lebten, haben die Kirche in Kappeln gebaut.“ Hier auf dem Gut habe die Gerichtsbarkeit der Gegend gelegen. „Im Keller gab es sogar noch ein Gefängnis. Gruselig.“ Und von hier aus ist die kleinste Stadt Deutschlands, Arnis, entstanden. „Eine Gruppe von Bürgern wollte sich der Leibeigenschaft nicht unterwerfen. Ist dann auf die kleine Insel gezogen, hat sich dort niedergelassen und damit Arnis gegründet. Das finde ich heute noch eindrucksvoll.“
Doch den Essings sind nicht nur die Gebäude ihres Gutes wichtig. Das Land, das sich an die Häuser anschließt, ist für das Ehepaar ebenfalls von großer Bedeutung. Schließlich braucht Marion Essing Weideland für die Pferde.
Die Essings kauften Land dazu, um es zu renaturieren
Ihrem Mann als begeisterten Jäger und Naturschützer hingegen geht es um die Wälder und um die Natur. Stück für Stück kauften sie also in den vergangenen Jahren Ländereien dazu, mittlerweile gehören wieder 65 Hektar Land zum Gut. Auch in Kosel, ganz in der Nähe, erwarben sie rund 100 Hektar Land, um es zu renaturieren. Sie legten kilometerlange Knicks neu an, renaturierten Flächen, schufen Feuchtgebiete. So entstanden nicht nur neue Weideflächen, sondern auch ökologisch hochwertige Rückzugsgebiete.
Marion Essing zeigt das Ergebnis der jahrelangen Arbeit stolz bei einer Ausfahrt über das Gelände. Mittlerweile dauert es zu lange, das ganze Areal abzulaufen. „Hier haben wir Biotope angelegt“, sagt sie beispielsweise und zeigt auf kleine Teiche. Ein Stück weiter geht es durch einen Wald. Teile davon sind eingezäunt, damit Rehe und Damwild die kleinen Bäume nicht alle wieder abfressen können. „Wenn die Bäume groß genug sind, dann nehmen wir den Zaun wieder weg“, so Marion Essing. Ihr Ziel: möglichst viel Fläche entstehen zu lassen, die Tieren, Insekten und Pflanzen Raum geben.
Marion Essing engagiert sich seit vielen Jahren in der Trakehnerzucht
Nachhaltige Landwirtschaft ist den Essings wichtig. Ressourcen schonen. Deshalb haben ihre Pferde beispielsweise auch kein Stroh in den Boxen liegen, sondern Miscanthus, das sogenannte Chinaschilf. Das wächst auf den Weiden gleich hinter dem Haus. „Miscanthus wächst schnell, braucht keinen Dünger und ist umweltfreundlich“, sagt Marion Essing. Gehäckselt lasse es sich gut lagern und dann in den Boxen verteilen. Zudem werde Miscanthus erst im Frühjahr geerntet und biete daher im Winter vielen Tieren Rückzug und Schutz.
Marion Essings Liebe gilt den Pferden. Seit vielen Jahren engagiert sie sich in der Trakehner-Zucht. Einige erfolgreiche Dressurpferde stammen aus ihrer Zucht. Fast alle Fohlen, die auf dem Gut geboren wurden, sind ausgezeichnet worden. Doch warum Trakehner und nicht Holsteiner, die hier zu Hause sind? „Trakehner sind besonders intelligent, elegant, sportlich, leistungsbereit und kooperativ, einfach eine eindrucksvolle Rasse“, sagt Marion Essing, und zeigt auf ihre Fohlen auf der Weide. Ganz davon abgesehen, dass sie bildschön seien. „Sie sind emphatisch, sie denken mit. Das schätze ich so an dieser Rasse.“
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Viele Fohlen behält die Züchterin selbst
Doch Züchten ist harte Arbeit, berichtet Marion Essing. Damit die erfolgreichen Stuten weiter geritten werden können, arbeitet die 58-Jährige mit modernen Methoden wie dem Embryotransfer. Viele ihrer Fohlen behält die Züchterin selbst, bildet sie aus bis zur höchsten Dressurklasse, der S-Dressur oder dem Grand Prix. Einige Tiere werden weiterverkauft. Aber Geld verdienen, das könne man mit einem solchen, am Tierwohl orientierten Betrieb nicht, berichtet Marion Essing. Dazu sei es zu zeit- und kostenintensiv. „Die Zucht trägt sich gerade einmal. Aber das ist okay so.“
Marion Essing reitet ihre Sportpferde übrigens nicht selbst. „Das überlasse ich den echten Profis“, sagt sie. Dressurreiter Markus Waterhues und dessen Tochter Johanna bilden die erfolgreichsten Pferde von ihr aus und stellen sie auch auf international besetzten Turnieren vor. Regelmäßig bringen Mitarbeiterinnen von Marion Essing die Tiere in das nahe gelegene Mohrkirch zum Training. Mit dem kleinen Transporter kommen sie dann wenig später zurück in den Stall.
Gut Roest: 2011 wurde das Gestüt bester Pferdebetrieb des Jahres
In einen Stall, von dem die meisten Pferde nur träumen können – unter dem bereits erwähnten gewaltigem Reetdach. Hell und freundlich sind die Boxen, jeden Tag kommen die Tiere auf die Weide. 2011 wurde das Gestüt deshalb auch bereits zu Deutschlands bestem Pferdebetrieb des Jahres im Bereich Zucht und Aufzucht gewählt. Im Jahr 2020 erhielt Marion Essing von der Präsidentin der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein den Ehrenpreis für Innovationen in der Tierhaltung. Auch der gerade verliehene Preis als Züchterin des Jahres bestätigt Marion Essing in ihrer Arbeit. „Es zeigt, dass wir hier einiges richtig machen.“