Kiel/Berlin. Tobias Goldschmidt, Umweltminister von Schleswig-Holstein, legt die Hemmnisse bei der Windkraftnutzung schonungslos offen.

Schleswig-Holstein erhöht den Druck auf die Bundesregierung, beim Ausbau und der Nutzung von Windstrom schneller voranzukommen. In einem Brandbrief, den Umweltminister Tobias Goldschmidt ans Bundeswirtschaftsministerium und in Kopie auch den norddeutschen Energieministerinnen und -ministern geschickt hat, legt das Land die Hemmnisse bei der Nutzung der Windenergie schonungslos offen. Das politisch Brisante an der Post aus Kiel: Das grüne Umweltweltministerium im Norden zählt damit auch das grüne Wirtschaftsministerium in der Hauptstadt an.

„Sehr geehrter Herr Bundesminister Dr. Habeck, lieber Robert“ beginnt das Schreiben, das dem Abendblatt vorliegt. „In der aktuellen Energiekrise zählt jede Kilowattstunde eingesparte oder erneuerbar hergestellte Energie. Rund zwei Terrawattstunden Strom aus Windkraftanlagen müssen aufgrund des im Süden verzögerten Netzausbaus in Schleswig-Holstein noch immer abgeregelt werden“, schildert Goldschmidt das Habeck sicher nicht unbekannte Problem.

Erneuerbare Strom soll für "Sektorenkopplung" genutzt werden

Das Land im Norden erzeugt in etwa das 1,7-Fache des eigenen Bedarfs an Strom. Der könnte, gäbe es ausreichend Leitungskapazitäten, im Süden Deutschlands verbraucht werden. Doch oft kommt er gar nicht erst dort an, und die Windräder müssen abgeschaltet werden, weil das Netz überlastet ist. Ein „unhaltbarer Zustand“, wie Goldschmidt schreibt.

Was er jetzt fordert ist, heißt im Fachleute-Deutsch, dass der erneuerbare Strom wirtschaftlich für die „Sektorenkopplung“ genutzt werden soll. Übersetzt: Mit dem Strom könnte Wärme erzeugt werden – oder Wasserstoff. Nur: Das rechnet sich bislang nicht, da der Strom dafür deutlich zu teuer wäre. Und so fordert der eine Grüne vom anderen, die hohen Netzentgelte im Norden zu senken. Denn: Der Strom aus Windkraft soll billiger und damit für Unternehmen im Norden wirtschaftlich interessant werden.

Goldschmidt: Energiewende im Norden gehe voran – im Süden nicht

„Die Ursache für den massenhaften Redispatch liegt nicht im Norden. Leider wird es noch Jahre dauern, bis die Netzengpässe beseitigt sind“, schreibt Goldschmidt. Redispatch lässt sich vereinfacht so erklären: Kunden im Süden ordern Strom im Norden. Gehen zu viele Bestellungen gleichzeitig ein, verstopfen die Netze, Kiel regelt den Strom ab. Nur: Die Erzeuger müssen trotzdem bezahlt werden, und der Eingriff ins Stromnetz kostet auch noch Gebühren. Was Goldschmidt erreichen will, ist, dass der „sonst abgeregelte Strom“ für „einen geringeren Preis angeboten“ werden kann. Die technischen und organisatorischen Voraussetzungen seien im „Reallabor erprobt und mit realen Anlagen getestet“ worden. „Es fehlte bisher allein am politischen Willen, die nötigen Anreize zu setzen“, schreibt er Habeck. Goldschmidt bittet, „einen klaren Ansatz zu setzen, dass die vorgenannten zwei Terrawattstunden künftig ins Netz kommen können.“

Gegenüber dem Abendblatt greift der Umweltminister aus dem Norden die Südländer scharf an: „Wenn es um die Energiewende geht, ist Deutschland ein Land der zwei Geschwindigkeiten. Während der Norden die Energiewende als Chancenprojekt mit aller Kraft vorantreibt, ist dies weiter südlich nicht überall der Fall. Die aktuelle Krisenlage legt dies schonungslos offen. Hätten alle in puncto Netz- und Windkraftausbau ihre Hausaufgaben gemacht, würde jetzt nicht die Gefahr einer Stromlücke in Bayern bestehen und wir müssten nicht die Frage eines AKW-Streckbetriebes diskutieren“, sagte Goldschmidt dieser Zeitung.

Günstigere Strompreise im Norden, teurer im Süden

Ginge es nach den Energie- oder Umweltministern im Norden, würde Deutschland deshalb in unterschiedliche Strompreiszonen aufgeteilt. Sie plädieren für günstigere Strompreise im Norden und teurere, je weiter man nach Süden kommt. Ihre Begründung: Dort, wo der Strom erzeugt wird – wie im Norden durch Wind – und zudem Stromleitungen zur Verfügung gestellt werden, sollte er billiger sein als in einem Bundesland wie Bayern, das sich gebärde wie eine Bürgerinitiative gegen den Netzausbau.

In Goldschmidts Ministerium hält man getrennte Strompreiszonen für ein „geeignetes Instrument, um für die Energiewende die richtigen Anreize zu setzen. Diese lauten: Industrieansiedlungen in Gebieten, wo viel sauberer und preiswerter Strom vorhanden ist. Anreize für Südländer, schneller beim Netzausbau zu werden und mehr und schneller Ökostrom auszubauen.“ Goldschmidt nennt den Strompreiszonen-Vorstoß die „logische Konsequenz des energiepolitischen Irrweges“ in Bayern, für den „die Menschen im Norden die Zeche dafür zahlen müssen“.

Söder: Idee sei „schlicht unverschämt"

In Bayern stößt das übel auf. Im dortigen Finanzministerium spricht man von „sehr irritierenden Vorschlägen rot-grüner Minister im Norden“; in der Staatskanzlei von Ministerpräsident Söder kanzelt man die Idee als „schlicht unverschämt ab“ und verweist auf den Länderfinanzausgleich und das Geberland Bayern.

Jetzt legt Goldschmidt im Hamburger Abendblatt im Nord-Süd-Konflikt nochmals nach: „Aus Bayern war in den letzten Wochen zu hören, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt sei, um die Kosten der Energiewende neu zu ordnen. Doch genau das Gegenteil ist das Fall.“ Erneuerbare Energien seien kein Hemmschuh, sondern die Bedingung für Versorgungssicherheit und bezahlbare Energiepreise, sagte Goldschmidt. Deshalb müsse man jetzt entscheidende Reformen anpacken und Anreize für klimaneutrale Investitionen setzen. Goldschmidt weiter: „Der Norden wird künftig seine Interessen noch selbstbewusster in Berlin durchsetzen, und das ist gut für den Klimaschutz, die Sicherheit unserer Energieversorgung und für die Wirtschaft.“

Goldschmidt bittet Habeck um Unterstützung

Um die Windkraft in Deutschland weiterzuentwickeln, will er auch den Bau der Verbindungsleitungen zwischen Windparks und Stromnetz schneller hinbekommen. Dafür möchte der Politiker – für Grüne keine Selbstverständlichkeit – künftig bei diesen Leitungen ein aufwendiges Planfeststellungsverfahren und eine Umweltverträglichkeitsprüfung sein lassen. Der schleswig-holsteinische Umweltminister fordert, das für alle Anschlussleitungen bis zu einer Länge von 100 Metern auf den Aufwand verzichtet wird.

„Ich halte das als Umwelt- und Energieminister für einen wichtigen und auch verhältnismäßigen Beitrag zur Planungsbeschleunigung und Vereinfachung“, schreibt er Habeck und bittet auch hier um Unterstützung. Um eine entsprechende Änderung des „Energiesicherungsgesetzes“ hatte Goldschmidt zuvor schon seine grüne Bundestagsfraktion gebeten.

Goldschmidt: Umsatzsteuer auch auf Strom senken

Nicht zuletzt fordert Goldschmidt, die Umsatzsteuer nicht nur auf Gas, sondern auch auf Strom zu senken. Seine Begründung: Strom werde inzwischen mehrheitlich aus erneuerbaren Energien produziert, Gas hingegen sei klimaschädlich. Würde Gas steuerlich gegenüber Strom bevorzugt, setzte der Gesetzgeber falsche Anreize. Die Umsatzsteuer für Strom kostet 2,05 Cent pro Kilowattstunde. „Rechtlich wäre eine Absenkung auf das von der EU vorgeschriebene Mindestmaß von 0,5 Cent pro Kilowattstunde möglich“, schreibt das Ministerium.

Weiter heißt es: „Um nicht falsch verstanden zu werden. Schleswig-Holstein begrüßt ausdrücklich, dass die Bundesregierung die Gaspreise senken will.“ Das Land vertrete allerdings auch die Meinung, dass dabei „keine Fehlanreize gegenüber klimafreundlichen Energieträgern entstehen dürfen.“