Kiel. Chefs der drei Oppositionsfraktionen im Gespräch über die Belastung der Bürger, Haushaltsdisziplin und die Folgen der Pandemie .

Es ist der erste Oppositionsgipfel überhaupt nach der Landtagswahl am 8. Mai und der Festlegung der beiden Wahlsieger auf Schwarz-Grün unter dem alten und neuen Ministerpräsidenten Daniel Günther (CDU). Werden die Menschen in Schleswig-Holstein angesichts der explodierenden Energiepreise ausreichend unterstützt? Was kommt auf die Schleswig-Holsteiner in den nächsten Jahren zu? Sollte das Land jetzt sparen oder investieren? Welche Pandemiepolitik ist nötig? Die Fraktionsvorsitzenden Thomas Losse-Müller (SPD), Christopher Vogt (FDP) und Lars Harms (SSW) im Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt.

Hamburger Abendblatt: Tut das Land Schleswig-Holstein genug, um die Menschen in der aktuellen Krise zu entlasten?

Thomas Losse-Müller: Nein. Wohngeld ist das zentrale Instrument für die Entlastung der Menschen, die nicht in der Grundsicherung und nicht in den Hilfesystemen sind. Und die Landesregierung tut nichts dafür, die Menschen darauf aufmerksam zu machen. Es braucht eine Werbekampagne. Und die Wohngeldstellen müssen personell besser aufgestellt werden. Überhaupt: Das Land muss besser aufklären, wo die Menschen Hilfe und Unterstützung finden.

Christopher Vogt: Anstatt sie zu entlasten, belastet die Landesregierung die Menschen: Wir leben in Zeiten des Krieges, der Energiekrise und der Inflation – und Schwarz-Grün nervt mehr als eine Million Menschen im Land bei der Grundsteuer. Finanzministerin Heinold hat ein weniger bürokratisches Modell verhindert, und das komplizierte Scholz-Modell setzt sie auch noch maximal bürger­unfreundlich um. Frau Heinold betreibt hier Missmanagement, und der Ministerpräsident schaut zu. Das ist ein ganz schlechter Start in die Legislaturperiode.

Losse-Müller: Die SPD unterstützt grundsätzlich das gewählte Modell der Grundsteuer. Dass es dann aber handwerklich so miserabel läuft und dass sich die Regierung auch noch aus der Verantwortung stiehlt, geht natürlich nicht. Die Landes­regierung hat operativ keinen Mut. Das werden wir in den kommenden Jahren bei anderen Vorhaben noch mehrfach schmerzlich zu spüren bekommen.

Herr Harms, der SSW hatte im Wahlkampf eine Senkung der Mehrwertsteuer gefordert. Ist diese Forderung nicht aktueller denn je zuvor?

Lars Harms: Absolut. Die Menschen wissen schon jetzt nicht mehr, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen. Und der Winter mit den Rechnungen der Gas- und Energieversorger kommt erst noch. Die Bundes- und die Landesregierung sind in der Verantwortung, die Kosten zu senken. Wir brauchen eine steuerliche Entlastung, wir brauchen aber auch eine Reduzierung der Abgaben. Die Gasumlage hätte es so nicht geben dürfen. Dass die Gasunternehmen, die riesige Gewinne gemacht haben, jetzt von den Bürgern unterstützt werden, ist falsch. Selbst wenn eine Entlastung der Unternehmen nötig sein sollte, müsste der Staat sie tragen, nicht aber die Bürger direkt.

Herr Losse-Müller, Ihre Partei stellt den Bundeskanzler. Halten Sie die von Herrn Harms kritisierte Gasumlage der Bundes­regierung für richtig?

Losse-Müller: Ich teile seine Kritik. Wir hätten das anders und besser lösen können, direkt aus Steuermitteln. Das hat die Bundesregierung anders entschieden. Die Gasumlage ist nachbesserungswürdig.

Harms: Die Landesregierung muss aber auch eigene Initiativen starten: Wie kann es sein, dass das 9-Euro-Ticket ausläuft und es keine Nachfolgeregelung gibt für die Menschen, die auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind, weil sie sich ein eigenes Auto nicht leisten können?

Losse-Müller: Das ärgert mich genauso. Das 9-Euro-Ticket ist ein Erfolg. Und was macht der neue Verkehrsminister, Herr Madsen? Er klagt darüber, dass der Bahn Personal für die Umsetzung fehlt und dass die Infrastruktur nicht ausreicht. Aber es wäre seine Aufgabe, genau dafür zu sorgen. Wenn wir als Land irgendwann klimaneutral sein wollen, brauchen wir einen besseren Nahverkehr. Als Baustein dazu hat die SPD ein 30-Euro-Ticket mit Landesbeteiligung vorgeschlagen.

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  • Herr Vogt, geht die FDP die Forderung nach einem Nachfolgeticket mit? Und falls ja: Woher soll das Geld kommen?

    Vogt: Es braucht eine sinnvolle Anschlusslösung. Die Kleinstaaterei bei den Tarifzonen – auch in Norddeutschland – ist ein Anachronismus, den wir endlich überwinden müssen. Schleswig-Holstein hat schon eine Menge gemacht. Dazu zählt das Jobticket, das man gut weiterentwickeln könnte. Aber dass wir dauerhaft mit Steuergeld bundesweite Billigtickets finanzieren – da bin ich zurückhaltend. Der ÖPNV wird schon massiv vom Steuerzahler bezuschusst, aber nicht alle können ihn nutzen. Wichtiger wäre es, massiv in die Qualität des ÖPNV zu investieren. Und: ÖPNV ist Ländersache, Schleswig-Holstein kann jetzt die Verantwortung nicht auf den Bund abschieben.

    Losse-Müller: Das ist auch mein Eindruck: Die Landesregierung schiebt die Verantwortung weg, statt zu handeln.

    In einem Interview mit dem Hamburger Abendblatt hat Ministerpräsident Daniel Günther kürzlich Verständnis für eine Übergewinnsteuer gezeigt. Wenn Unternehmen ihre Marktmacht in Krisenzeiten ausnutzten, müsse das finanzielle Konsequenzen für sie haben, sagte er. Herr Harms, wie stehen Sie zu der für einen CDU-Politiker eher überraschenden Position?

    Harms: Wenn das seine Meinung ist, dann muss Daniel Günther im Bundesrat auch einen konkreten Vorschlag der Landes­regierung dazu vorlegen. Nur nachzudenken und das anzusprechen reicht nicht. Wenn wir die großen aktuellen Herausforderungen bewältigen wollen, müssen die starken Schultern mehr leisten als die schwachen. Deshalb ist es klar, dass solche Unternehmen zur Kasse gebeten werden müssen.

    Vogt: Bei dem Thema hat Daniel Günther es gemacht wie so oft in letzter Zeit: Er sagt, dass er Verständnis für die Forderung habe, lehnt aber eine Übergewinnsteuer ab. Dann sagt er, dass man eine intelligente Lösung finden müsse, bleibt aber im Unkonkreten. So ungefähr wird wohl auch die schwarz-grüne Regierungspolitik in den nächsten Jahren laufen: Man zeigt empathisch Verständnis, lehnt eine Lösung ab und fordert etwas Anonymes, das es nicht gibt.

    Die vergangenen fünf Jahre hat das Jamaika-Bündnis recht harmonisch regiert: Auf der einen Seite die Grünen, auf der anderen die FDP und dazwischen Günther, der Konflikte wegmoderierte. Werden die Konflikte jetzt in einem Zweierbündnis offensichtlicher zutage treten?

    Losse-Müller: Man merkt Herrn Günther schon an, dass ihm die FDP fehlt. Damit er als Moderator auftreten kann, braucht er den Streit um Ideen. Die CDU hat keine und versucht, der öffentlichen Meinung hinterherzulaufen. Bei den Grünen ist es genauso. Es herrscht schwarz-grüne Orientierungs- und Hilflosigkeit, in einer Zeit, in der die Politik Orientierung geben müsste.

    Vogt: Wir hatten im Jamaika-Bündnis einen sehr klugen Koalitionsvertrag ausgehandelt mit CDU und Grünen. Daran konnten wir uns vor allem vor der CoronaKrise sehr gut orientieren. Bei strittigen Themen haben wir uns als FDP meist sehr engagiert mit den Grünen auseinander­gesetzt und viel durchgesetzt. Die CDU hat dann meistens nur erklärt, dass sie mit der Einigung gut leben könne. Anschließend hat der Ministerpräsident das Ergebnis dann auf einer Pressekonferenz verkündet. Das wird jetzt viel schwieriger. Die CDU hat im Koalitionsvertrag einige Punkte gemacht. Aber ich bin mir recht sicher, dass die Grünen sich bei den meisten Themen am Ende durchsetzen werden. Die CDU müsste jetzt den Rücken gerade machen, und Herr Günther müsste, statt zu moderieren, Führung zeigen. Aber inhaltlich ist die Partei so etwas von flexibel, dass ich glaube, dass die ambitionierten Grünen die CDU reihenweise über den Tisch ziehen werden. Ich befürchte, dass die Grünen der Koalition ihren Stempel aufdrücken werden

    Harms: Normalerweise steht in einem Koalitionsvertrag klar aufgeschrieben, was man machen will. Das ist hier nicht passiert. Im schwarz-grünen Vertrag stehen mehr als 150 Prüfaufträge. Das heißt übersetzt: Wir wissen nicht weiter, wir haben keine Ahnung und verschieben die Lösung auf irgendwann später. Es wird Konflikte geben. Die werden für Schleswig-Holstein zum Problem, denn die Herausforderungen werden immer extremer und dringlicher. CDU und Grüne sind der Problemlösung aus dem Weg gegangen, um schon nach vier Wochen einen Koalitionsvertrag vorzulegen. Aber der Ministerpräsident ist noch nicht einmal in der ersten regulären Landtagssitzung in der Lage, eine Regierungserklärung abzugeben, weil er sich mit seiner Koalition nicht einig ist.

    Losse-Müller: Unter den 140 oder 150 Prüfaufträgen sind nur sehr wenige, bei denen es überhaupt etwas zu prüfen gibt. Eigentlich gibt es hier nur etwas zu entscheiden. Ich sehe es übrigens anders als Herr Vogt: Ich glaube nicht, dass sich die Grünen durchsetzen werden. Sie blicken furchtsam auf die Konflikte, bei denen sie jetzt Entscheidungen treffen müssen und nicht mehr die FDP als Ausrede haben.

    Ist jetzt, in einer der größten Krisen der Nachkriegsgeschichte, für eine Landesregierung die Zeit zu sparen oder zu investieren?

    Harms: Die Landesregierung muss natürlich investieren. Die Steuereinnahmen steigen – wie in der Vergangenheit. Wir haben kein Finanzierungsproblem. Deshalb ist die Diskussion über die Schuldenbremse Tinnef. Wir brauchen sie zum Schutz nachfolgender Generationen. Die Frage ist: Geben wir die Gelder, die wir haben, sinnvoll aus? Ein günstiges Mobilitätsticket wäre sinnvoll. Diese Verantwortung nimmt das Land aber nicht wahr.

    Herr Vogt, geben CDU und Grüne das Geld sinnvoll aus?

    Vogt: Das bleibt abzuwarten. Ich fürchte aber, dass CDU und Grüne weiter Stellen in der Landesverwaltung aufbauen. Aber wie viele neue Stellen für Lehrkräfte oder in der Polizei geschaffen werden – diese Aussage fehlt im Koalitionsvertrag genauso wie die Angabe, wie es mit den Kitagebühren weitergehen soll. Man muss aktuell nicht neue Schulden machen, anders als in der Corona-Krise. Aber man muss Schwerpunkte im Haushalt setzen. Nur: Die sehe ich bei Schwarz-Grün nicht.

    Trotz aktuell hoher Belastungen des Gesundheitswesens in Folge der Pandemie wurde das funktionierende Gesundheits- und Sozialministerium auseinandergerissen, wie es heißt, nur weil die neue grüne Sozialministerin keine Lust auf die Verantwortung für den Bereich Gesundheit gehabt haben soll. Jetzt gibt es ein Ministerium, das gleichzeitig für Gesundheit und Justiz zuständig ist. Ist das vor dem nächsten Corona-Herbst vernünftig?

    Vogt: Das ist für die beiden Gesundheitsabteilungen eine absolute Zumutung. Diese Menschen haben in den vergangenen Jahren die Pandemie sehr gut gemanagt und werden jetzt wie eine heiße Kartoffel herumgereicht. Damit wird man auch der Justiz im Land nicht gerecht. Dass die Grünen die Zuständigkeit für Gesundheit nicht haben wollten, spricht Bände. Ihnen war der Kurs der alten Landesregierung oft viel zu liberal. Dabei ist kein Bundesland so gut durch die Corona-Krise gekommen wie wir – und das mit den wenigsten Verboten. Wir haben durch Überzeugung und Aufklärung gepunktet und so auch die hohe Impfquote erreicht.

    Harms: Was Heiner Garg mit dem Ministerium als Ganzes in der Pandemie geleistet hat, ist hervorragend. Dieses Ministerium jetzt auseinanderzureißen, ist einer der größten Fehler der neuen Landesregierung. Der zweite ist, Landwirtschaft und Umwelt zu trennen.

    Mit Frau von der Decken für Gesundheit und Justiz und mit Herrn Madsen für Wirtschaft stehen jetzt zwei Seiteneinsteiger an der Spitze von Behörden. Was ist Ihre Erwartung an die beiden? Können die das?

    Losse-Müller: Herr Madsen hat als Oberbürgermeister von Rostock eine Bundesgartenschau nicht organisiert bekommen und sie absagen müssen. Das spricht nicht für ihn. Die Energietransformation und die Wasserstoffwirtschaft kann man aber nicht einfach absagen. Wir hoffen, dass er sich in Schleswig-Holstein beweisen kann. Frau von der Decken ist eine renommierte Professorin. Aber die Konstellation, in der sie jetzt mit Gesundheit und Justiz agiert, erfordert viel operative Erfahrung. Ich bin gespannt.

    Harms: Egal ob jung oder Quereinsteiger – für alle gilt: Lasst die Leute erst mal machen, und wir bewerten später, nach einem oder zwei Jahren, ihre Leistung. Ein Urteil schon jetzt zu fällen wäre unfair.

    Gilt das auch für den Justizstaatssekretär, der für seine Doktorarbeit abgeschrieben haben soll und jetzt unter Plagiatsverdacht steht?

    Harms: Erst einmal gilt die Unschuldsvermutung. Die Vorwürfe müssen jetzt von universitären Gremien überprüft werden. Aber ein mieser Start ist das schon.

    Zurück zu Corona: Die Inzidenz war für einen Sommer ziemlich hoch. Im Herbst und Winter verlagert sich das Leben wieder nach drinnen. Dann dürften die Zahlen weiter steigen. Welche Corona-Politik muss das Land jetzt leisten?

    Losse-Müller: Impfen. Impfen. Impfen. Die Landesregierung muss dafür die Infrastruktur bereitstellen und werben.

    Stellen wir uns vor, die Zahlen stiegen, das Virus bliebe hochansteckend, aber die Verläufe einer Infektion würden wieder heftiger. Sollten die Menschen dann wieder verstärkt im Homeoffice arbeiten können, Herr Vogt?

    Vogt: Ja, Homeoffice kann dann ein Baustein sein, aber es geht halt auch nicht überall. Ich glaube an einen anderen Herbst und Winter als zuletzt. Omikron hat vieles verändert. Die Immunität in der Bevölkerung ist durch Impfung, aber auch durch Ansteckung sehr hoch. Wir müssen die vulnerablen Gruppen gezielt schützen und die Impfkampagne hochhalten. Also: Weiter aufklären und überzeugen vom angepassten Impfstoff.

    Würden Sie Schulschließungen oder Wechselunterricht grundsätzlich ausschließen, auch wenn sich die Lage dramatisch verändert, Herr Harms?

    Harms: Ich würde es nicht generell ausschließen, aber ich würde die Entscheidung den Schulen vor Ort überlassen. Schulen können baulich oder räumlich oder von der Zusammensetzung der Schülerschaft ganz unterschiedlich sein. Deshalb kann es auch unterschiedliche Lösungswege geben. Diese Freiheit sollte man den Schulen geben.