Die Finanzministerin spricht über Corona-Notkredite und aktuelle Krisen, Schuldenabbau und Investitionen, Energiewende und Sparpläne.

Das hoch verschuldete Schleswig-Holstein steht finanziell aktuell deutlich besser da als im vergangenen Herbst noch befürchtet. Das Land nimmt die nächsten Jahre laut Steuerschätzung jeweils 660 Millionen Euro mehr ein als gedacht. Und so will Finanzministerin Monika Heinold von den Grünen die Corona-Notkredite des Landes von ursprünglich 5,5, Milliarden Euro um gut zwei Milliarden Euro reduzieren. Das hat sie am Mittwoch verkündet.

Von den 5,5 Milliarden hat das Land bereits 1,7 Milliarden Euro ausgegeben. Weitere 800 Millionen Euro sind verplant, 530 Millionen Euro sollen in Sondervermögen und Rücklagen überführt werden. Das Hamburger Abendblatt sprach mit der Finanzministerin.

Hamburger Abendblatt: Laut der Mai-Steuerschätzung kann Schleswig-Holstein bis 2026 mit durchschnittlich 660 Millionen Euro mehr pro Jahr rechnen. Warum brauchen Sie dann überhaupt noch Geld aus dem Notkredit?

Monika Heinold: Die Pandemie ist noch nicht vorbei, die Folgen des russischen Angriffskriegs sind deutlich spürbar, und wir müssen weiter in unser Land investieren. Außerdem wollen wir unsere Zusagen einhalten. Gegenüber den Kommunen, denen wir Unterstützung zugesagt haben, und gegenüber der Opposition mit der wir uns im Rahmen des Landtagsbeschlusses zum Notkredit auf zusätzliche Baumittel insbesondere für Krankenhäuser und Schulen verständigt hatten.

Wann beginnen Sie, den Notkredit zu tilgen?

Monika Heinold: 2024, so wie vom Landtag beschlossen. Mit einer ersten Rate in Höhe von 50 Millionen Euro. Damit sind wir deutlich ehrgeiziger als der Bund, der erst 2028 mit der Tilgung seines Notkredits beginnt.

Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse lässt zu, „in Notsituationen Kredite aufzunehmen sowie konjunkturell bedingte Schulden zu machen“. Erst hieß die Notsituation „Pandemie“, dann argumentierten Sie mit der Unterbringung der Ukraine-Flüchtlinge, jetzt mit den Folgen der Energiekrise. Ist das nicht Trickserei, um nicht intensiver sparen zu müssen?

Monika Heinold: Nein. Wir leben in Zeiten multipler Krisen. Da ist es wichtig, als Staat handlungsfähig zu sein. Aber ich stimme Ihnen zu, dass die Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung keine Dauerlösung sein kann. Im Grundsatz ist die Schuldenbremse richtig, aber sie gibt keine Antwort, wie wir die extrem großen Zukunftsinvestitionen meistern können. Deshalb bin ich für eine Anpassung des Regelwerks.

Ihr Fraktionschef Lasse Petersdotter hatte gewarnt, dass wegen der Regelungen zu Notkrediten und Schuldenbremse das Land trotz steigender Einnahmen weniger Geld zur Verfügung haben könnte, weil Mehreinnahmen in die Tilgung des Notkredites fließen müssten. Wollen Sie diese Regelungen jetzt aufweichen?

Monika Heinold: Ich schlage vor, den Notkredit zu reduzieren und im Gegenzug die Steuermehreinnahmen zur Ausgabefinanzierung statt zur Tilgung zu nutzen. Das scheint mir angesichts der veränderten Steuerprognose ein vernünftiges Konzept zu sein.

Wie stehen Sie zu Petersdotters Aussage, wonach der „Schuldenabbau in derzeitiger Lage des Landes nicht wichtig“ sei?

Monika Heinold: Ich würde es eher so formulieren: Wichtiger als Tilgung sind im Moment eine gezielte Entlastung der Bürgerinnen und Bürgern sowie Investitionen in die Energiewende.

Schleswig-Holstein hat Schulden von weit mehr als 30 Milliarden Euro angehäuft. Die Verschuldung liegt pro Einwohner mit fast 11.000 Euro doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Jetzt steigen die Zinsen. Jeder Prozentpunkt Zinserhöhung dürfte das Land 300 Millionen Euro kosten wird. Wie dramatisch ist die Lage für das Land?

Monika Heinold: Die Entwicklung der Zinsen ist für unser hoch verschuldetes Land natürlich sehr ausgaberelevant. Aber das Gute ist, dass wir in den vergangenen Jahren mit einer ambitionierten Zinssicherungsstrategie Vorsorge getroffen haben. Stand heute könnten wir mit den bisher geplanten rund 416 Millionen Euro Zinsen für das Jahr 2023 auskommen.

Der Staat ist einer der Gewinner der Energiekrise, die gestiegenen Preise sorgen für erheblich höhere Steuereinnahmen. Nach Hochrechnungen werden die deutschen Haushalte 2022 mindestens 3,6 Milliarden Euro mehr Mehrwertsteuer zahlen müssen als 2021. Muss der Staat das Geld nicht zurückgeben an die Menschen?

Monika Heinold: Der Bund hat bereits große Entlastungspakete auf den Weg gebracht, und Schleswig-Holstein zahlt da fleißig mit. In diesem Jahr sind es 190 Millionen Euro für unser Land. Trotz der hohen Kosten werbe ich für weitere Entlastungspakete, unter anderem für eine Erhöhung des Wohngeldes. Aber die Maßnahmen müssen diesmal gezielter helfen. Es kann nicht sein, dass Rentnerinnen und Rentner wie beim letzten Entlastungspaket nichts bekommen, aber ich als Ministerin unterstützt werde. Im Gegenteil! Menschen mit sehr hohen Einkommen könnten mehr Steuern zahlen. Und so helfen, dass wir als Gesellschaft denen helfen können, die Hilfe brauchen. Das Stichwort heißt Solidarität in der Krise.

Wo muss Schleswig-Holstein trotz finanzieller Herausforderungen unbedingt investieren?

Monika Heinold: Zuallererst in die nachhaltige Entwicklung unseres Landes! Die Energiewende hat großes Potenzial für Schleswig-Holstein. Wir müssen gut und schnell sein, damit Firmen sich bei uns ansiedeln. Und wir müssen bei den Infrastrukturmaßnahmen so verlässlich vorankommen wie in den letzten Jahren. Allein die Hochschulen haben mit 200 Millionen Euro für Modernisierung und Sanierung profitiert. Konkret haben wir uns mit dem Koalitionsvertrag vorgenommen, in die Kindertagesstätten und in den Ausbau des Ganztags an Schulen zu investieren. Und wir haben vereinbart die Innere Sicherheit zu stärken. Wir brauchen einen handlungsfähigen Staat, der die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürgern auch weiterhin garantiert.

Und wo kann gespart werden?

Monika Heinold: Das ist die schwierigste Frage überhaupt. Wir haben in Schleswig-Holstein zehn Jahre Haushaltskonsolidierung hinter uns. In dieser Zeit wurde überall gekürzt: auch im Baubereich, beim Personal und bei Zuschüssen für Vereine und Verbände. Dahin möchte ich nicht zurück. Das erfordert extreme Disziplin und Vorsicht bei neuen Ausgabeprogrammen. Dafür werbe ich sehr eindringlich.

Um Energie zu sparen, schaltet das Land Beleuchtungen ab und regelt in öffentlichen Gebäuden Klimaanlagen runter; es wird auf Ventilatoren verzichtet, in der Heizperiode sollen sich Mitarbeiter Arbeitsplätze teilen. Ihnen als Grüne, die Schleswig-Holstein bis 2040 klimaneutral machen wollen, dürften diese strengen Energiesparpläne doch gefallen haben…

Monika Heinold: Wir alle haben in den vergangenen Jahrzehnten vergessen, wie Energiesparen geht. Wie man das macht und dass man trotzdem gut durch den Alltag kommt, müssen wir erst wieder lernen. Denn wir müssen Energie sparen. Und wir müssen die Regenerativen ausbauen. Aber wir müssen auch den Menschen helfen, die wenig Geld haben. Es geht nicht, dass Bürgerinnen und Bürger mit wenig Geld im Winter frieren müssen.

Frau Heinold, hat die Opposition Recht, wenn sie die Grundsteuerreform und ihre Umsetzung in Schleswig-Holstein ein Desaster nennt?

Monika Heinold: Nein. Das ist pure Oppositionsrhetorik. Die technischen Probleme mit der Plattform ELSTER treffen alle Bundesländer. Das ist kein Schleswig-Holstein-Problem. Aber ja, wer Grundeigentum hat, muss jetzt ein Formular ausfüllen und sich bei Bedarf im Internet oder bei seinem Finanzamt Hilfe holen. Wie bei der Einkommenssteuer kostet auch diese Steuererklärung erst einmal Überwindung.

Ihr alter Koalitionspartner FDP kritisiert, dass Sie sich für ein „viel zu bürokratisches Grundsteuermodell entschieden haben“, das dann auch noch „maximal unfreundlich“ umgesetzt wurde. Bedauern Sie, dass Sie sich für diesen Weg entschieden haben?

Monika Heinold: Nein. Zum einen sparen wir Kosten, weil wir keine eigene Programmierung brauchen. Zum anderen ist das von uns gewählte Bundesmodell gerecht. Wer auf einem werthaltigeren Grundstück wohnt, muss mehr zahlen.

Sie hätten auch mit Hamburg oder Hessen ein gemeinsames Modell entwickeln können, haben sich aber für das heftig kritisierte Bundesmodell des damaligen Bundesfinanzministers Olaf Scholz entschieden. Haben Sie es sich zu einfach gemacht?

Monika Heinold: Bei der Entscheidung waren für mich Gerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit ausschlaggebend. Alle Länder haben eigene technische Voraussetzungen, Datengrundlagen und -verarbeitungen. Wichtig ist, dass wir den Menschen jetzt Hilfestellung geben. Und das machen wir! So haben wir gerade 20.000 Telefontermine freigeschaltet damit sich die Bürger und Bürgerinnen gezielt Hilfe beim Finanzamt holen können. Und wir haben einen neuen Film auf unsere Internetseite gestellt, der Schritt für Schritt und in verständlicher Sprache erklärt, wie das Formular ausgefüllt werden muss.

Aber erst nach einem Monat, in dem die Menschen im Land massiv genervt waren.

Monika Heinold: Wir haben die ersten Erfahrungen ausgewertet und steuern bedarfsgerecht nach. Ich war auch ein wenig überrascht, wie kompliziert das bundesweite Formular aufgebaut ist. Das liegt vermutlich am deutschen Steuerrecht.

Die Menschen sollen das Formular möglichst digital ausfüllen. Haben Sie deren Onlinefähigkeiten überschätzt?

Monika Heinold: Immer wieder wird gefordert, dass Deutschland schneller mit der Digitalisierung vorankommen soll, papierlos arbeiten, ein moderner Staat werden. Wenn es dann konkret wird, kommt die Debatte, warum wir nicht die Papierform wählen. Da uns das klar war, haben wir von Anfang an beide Varianten angeboten. Die Abgabe in digitaler Form ist der Regelfall, eine Abgabe in Papierform ist aber aus persönlichen Gründen ebenfalls möglich.

Wohneigentümerverbände befürchten eine Verdopplung oder gar Verdreifachung der Grundsteuer in begehrten Lagen. Vertreiben Sie die Menschen aus Ihren Quartieren?

Monika Heinold: Davon gehe ich nicht aus. Zumal wir mit den Kommunen fest vereinbart haben, dass die Reform insgesamt aufkommensneutral ist. Also wie bisher für die Kommunen rund 480 Millionen Euro an Einnahmen bringt. Aber es wird Verschiebungen geben, die einen zahlen mehr, möglicherweise, weil sie in einer sehr guten Wohnlage leben, andere zahlen weniger.