Kiel. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident spricht über die steigenden Energiekosten und erklärt, was mit Steuermehreinnahmen passieren sollte.

Am Ende war es richtig knapp: Nur ein Sitz fehlt Daniel Günthers CDU nach der Landtagswahl am 8. Mai zur absoluten Mehrheit im schleswig-holsteinischen Landtag. Statt allein zu regieren, wollte der 49-Jährige dann gern sein Jamaika-Bündnis der vergangenen fünf Jahre neu auflegen. Doch auch daraus wurde nichts. Jetzt regiert erstmals in Schleswig-Holstein Schwarz-Grün. Der Regierungschef spricht im Interview mit dem Hamburger Abendblatt über die massiv steigenden Energiekosten und die Folgen; was mit steigenden Steuereinnahmen passieren sollte, über den Plan von Schwarz-Grün, Schleswig-Holstein bis 2040 klimaneutral zu machen, und über das CDU-Profil, das er stärken will.

Hamburger Abendblatt: Asylpolitik und Corona – auf diese Themen setzen vor allem Rechtsradikale seit Jahren, um Sorgen und Ängste unter den Menschen für ihre Ideologie zu missbrauchen. Jetzt sehen sie eine neue Chance: die Energiekrise, die hohen Preise, der Krieg Russlands in der Ukraine. Befürchten Sie im Herbst eine Eskalation der sozialen Spannungen, Herr Günther?

Daniel Günther: Wir stehen in der Verantwortung, dass das nicht passiert. Deshalb müssen wir uns als Rechtsstaat und als Demokraten der Entwicklung entgegenstellen und bei allen Maßnahmen, die jetzt anstehen, den sozialen Ausgleich im Blick haben. Wir müssen Menschen mit geringeren und mittleren Einkommen entlasten, um Spannungen von vornherein zu vermeiden.

Verfassungsschützer warnen, dass Extremisten, sogenannte Delegitimierer und Reichsbürger, versuchen werden, Proteste für ihre ideologischen Zwecke zu missbrauchen. Und deren Zahl nimmt laut Ihrem Verfassungsschutzbericht deutlich zu. Schon ohne die Folgen des Krieges und die Energiekrise hatten die „Spaziergänge“ in Schleswig-Holstein vergangenen Herbst und Winter enormen Zulauf. Womit rechnen Sie in diesem Jahr?

Daniel Günther: Ich will die Proteste nicht herbeireden. Wir haben in Schleswig-Holstein eine andere Lage als in manchen anderen Bundesländern, was die Form des Protestes angeht. Die Akzeptanz für die Maßnahmen war bei uns meist hoch, diese Bewegung ist daher hier eher kleiner. Aber natürlich beobachten wir die Entwicklung ganz genau, und wir müssen uns dagegenstemmen, dass Radikale die Situation ausnützen.

In wenigen Tagen läuft der staatliche Zuschuss auf Benzin und Diesel aus, die Preise werden dann um 30 Cent pro Liter deutlich steigen. Auch Gas, Strom und Lebensmittel werden immer teurer. Viele Menschen sind in großer Sorge. Droht Schleswig-Holstein eine neue Armut?

Daniel Günther: Dieses Problem können wir als Land allein nicht bewältigen. Wir müssen langfristig Abhängigkeiten von einzelnen Energieträgern wie die vom russischen Gas beenden und damit künftig solche Preissprünge verhindern. Kurzfristig müssen wir die Menschen unterstützen. Dazu braucht es sehr schnell Entlastungsmaßnahmen, wir werden uns sehr genau ansehen, wie der Vorschlag des Bundes aussehen wird.

Bundesfinanzminister Christian Lindner hat ein weiteres Entlastungspaket in der vergangenen Woche angekündigt. Der Grundfreibetrag soll wie das Kindergeld erhöht werden. Was hätten Sie an seiner Stelle getan?

Daniel Günther: Es muss darauf geachtet werden, dass die breite Mitte der Gesellschaft und die Menschen mit geringem Einkommen profitieren. Es ist klug, über Steuersenkungen den Menschen mehr Spielraum zu lassen. Gerade eine Erhöhung des Grundfreibetrags ist wichtig.

Der Staat ist einer der Gewinner der Energiekrise, die gestiegenen Preise sorgen für erheblich höhere Steuereinnahmen. Nach einer Untersuchung werden die Haushalte 2022 mindestens 3,6 Milliarden Euro mehr Mehrwertsteuer zahlen müssen als 2021. Es ist aus Ihrer Sicht also richtig, wenn der Staat den Menschen das Geld über Entlastungspakete zurückgibt?

Daniel Günther: Das muss auf jeden Fall sichergestellt werden. Der Staat darf von den gestiegenen Mehrwertsteuereinnahmen nicht profitieren. Diese Einnahmen müssen an die Bürgerinnen und Bürger zurückgegeben werden und so die Belastung senken.

Wie stehen Sie zum Lieblingsprojekt der Linken, eine „Übergewinnsteuer“ einzuführen?

Daniel Günther: Das ist kein Lieblingsprojekt der Linken allein, sondern ein Thema, für das ich Verständnis habe. Wenn in bestimmten Branchen Unternehmen ihre besondere Marktposition gerade in Krisenzeiten ausnutzen, dann muss das für die Unternehmen auch finanzielle Konsequenzen haben. Dazu braucht es ein kluges Instrumentarium. Die Antwort einer Übergewinnsteuer ist da zu einfach. Insgesamt gilt, wenn der Staat in der Krise Unternehmen stützt, die in eine schwierige Lage geraten sind, ist es legitim, dass sich Unternehmen umgekehrt auch beteiligen, die aus einer Krise heraus ein überragendes Ergebnis erzielt haben.

Wie bewerten Sie das Management der Bundesregierung – kann Bundeskanzler Scholz Krise?

Daniel Günther: Es mangelte bisweilen an einer guten Kommunikation. Das hat es in manchen Phasen eher schwierig gemacht. Es ist in Krisenzeiten aber besonders wichtig, dass wir als Bundesländer und ich als Ministerpräsident nicht lange darüber lamentieren, was nicht optimal läuft. Wir stehen in einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung. Deshalb versuche ich überall zu unterstützen, um mit dafür zu sorgen, dass Deutschland gut durch diese Zeit kommt. Wo wir inhaltlich unterschiedliche Auffassungen haben, besprechen wir das in den zuständigen Gremien.

Wirtschaftswissenschaftler haben Szenarien entwickelt was passiert, wenn sich der Gaspreis um 50 Prozent erhöht oder gar verdoppelt. Danach droht der Verlust Hunderttausender Jobs und ein weiterer starker Anstieg der Teuerung. Wie weit gehen Ihre Befürchtungen?

Daniel Günther: Die Situation ist verdammt ernst. Wir müssen uns mit zwei Szenarien auseinandersetzen: Wie teuer wird das Gas und wie können wir entlasten?, ist das eine. Das Zweite ist, bekommen wir genug Gas geliefert? Was müssen wir tun, damit wir nicht in eine Gasmangellage im Winter kommen? Darauf bereiten wir uns vor mit dem Dreiklang von sehr schnell wirkenden Einsparungen, kurzfristigen Ersatz­lösungen und langfristen Maßnahmen zur Stärkung der Energieunabhängigkeit. Wir wollen einerseits dafür sorgen, dass möglichst niemand frieren muss. Wir wollen aber andererseits auch dafür sorgen, dass die Unternehmen möglichst produzieren können. Das ist wichtig, um die wirtschaftlichen Verwerfungen klein zu halten und Arbeitsplätze zu erhalten.

Wie ist Ihre Einschätzung für den kommenden Herbst und Winter: Ist die Versorgung mit Gas gesichert?

Daniel Günther: Gesichert ist sie nach den Szenarien der Bundesnetzagentur nicht. Es wird fieberhaft daran gearbeitet, trotz geringerer Gaslieferungen die Speicher zu füllen. Aber auch die Wirtschaft, die Verwaltung, letztlich jeder Bürger muss einen Beitrag leisten. Gerade Menschen, denen es gut geht, sollten solidarisch vorangehen und Energie sparen.

In Schleswig-Holstein steht eines der jüngsten und zugleich zuverlässigsten Kernkraftwerke Deutschlands. Brokdorf ist Ende 2021 vom Netz gegangen. Wäre es nicht sinnvoll, das Kernkraftwerk vorübergehend wieder hochzufahren?

Daniel Günther: Wir produzieren in Schleswig-Holstein mehr Strom aus Windkraft, als wir ihn derzeit verbrauchen oder aber weitertransportieren können. Wenn wir jetzt hier ein Kernkraftwerk wieder ans Netz nähmen, müssten wir automatisch die Windkraftanlagen abdrosseln. Deshalb ist die Situation eine andere als in anderen Bundesländern.

Laut Plan gehen die drei noch laufenden deutschen AKW Ende 2022 vom Netz. Wäre es nicht sinnvoll, diese deutschen Kernkraftwerke weiterlaufen zu lassen?

Daniel Günther: Ich bin offen für den Vorschlag, Kernkraftwerke, die sofort in der Lage sind, Strom in Netze einzuspeisen, länger in Betrieb zu lassen. Mit dieser Frage werden wir uns dann konkret auseinandersetzen, sobald die vom Bundeswirtschaftsministerium beauftragten Stresstests vorliegen. Das wird in den kommenden Wochen der Fall sein. Auf dieser Basis können wir dann eine gesicherte Entscheidung treffen. Wir dürfen unsere Energieversorgung nicht in Gefahr bringen.

Sie haben im Koalitionsvertrag festgeschrieben, Schleswig-Holstein bis zum Jahr 2040 zum ersten klimaneutralen Bundesland machen zu wollen. Was bedeutet das für die Menschen, worauf müssen sie sich einstellen?

Daniel Günther: Niemand muss Angst vor einem klimaneutralen Industrieland haben. Die Menschen können sich am Ende darauf freuen. Denn wir haben damit die Chance, mehr und bessere Arbeitsplätze zu schaffen. Das zeigt sich mit dem Bau der Batteriezellenfabrik von Northvolt bei Heide in Dithmarschen. Hier entstehen 3000 Arbeitsplätze und noch deutlich mehr bei den Zulieferern. Als Land Schleswig-Holstein werden wird den Ausbau der erneuerbaren Energien noch vorantreiben. Wir brauchen aber auch die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger. Für sie werden wir ein Klimaschutzprogramm von 50 Millionen Euro auflegen, um die Menschen beispielsweise bei der Umstellung auf umweltfreundliche Wärmeversorgung zu unterstützen. Bereits im kommenden Winter wollen wir die Beantragung einer Förderung von Wärmepumpen, Batteriespeichern und weiteren Technologien ermöglichen.

Schleswig-Holsteiner, die ein Haus bauen wollen, müssen von 2025 an eine Solar­anlage auf dem Dach installieren. Inklusive einer Batterie zur Speicherung des selbst erzeugten Stroms kostet das die Menschen schnell mal 30.000 Euro mehr. Wie sollen sie sich das leisten?

Daniel Günther: Dafür bedarf es staatlicher Anreize. Unser Landesprogramm muss vom Bund flankiert werden. Gerade bei Neubauten ist die Pflicht aber vertretbar. Das wird sich in vielen Bereichen auch rechnen.

Sie haben ein stärkeres CDU-Profil in der neuen Landesregierung angekündigt. Woran kann man das jetzt schon erkennen?

Daniel Günther: Der Koalitionsvertrag trägt eine klare CDU-Handschrift. Wirtschaftliche Stärke, die Energiewende als Chance für Arbeitsplätze, eine Fortentwicklung der Landwirtschaft zusammen mit unseren Bauern, Bürokratieabbau und Beschleunigung von Planungsprozessen, ein klarer Fokus auf der inneren Sicherheit. Die Kernthemen der Union sind absolut im Koalitionsvertrag wiederzufinden. Das werden wir jetzt im aktiven Regierungshandeln zeigen.

Welches sind die Schwerpunkte, die Sie persönlich als Ministerpräsident die nächsten fünf Jahre setzen wollen?

Daniel Günther: Das Topthema ist die Energiewende und dass wir daraus wirtschaftliche Stärke für Schleswig-Holstein entwickeln. Wie weit wir bei diesem Thema vorankommen – daran will ich mich persönlich messen lassen. Das zweite ganz wichtige Thema lautet: Wie generieren wir Fachkräfte? Wo und wie finden wir Menschen für den Tourismus oder die Pflege, wo Lehrer und Ingenieure. Hier haben wir schon Schwierigkeiten, die Studienplätze zu besetzen. Wir müssen die Fachkräfte im Land qualifizieren, und wir müssen zudem attraktiv sein, damit Menschen nach Schleswig-Holstein kommen. Wir müssen die Zuwanderung voranbringen und uns aber auch um Fachkräfte aus anderen Bundesländern bemühen.

Nach der für die CDU erfolgreichen Wahl hatten Sie die Wahl. Sie hätten Schwarz-Gelb haben können, haben sich aber für Schwarz-Grün entschieden. Sollte das Koalitionsmodell im ländlich-konservativen Schleswig-Holstein funktionieren – könnte es dann eine Blaupause für den Bund sein?

Daniel Günther: Absolut. Die Entscheidung ist mir nicht leicht gefallen. Aber wenn ich die Themen sehe, die im Moment wichtig sind, haben wir mit den Grünen große Schnittmengen. Früher herrschte völlige Klarheit: Wenn es für Schwarz-Gelb reichte, wurde das auch gemacht. Aber wenn heute die Grünen fünf Prozentpunkte zulegen und fast 20 Prozent erreichen, während die FDP fast fünf Prozentpunkte verliert und beinahe an die Fünfprozenthürde kommt, hat das eine andere Bedeutung als vor 30 Jahren. Ich glaube, dass wir mit den Grünen im Land eine Menge hinbekommen und ein gesellschaftlich breit aufgestelltes Bündnis geschmiedet haben, das auch viel Aufmerksamkeit aus Berlin erhält.

Dieser Minister baut ein Landwirtschaftsministerium neu auf


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  • Sind Sie mit der Zusammenarbeit mit Hamburg zufrieden, so, wie sie in den vergangenen fünf Jahren lief?

    Daniel Günther: Die Richtung stimmt auf jeden Fall. Das zeigt auch das Beispiel Northvolt. Peter Tschentscher hat geholfen, diese Ansiedlung nach Dithmarschen zu holen. Er hat Northvolt-Manager in Hamburg empfangen, hat das Projekt von Anfang an unterstützt. Ohne Hamburg wäre Heide nicht so attraktiv für den schwedischen Konzern. Das Beispiel zeigt: Wir haben die Zusammenarbeit in den vergangenen fünf Jahren deutlich intensiviert, arbeiten sehr vertrauensvoll miteinander. Aber klar: In der Landesplanung können wir uns noch besser abstimmen und Planungen aneinander vorbei vermeiden. Auch wenn wir dabei vorangekommen sind: Das geht noch besser.

    Am vergangenen Mittwoch waren Sie im Hamburger Volksparkstadion, um von Uwe Seeler Abschied zu nehmen. Was bedeutet Ihnen das HSV-Idol?

    Daniel Günther: Uwe Seeler war eine faszinierende Persönlichkeit mit seiner bescheidenen Art des Auftretens. Er hat mein Leben als Sportler begleitet. Als Kind kannte ich schon seine Tore. Er war ein Idol für jeden, der den HSV mag. Und ich mag den HSV. Drei Jahre hatte ich eine Dauerkarte. Uwe Seeler ist eine absolute Ikone. Sein Tod hat mich traurig gemacht. Deshalb war es für mich als Mensch wichtig, Abschied zu nehmen. Aber Uwe Seeler hat auch über viele Jahre in Schleswig-Holstein gewohnt, deshalb war es auch für mich als Ministerpräsident wichtig.