Kiel. Kristina Herbst ist Parlamentsneuling und übernimmt das höchste Amt in Schleswig-Holstein – doch an Selbstbewusstsein mangelt es nicht.

Landtagspräsidenten – das sind oft „alte weiße Männer“ mit großen Verdiensten ums Parlament und langer politischer Karriere. Kristina Herbst wird im Sommer 45. Sie hat die politische Karriere noch vor sich. Mit Astrid Wallmann in Hessen, Carola Veit in Hamburg, Dennis Buchner in Berlin oder jetzt Kristina Herbst in Schleswig-Holstein ist eine ganz andere Politikergeneration an die Spitze von Landesparlamenten gerückt. Sie wollen die Arbeit, die dort geleistet wird, besser verkaufen, jüngere Menschen ansprechen, Interesse wecken für das, was in diesen Landtagen so passiert. Das Besondere im Fall Herbst: Sie ist nicht nur ziemlich jung – sondern auch Neuling im Parlament.

„Parlamentsneuling und Landtagspräsidentin ist natürlich eher ungewöhnlich. Aber auch spannend. Ich habe die vergangenen fünf Jahre auf der Regierungsbank gesessen, hörte mir die Sitzungen an, durfte aber nichts sagen, nicht klatschen. Gar nichts“, sagt die CDU-Politikerin im Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt. Sie war die stille Beobachterin, die auf diese Art eine ganze Menge mitbekommen hat von der Parlamentsarbeit.

Landtag Schleswig-Holstein: Herbst erfreut über Angebot

Als Staatssekretärin und Amtsleiterin im schleswig-holsteinischen Innenministerium war die enge Vertraute von Regierungschef Daniel Günther auch als Ministerin gehandelt worden. Doch dann kam CDU-Fraktionschef Tobias Koch mit dem Angebot, Parlamentspräsidentin zu werden. „Ich habe mich sehr darüber gefreut und möchte durch mein Zutun alles dafür geben, dass das Landesparlament seine starke Stellung in der Gesellschaft behält. Demokratie fällt ja nicht vom Himmel, sie muss jeden Tag aufs Neue gestärkt werden“, sagt die Mutter dreier Kinder.

Einen kleinen Vorgeschmack darauf, dass unter einer Präsidentin Herbst nicht alles bleibt, wie es war, erlebte die Tage Kiels Oberbürgermeister Ulf Kämpfer. Traditionell ist der Chef des Landesparlaments schmückendes Beiwerk, wenn der OB, ein Ehrengast und der Ministerpräsident bei der Eröffnung der Kieler Woche sprechen. Kristina Herbst ist selbstbewusst genug, sich das nicht gefallen zu lassen. Entweder, sie spreche auch – oder sie verzichte auf die Teilnahme, hatte sie Kämpfer wissen lassen. Und sie sprach.

Kristina Herbst voller Selbstbewusstsein

„Ich bin ja nicht der Blumentopf, der die Ehrengäste umrahmt, nicht das schmückende Beiwerk. So, wie das Parlament nicht nur Beiwerk für die Regierung ist. Das ist übrigens etwas, was sich in der Wahrnehmung deutlich verändern muss. Daran möchte ich die nächsten fünf Jahre arbeiten. Ich bin selbstbewusst genug, eine andere Rolle einzufordern“, sagt die Frau, die in Kiel Betriebswirtschaft studiert hat.

Ihr Vorgänger Klaus Schlie (68) hat sich stark gegen Obdachlosigkeit und für die Tafeln engagiert. Diese Themen sind auch Herbst wichtig. „Ich werde aber natürlich auch eigene Schwerpunkte setzen. Mir liegt beispielsweise die Hospizarbeit sehr am Herzen“, sagt die protokollarische Nummer 1 im Land. Herbst sucht noch ein wiederkehrendes Format, um regelmäßig von den Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteinern zu erfahren, was sie wirklich bewegt. „Dieses Amt eröffnet einem ganz viele Möglichkeiten, mit den unterschiedlichsten Menschen ins Gespräch zu kommen. Das möchte ich sehr gern nutzen.“

Herbst will Rolle anders ausfüllen

Herbst wird die Rolle anders ausfüllen als ihre Vorgänger. Und dabei nicht nur neue inhaltliche Schwerpunkte setzen – sondern auch anders sprechen. „Wir müssen im Parlament eine Sprache sprechen, die die Menschen draußen auch verstehen. Man kann sehr viel und mit Beispielen aus dem Sport erklären. Und damit meine ich nicht: Das Runde gehört ins Eckige. Das wäre zu plump“, sagt die 44-Jährige. „Sport lehrt uns Teamgeist, den Wert ehrenamtlichen Engagements und ist ein hervorragendes Mittel der Integration und Inklusion. Und: Der Sport zeigt uns, dass Niederlagen nicht das Ende der Welt bedeuten.“

Nicht nur die Spitze, auch das Parlament selbst ist nach der Landtagswahl jünger geworden. Kristina Herbst gefällt das. „Junge Leute sprechen anders als erfahrende Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die schon 20 Jahre im Amt sind. In der Begegnung mit den Menschen kann das manchmal von Vorteil sein“, sagt die Frau, die Rennrad fährt und reitet als Ausgleich zur Arbeit.

Herbst will Werbung für Landtag machen

Der Landtag tagt öffentlich, im gläsernen Parlamentsgebäude direkt an der Kieler Förde. Wer möchte, kann die Debatten auch digital live im „Parla-TV“ und „Parla-Radio“ verfolgen. „Was wir aber noch besser machen können, ist die Werbung dafür – und die Hinführung auf die Themen: Was diskutieren wir an welchem Tag? Was bedeutet dieses Thema für die Bürgerinnen und Bürger? Welche Fraktion tritt für welches Thema ein? Wir müssen die Menschen im Vorwege der Sitzungen – gemeinsam mit den Medien – stärker informieren, abholen und sensibilisieren für die Themen, die sie dann live verfolgen können“, gibt Herbst als ein Ziel ihrer Arbeit vor.

Sie habe – trotz CDU-Mitgliedschaft – kein Problem mit der Rolle einer überparteilichen Präsidentin, sagt sie. „Ich bin als Bremerin in einem sozialdemokratischen Haus groß geworden. Hier wäre ich im Leben nicht auf den Gedanken gekommen, mich in der Jungen Union zu engagieren, das war für mich ein absolutes No-Go“, sagt sie. Und dass sie bei der Bundestagswahl 1998 noch SPD gewählt habe. „Aber ich habe BWL studiert. Und als Oskar Lafontaine dann Finanzminister wurde, passte das nicht mehr zusammen mit mir und der SPD. Dann hat mich eine Freundin in Kiel mit zur Jungen Union genommen. Und ich bin hängen geblieben.“ Aber ein typisches Parteimitglied ist sie halt auch nicht. Weil sie vor allem fachlich gearbeitet habe, habe sie auch nicht als „Rampensau“ nur CDU-Positionen verteidigen müssen.

„Eine gute Opposition wird sich ihr Gehör verschaffen“

Im neuen schleswig-holsteinischen Landtag verfügen die Regierungsfraktionen CDU und Grüne über eine Zweidrittelmehrheit; sie können, wenn sie wollen, ohne Rücksicht „durchregieren“. Für Kristina Herbst ist klar: „Ich werde als Präsidentin dafür sorgen, dass keine Abgeordnete, kein Abgeordneter und keine Fraktion behindert wird.“ Um die Opposition zu stärken, wurden aktuell bestimmte Verfahren geändert, zum Beispiel zur Einberufung von Ausschüssen. Kristina Herbst ist sich sicher: „Eine gute Opposition wird sich ihr Gehör verschaffen.“

Dass die AfD nicht mehr im Landtag vertreten sei, sei für die Debatten im Plenum schon ein Gewinn, sagt sie. Emotionalität sei wichtig, weil die Reden für die Beobachterinnen und Beobachter dann spannender seien. „Emotionalität darf aber die Würde des Menschen nicht herabsetzen. Die jetzige Emotionalität ist eine andere als in einem Parlament mit einem rechten Block.“

Behörde umfasst über 150 Mitarbeiter

Als Landtagspräsidentin führt Herbst eine Behörde von mehr als 150 Mitarbeitern. Die 44-Jährige gilt als digitalaffin. Formate wie Videokonferenzen will sie jetzt auch in ihrer neuen Funktion nutzen, um mit den Behördenmitarbeitern ins Gespräch zu kommen und zu bleiben – egal, ob diese in Teilzeit oder Vollzeit arbeiten, ob im Büro oder im Homeoffice.

„Ich will Arbeitsabläufe ändern. Es muss pragmatischer werden. Dafür brauchen wir einen Digitalisierungsschub“, sagt sie. Herbst arbeitet in diversen behördlichen Positionen seit zehn Jahren auch mobil. „Das habe ich bei jeder Stelle, die ich antreten sollte, eingefordert bei drei Kindern. Lediglich nach dem ersten Kind habe ich ein Dreivierteljahr Teilzeit gearbeitet.“

Landtag Schleswig-Holstein: Ausbau des digitalen Arbeitens

Vollzeit mit drei Kindern zu arbeiten funktioniere aber nur, wenn man auch abends für die Behörde den Job erledigen könne. „Das hinzubekommen, war schon ein größerer Kampf. Ich habe ihn durchgefochten und gewonnen“, sagt sie. Und dass sie immer dafür gekämpft habe, wo immer es geht, digitales Arbeiten zu ermöglichen, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie herzustellen. „Das ermögliche ich auch meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, wo immer es geht. Entscheidend ist das Ergebnis – und nicht, wo die Arbeit gemacht wird.“