Neustadt. In Neustadt (Holstein) gibt es jetzt Fisch frisch vom Kutter im Alten Fischeramt. Damit lebt eine alte Tradition wieder auf.
Die Leidenschaft fürs Fischen, sagt Michael Eim, muss genetisch bedingt sein. Schon sein Vater und sein Urgroßvater waren Fischer. Fuhr der Kriminalbeamte aus Neustadt in Holstein bislang immer nebenberuflich mit seinem Kutter „Kerstin“ hinaus in die Ostsee, kann er sich mit seiner Pensionierung nun ganz auf die Fischerei konzentrieren. Davon profitieren auch Gäste und Einheimische. Denn: Seit Anfang des Monats verkaufen Eim und seine vier Fischerkollegen je nach Saison Aale, Scholle, Flundern, Hering, Seelachs, Lachsforelle oder Steinbutt im neuen Geschäft im Fischereiamt und lassen so die alte Fischertradition in der Hafenstadt wieder aufleben.
Groß ist „Kerstin“ nicht. Mit einer Länge von sechs Metern und einem 33 PS starken Motor gehört sie eher zu den kleinen Kuttern. Aber Größe ist nicht alles. „Kerstin“, nach seiner Ehefrau benannt, ist der ganze Stolz des fischenden Kriminalbeamten. Mit ihr fuhr Michael Eim seit 2009 zweimal die Woche frühmorgens gegen 4 Uhr eine halbe bis dreiviertel Stunde hinaus zu den Fangplätzen in die Lübecker Bucht, noch vor der Arbeit.
Ostsee: Michael Eim ging wegen seines Vaters zur Polizei
Im Ruhestand kann der 60-Jährige nun viel häufiger fischen – bis Rettin, Sierksdorf, Niendorf, Grömitz, Haffkrug, Heiligenhafen, Travemünde und Fehmarn erstreckt sich das Fanggebiet. Das Fischen ist eine Leidenschaft, die er sich so erklärt: „Ich mag das, bei Wind und Wetter draußen zu sein, auch wenn es saukalt ist. Es ist schwere Handarbeit“, sagt er und lacht.
„Man muss von dieser Arbeit schon überzeugt sein, und ich wollte immer Fischer werden, bin dann meinem Vater zuliebe zur Polizei gegangen und Beamter geworden.“ Sein Vater war Fischwirtschaftsmeister mit eigenem Betrieb und Mitglied im Fischeramt. Er wusste, dass sein Sohn von der Arbeit auf der Ostsee allein kaum leben kann. Aber die Fischerei ging dem Vater von zwei Kindern (19 und 22 Jahre) nie aus dem Kopf. War er jahrelang Hobbyfischer, hat er später neben seinem Polizeijob die Gesellenprüfung zum Fischwirt abgelegt. Drei Jahre hat das gedauert. „Ich bin sehr beharrlich.“ Klar, musste er als Kriminalbeamter ja auch sein.
Michael Eim führt das Neustädter Fischeramt
Er ist immer allein auf seinem Kutter. Das kann auch schon mal gefährlich werden. Wie damals, als bei starkem Wind der Motor ausfiel, weil sich Sperrholz in der Bootsschraube verfangen hatte, und Eim fast auf einer Sandbank gelandet und dort liegen geblieben war. „Wichtig ist dann, Ruhe zu bewahren und zu überlegen, wie man das am besten löst“, sagt er. Dass er auch in heiklen Situationen nicht in Hektik verfällt, glaubt man diesem Ruhe und Gelassenheit ausstrahlenden Mann sofort. Wie damals, als seine „Kerstin“ im Nebel beinahe von einem anderen Boot gerammt wurde. Oder als diese Möchtegernkapitäne, die sich ein großes Boot ausliehen, um damit anzugeben, an ihm und seiner „Kerstin“ ohne Sicherheitsabstand vorbeibretterten. Das kann brenzlig werden.
Nun führt Michael Eim das Neustädter Fischeramt aus dem Jahr 1474 – das ist damit Deutschlands älteste Fischerinnung. In der Amtsrolle aus dem Jahr 1474 wurden den Neustädter Fischern offiziell die Fischereirechte in Neustädter Gewässern vom Stadtrat übertragen. Auch heute noch – gut 500 Jahre später – gibt es 30 Amtsbrüder. An drei Tagen in der Woche verkaufen Eim und seine Kollegen dort am Osteingang ihren Fisch. Und zwar, das betont Eim, arbeiten sie mit einer schonenden Fangmethode: „Wir benutzen Netze, die kleine Fische wieder freilassen. Und wir beschädigen den Meeresboden nicht.“ So werde Beifang reduziert.
„Die haben die Bucht rasiert, das ist verheerend“
Anders als bei den Großkuttern, sagt Michael Eim. So gibt es derzeit einen Fangstopp für Dorsch. Die Bestände seien derart zusammengebrochen, dass Forscher nicht mehr an eine Erholung glauben. Das liege an der Überfischung in Kombination mit dem Klimawandel. Eim ist hoffnungsvoll: „Das sind Wellenbewegungen, und das gleicht sich immer wieder aus.“ Er habe beobachtet, dass dänische Großfischereien mit 28 Meter langen Kuttern in den vergangenen Jahren die Ostsee leer gefischt hätten.
„Die haben die Bucht rasiert, das ist verheerend.“ Mit Schleppnetzen, so Eim, hätten die Großfischer den Meeresboden umgegraben. Die seien 24 Stunden lang Tag und Nacht unterwegs mit Kuttern, die bis zu 400 PS stark seien. Er könne mit der kleinen „Kerstin“ bei starkem Wind gar nicht rausfahren. „Das ist gefühlte Piraterie“, so Eim. „Bis dahin waren unsere Dorschbestände stabil.“ Störsender an den Netzen sollen Beifang wie Schweinswale und andere Meeressäuger verhindern.
Ostsee: Fisch kann auch von Bord gekauft werden
Während Michael Eim das beim Gespräch im Hafen erzählt, wird er immer wieder von Passanten gefragt, ob er frischen Fisch an Bord seiner „Kerstin“ habe. Hat er heute nicht. Der Bestand für zwei Tage ist bereits im Fischeramt verkauft. Das Prinzip des Hofladens funktioniert. „Man kann den Fisch aber immer noch auch morgens, wenn wir wieder in den Hafen fahren, von Bord kaufen.“
- Sylter bauen Strandkörbe bald selbst – Nachfrage explodiert
- Neue Studie zu Blaualgen-Blüten – Ergebnisse überraschen
- DLRG sucht dringend Hunderte von Rettungsschwimmern
Donnerstags von 8 Uhr bis 12 Uhr und von 13 Uhr bis 16 Uhr sowie freitags und sonnabends jeweils von 8 Uhr bis 12 Uhr hat die neue Verkaufsstelle im Fischeramt, Waschgrabenallee, geöffnet. Das bedient zum einen das steigende Interesse an saisonalen, regionalen und ursprünglichen Produkten und macht gleichzeitig die alte Fischertradition der Hafenstadt erlebbar. Vom 12. bis 14. August laden die Fischer und ihre Frauen zu ihrer Traditionsveranstaltung, dem Fischeramtsfest, ein. Dann braten Michael Eim, seine Kollegen und ihre Frauen Hering in großen Pfannen. Im Festzelt auf dem Netztrockenplatz treten Volkstänzer und Linedancer auf, und es gibt Shanty- und Akkordeonmusik.