Quickborn/Itzehoe. Am Dienstag schilderte die Zeugin Towa-Magda Rosenbaum die Torturen, mit denen die Gefangenen in Stutthof gequält wurden.

Magda Rosenbaum wird im August 98 Jahre alt. Als 19-Jährige wurde sie gemeinsam mit ihrer Familie nach Auschwitz deportiert, wo Vater (54), Mutter (52) und ihr 14-jähriger Bruder starben. Sie und ihre Schwester überlebten – und kamen Mitte August 1944 ins Konzentrationslager Stutthof. Was sie dort schreckliches erlebte, davon berichtete die in Israel lebende Magda Rosenbaum am Dienstag per Videoübertragung im KZ-Prozess vor dem Landgericht Itzehoe.

Dort sitzt die in Quickborn lebende Irmgard F. (96) auf der Anklagebank, die von 1943 bis 1945 als Schreibkraft des Lagerkommandanten Paul Werner Hoppe tätig war und sich wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 11.000 Fällen verantworten muss. Von den Geburtsdaten her liegen neun Monate zwischen den Frauen – und doch trennen sie Welten. Während Magda Rosenbaum, die ursprünglich aus Ungarn stammt und Deutsch in der Schule gelernt hat, in der ihr fremden Sprache über ihr Martyrium berichtet, wirkt die Angeklagte einige tausend Kilometer entfernt im Gerichtssaal seltsam unbeteiligt, als sie wäre sie mit den Gedanken ganz woanders. Und während die Zeugin fast mantraartig wiederholt, ihr ganzes Leben unter den Ereignissen gelitten zu haben und noch heute zu leiden, bleibt Irmgard F. wie immer stumm.

Angeklagte Ex- KZ-Sekretärin: Kein Wort des Bedauerns

Magda Rosenbaum ist die vierte Holocaust-Überlebende, die in dem Verfahren ausgesagt hat. Keiner von ihnen hat von der Angeklagten ein Wort des Bedauerns oder eine Entschuldigung für die erlittenen Qualen gehört. Und die waren, das berichtete die Zeugin eindrücklich, mannigfaltig. Sie sei in einer großen, glücklichen Familie aufgewachsen, so die 97-Jährige. Schläge habe es nie gegeben, starke Worte hätten genügt. Das sei in Stutthof anders gewesen. „Ohne Schläge kam man da nicht durch.“

Der ganze Körper habe stundenlang von den Peitschenschlägen einer Blockaufseherin gebrannt, die eine Barbarin gewesen sei – und passend dazu Barbara hieß. Die 97-Jährige vermutete, dass diese Frau selber eine Gefangene war. „Je schlimmer sie zu uns war, desto früher kam sie frei.“ Und die Aufseherin sei sehr schlimm gewesen. An ihrem 20. Geburtstag habe diese sie mitten in der Nacht mit dreckigem Wasser überschüttet. Sie habe an diesem Tag einen alten Schlager umgedichtet und gesungen „Ich möchte niemals wieder 20 sein“. Laut der Zeugin war dies „die schlimmste Zeit meines Lebens“.

Zeugin: Im Außenlager Thorn "war es am schlimmsten"

Sie berichtete von schrecklichem Hunger, unter dem sie und ihre Mitgefangenen gelitten hätten. Nach zwei Monaten im eigentlichen KZ Stutthof seien sie und ihre Schwester nach Thorn (heute Torun) in eines der Außenlager gekommen. „Dort war es am schlimmsten.“ Von morgens bis abends hätten sie Schützengräben ausheben müssen. Es sei körperlich härteste Arbeit gewesen – ohne ausreichend Nahrung und Körperhygiene. „Unser Körper hat sechs Monate kein Wasser gesehen.“ Sie und ihre Schwester hätten sich morgens eine Tasse dünnen Kaffees geteilt und die zweite Tasse zum Waschen des Gesichts genutzt. „Bei der Befreiung haben viele gedacht, wir sind Neger.“

3000 junge Frauen seien zu Beginn in dem Arbeitslager gewesen. „Drei Monate später waren es noch 900, und das ganz ohne Gas.“ Die harte Arbeit und die unzureichende Ernährung hätten ausgereicht, die Zahl der gefangenen Frauen drastisch zu reduzieren. Magda Rosenbaum berichtet von Unmengen von Läusen, die die Frauen befallen hätten. „Wenn die Läuse einen Körper verlassen hatten, war die Person nicht mehr am Leben. Wir waren zum Teil eifersüchtig auf die Toten.“ Diese hätten es „hinter sich gehabt“.

Magda Rosenbaum flüchtete mit ihrer Familie aus Ungarn nach Palästina

Zum Schluss nahm Magda Rosenbaum an einem der berüchtigten Todesmärsche teil – und wurde durch einen polnischen Zivilist gerettet, der ihr aufhalf, als sie nicht mehr weiterlaufen konnte. „Wer sich hinsetzte, wurde erschossen.“ Selbst ihre Schwester, die ebenfalls mitmarschieren musste, habe damals nicht mehr die Kraft gehabt, sie wieder hochzuziehen.

Die Zeit in den beiden Konzentrationslagern sei für sie zeitlebens „wie ein schwerer Sack auf den Schultern“. Sie habe einen Mann geheiratet, der in Auschwitz war („Er hatte die Nummer 16255 auf der Hand tätowiert“) und sei mit ihm und den zwei Kindern zu Beginn der kommunistischen Diktatur in Ungarn nach Palästina geflüchtet. „Dort mussten wir wieder bei Null anfangen.“ Das sei schon nach ihrer Befreiung und der Rückkehr in der Heimat so gewesen. „Als ich und meine Schwester wieder zurückkamen, war unser Haus abgebrannt worden.“

Die Zeugin würde die Zeit im KZ gern vergessen, könne es aber nicht

Ihre Schwester habe auch im KZ immer auf sie aufgepasst. Die letzten Worte ihrer Mutter in Auschwitz an die Schwester seien gewesen „Pass auf Magda auf.“ Heute sei es die Tochter der Schwester, die sich um sie kümmere, so die Zeugin. Sie wolle die Zeit im KZ gerne vergessen, könne es aber nicht. „Ich habe alles versucht, als ich jünger war. Sport, Musik, einen Psychiater. Es geht nicht.“

Der Prozess wird am nächsten Dienstag fortgesetzt. Dann folgt Verhandlungstag 15 – wieder mit dem historischen Sachverständigen Stefan Hördler.