Quickborn/Itzehoe. Sachverständiger befasst sich mit Rolle von Paul Werner Hoppe. Stutthof-Leiter tauschte mehrfach Untergebene aus, nur Irmgard F. nicht.

Es war am Dienstag Tag elf im KZ-Prozess – und nach zwei Zeitzeugen hatte vor dem Landgericht Itzehoe erneut der historische Sachverständige Stefan Hördler das Wort. Er soll die Prozessbeteiligten über Strukturen und Kommandoebenen eines Konzentrationslagers informieren – und ganz speziell die Rolle beleuchten, die die Angeklagte Irmgard F. (96) aus Quickborn als Schreibkraft in dem KZ Stutthof bei Danzig innehatte.

An letzterem Punkt ist der Experte der Uni Göttingen noch nicht angelangt, der aufgrund des schlechten Gesundheitszustands der hochbetagten Angeklagten maximal zwei Stunden pro Prozesstag Redezeit hat. Er hatte bereits an den Prozesstagen drei, vier, fünf und sechs Ausführungen etwa zum Aufbau eines KZ, zu den unterschiedlichen Abteilungen und auch zu den Frauen im KZ-System gemacht.

Am Dienstag befasste er sich hauptsächlich mit Paul Werner Hoppe – dem Lagerkommandanten, unter dem die Angeklagte – sie muss sich wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 11.000 Fällen verantworten – dort tätig war. Hoppe, der 1932 in die NSDAP und ein Jahr später in die SS eintrat, hatte sich laut Hördler durch ein Geflecht aus Beziehungen unersetzlich gemacht und war die Karriereleiter stetig nach oben geklettert. Am 1. September 1942 wurde er Kommandant des KZ Stutthof – und begann bereits wenig später damit, die Führungspositionen in seinem direkten Umfeld umzubesetzen.

Irmgard F. arbeitete in der Schaltzentrale des KZ

„Hoppe hatte den Kommandantur-stab fest in der Hand und hat sich nie die Zügel aus der Hand nehmen lassen“, zitierte der Historiker aus Vernehmungsprotokollen von Untergebenen. Die Abteilung I, in der die Angeklagte im Kommandanturstab tätig war, sei die Schaltzentrale in dem KZ gewesen, quasi die Kerngruppe der SS in den Lagern. Die Angeklagte habe täglich „mit erfahrenen SS-Leuten zusammengearbeitet, die viele Jahre Dienst im KZ-System geleistet haben“.

Irmgard F. begann ihre Tätigkeit in Stutthof am 1. Juni 1943. Zu diesem Zeitpunkt wurde der Kommandanturstab um weibliche Zivilangestellte erweitert. Hördler betonte nochmals, dass diese freiwillig dort anfingen. So habe die Zustimmung der Betroffenen und des Arbeitsamtes vorliegen müssen, sonst sei die Anstellung nicht vollzogen worden. Zwangsversetzungen dorthin habe es nicht gegeben, so Hördler.

Die Führungskreis des KZ Stutthof habe sich aus Personen des SS-Wach-sturmbann Eimann rekrutiert, das für die ersten Massenerschießungen des NS-Regimes ab 1939 verantwortlich war. Auch der bis 1942 amtierende Lagerkommandant Max Pauly gehörte dieser Einheit an. Als der an die Spitze des KZ Neuengamme wechselte und Hoppe übernahm, habe dieser eigene Getreue in der Führungsebene installiert – und stets nach einer Maxime gehandelt. „Aus Sicht von Hoppe musste der Kommandantur-stab in seinem Sinne geführt werde. Wer nicht in seinem Sinne arbeitete, wurde ersetzt.“ Irmgard F. habe offenbar im Sinne des Kommandanten gearbeitet – sie blieb seit ihrer Anstellung bis zur Befreiung des KZ auf ihrem Posten.

KZ-Leiter besuchte auf der Flucht auch seine ehemalige Sekretärin

Hoppe sei nach Kriegsende untergetaucht und später verhaftet worden. 1948 habe er sich einem Prozess durch Flucht entziehen können und sei dann in den 50er-Jahren erneut gefasst worden. Auf seiner Flucht habe er Irmgard F. und ihren Ehemann, der eine höhere Position im KZ Stutthof bekleidete, besucht.

Nächste Woche soll der Staatsanwalt als Zeuge aussagen, der Irmgard F. 2017 während des Ermittlungsverfahrens befragt hatte. Auf diese Weise sollen diese Aussagen der Angeklagten, die im Prozess schweigt, eingeführt werden. Die Verteidigung hatte vergeblich versucht, die Verwertung dieser Angaben zu untersagen. Bei den Angaben, die die heute 96-Jährige als Zeugin in den Verfahren etwa gegen Hoppe und andere Entscheidungsträger des KZ Stutthof gemacht hatte, war dies der Verteidigung gelungen.

Als Zeugin stand Irmgard F. kein Aussageverweigerungsrecht zu, als Beschuldigte schon. Ob sie dies 2017 bei der Belehrung des Staatsanwalts auch so verstanden hat, ist strittig. Die Verteidiger zweifeln dies an, die Kammer lehnte den entsprechenden Antrag ab. Auch zu diesem Punkt wird der Staatsanwalt noch einmal befragt werden.