Quickborn/Itzehoe. 94-Jähriger erinnert sich im Prozess gegen die angeklagte KZ-Sekretärin Irmgard F. an Hinrichtungen im KZ und nennt grausige Details.

Abraham Koryski ist 94 Jahre alt – und der dritte Stutthof-Überlebende, der vor dem Landgericht Itzehoe gegen die ehemalige KZ-Sekretärin Irmgard F. (96) aus Quickborn aussagte, die sich wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 11.000 Fällen verantworten muss. Im Dezember 2019, als er im Hamburger Prozess gegen den Wachmann Bruno D. als Zeuge zur Verfügung stand, konnte Koryski noch persönlich anreisen. Dienstag wurde er per Video-Schalte aus seinem Altenheim in Haifa in Israel zugeschaltet, ein Dolmetscher übersetzte aus dem Hebräischen.

Abraham Koryski war 16 Jahre alt, als er im September 1944 ins KZ Stutthof kam. Acht Tage war er mit 800 Juden aus Estland per Schiff unterwegs gewesen, ohne Essen, ohne Trinken. Als der Transport dort eintraf, war es tiefe Nacht. Er wurde mit den anderen durch einen kleinen Eingang in eine Baracke getrieben. Dort war es so eng, dass alle im Stehen schlafen musste. Am nächsten Morgen wurden ihm die Haare abrasiert, er erhielt eine Gefangenenuniform und Holzschuhe. „Als wir eintrafen, roch es nach verbrannten Menschen. Uns wurde erzählt, dass uns das auch blühen würde.“

Stutthof-Überlebender: "Jede Hinrichtung mit eigenen Augen gesehen“

Jeden Tag, so erzählt der 94-Jährige, habe er mit Leichen zu tun gehabt. Schon morgens hätten die Personen, die über Nacht gestorben waren, aus der Baracke geschafft werden müssen. Es folgten die Appelle vor dem Block. „Wir standen dort in der Kälte, im Schnee, im strömenden Regen, stundenlang. Manche von uns brachen zusammen und starben an Ort und Stelle.“ Von der Baracke aus habe er den Hinrichtungsplatz sehen können, wo die Häftlinge durch Erhängen oder Erschießen umkamen. „Ich habe jede Hinrichtung mit eigenen Augen gesehen.“

Koryski schildert, wie Offiziere und Wachmänner Gefangene zu bizarren und sadistischen Spielen zusammenriefen. Bei einem habe ein SS-Offizier einen Stuhl zerbrochen und einen Vater samt Sohn aufgefordert, sich zu entscheiden. Entweder einer schlage den anderen tot oder der Offizier werde beide erschießen. „Dann hat der Sohn das Stück Holz auf den Kopf des Vaters geschlagen, ihn auf diese Weise getötet.“

KZ Stutthof: Häufigste Todesursache war der Hunger

Der Lagerälteste habe einen Hund namens Lux gehabt. Der sei häufiger mit dem Befehl „Bring’ mal einen Banditen her“ in eine der Baracken getrieben worden und habe dort einen der Gefangenen gepackt und rausgeschleift. „Draußen wurde diese Person dann getötet.“ Die häufigste Todesursache, so schildert es der 94-Jährige, war der Hunger. „Man hat uns gehende Leichen genannt.“

Der Zeuge beschreibt auch, wie er im Krematorium die nicht verbrannten Knochen einsammeln und auf einen Waggon laden musste, dessen Inhalt dann bergauf geschleppt und in eine Grube abgekippt wurde. „Diese Arbeit habe ich zum Glück nur zwei oder drei Mal machen müssen.“ Dabei habe er auch entdeckt, dass es dort eine Gaskammer gab – inklusive außen einer Büchse mit Gas.

Die Arbeitsfähigkeit der Häftlinge sah dadurch getestet worden, dass sie durch ein Spalier von SS-Männern rennen mussten, die mit Peitschen auf die nackten Füße der Laufenden einschlugen. „Wer auf der anderen Seite ankam, war arbeitsfähig.“ Kurz vor dem Ende des KZ sei man dann auf eine andere Idee gekommen, wie die Zahl der Insassen weiter dezimiert werden konnte. Die Gefangenen seien nachts bei Eiseskälte nackt aus den Baracken in eine eiskalte Dusche und wieder zurück getrieben worden. „Viele haben es nicht überlebt.“

Stutthof-Prozess: KZ-Überlebender hat keine Rachegefühle

Er sei damals als Waise nach Stutthof gekommen – seine Familie sei schon zuvor umgebracht worden – und nach einem der Todesmärsche in der Nähe von Lauenburg befreit worden. Noch heute habe er Angstzustände und schlechte Träume. „Mein ganzes Leben dreht sich um den Holocaust.“ Er habe keine Rachegefühle. Seine Rache sei, dass er überlebt und eine Familie gegründet habe.

„Jeder, der dort gearbeitet hat, egal ob Angestellte, Direktoren oder das Wachpersonal, wusste, was dort läuft.“ Überall hätten Leichen gelegen. „Ein Blick reichte.“ Die Angeklagte kenne er nicht – und sie interessiere ihn nicht. „Meine Botschaft für die nächsten Generationen ist, sich zu erinnern und nicht zu vergessen“, so Koryski. Nächsten Dienstag wird eine weitere Überlebende gehört.