Kiel. Die Landesvorsitzende Serpil Midyatli hat das Zeug, bei der Landtagswahl 2022 Daniel Günther herauszufordern.

Die SPD Schleswig-Holstein wandelt sich – zumindest an der Spitze. Serpil Midyatli (45) ist schon seit zwei Jahren Landesvorsitzende der Nord-SPD. Damals löste sie auf diesem Posten Ralf Stegner (61) ab. Nach diesem Muster könnte es weitergehen. Stegner kandidiert für den Bundestag, im Fall seiner Wahl dürfte er das Amt des Fraktionschefs im Kieler Landtag abgeben.

Und dann ist da noch die Landtagswahl im Frühjahr kommenden Jahres. Tritt Mid­yatli (45) gegen Schleswig-Holsteins Ministerpräsidenten Daniel Günther an? Ihre Antwort im Abendblatt-Interview ist nicht klar – aber doch so klar, wie sie in der aktuellen Situation sein kann.

Mit Stegner verbindet sie ein enormer Fleiß

Die Mutter zweier Kinder ist in Kiel geboren. Mit ihrem Mann hat sie ein Unternehmen der Gastronomiebranche geführt. Als Tochter türkischer Einwanderer hat sie nun die Möglichkeit, die SPD für neue Wähler und Mitglieder zu öffnen.

Mit Stegner verbindet sie ein enormer Fleiß, beide sind im besten Sinne intensive Arbeiter. Im Unterschied zu Stegner, der bisweilen als Zuchtmeister seiner Partei auftrat, setzt Midyatli auf das Mittel der Begeisterung, des Mitreißens. Eine Fähigkeit, die in Wahlkämpfen sehr hilfreich sein könnte.

Hamburger Abendblatt: Daniel Günther hat auf die Corona-Pandemie anfangs mit recht rigiden Verboten reagiert. Seit ein paar Wochen redet er nun Öffnungen das Wort. Ist das richtig?

Serpil Midyatli: Nein, das ist nicht das richtige Signal. Wir haben immer gesagt, dass der Gesundheitsschutz höchste Priorität hat. Daraus müssen sich unsere Maßnahmen ableiten. Das bedeutet, dass wir immer erst die Voraussetzungen für Öffnungen schaffen müssen. Bei Krippen, Kitas und Schulen bedeutet das beispielsweise, dass die Test-Strategie reibungslos funktionieren muss. Das ist leider nicht überall im Land so. Die Reihenfolge, die wir vorgeschlagen haben, lautete: impfen, testen, vorsichtig öffnen. Die Landesregierung hat sich an diesen Fahrplan nicht gehalten. Der öffentliche Druck war groß, schnelle Öffnungen vorzunehmen, das kann ich auch verstehen. Aber ein Teil des Drucks kam auch aus der Regierungskoalition. Dieser Druck darf nicht dazu führen, dass der Ministerpräsident wie beim Osterurlaub Versprechungen macht, die nicht haltbar sind. Wir haben schneller als andere Länder geöffnet und die Infektionszahlen steigen wieder. Ich fühle mich bestätigt in meiner Einschätzung, aber das ist kein gutes Gefühl. Wir sind in einer Pandemie und wünschen uns alle, dass es besser vorangeht.

Die Ministerpräsidenten haben beschlossen, die Schüler möglichst bald zweimal pro Woche auf Corona zu testen. In Schleswig-Holstein hat man gerade erst begonnen einmal pro Woche zu testen. Ist eine Verdoppelung zu schaffen?

Midyatli: Da muss man die Finanzministerin Monika Heinold fragen, ob sie genügend Vorsorge getroffen hat. Sie hat ja behauptet, Schleswig-Holstein sei gut vorbereitet. Unsere Rückmeldungen sind andere. Einige Schulen sagen, sie kriegen das hin, andere haben große Probleme. Sicher ist, dass man die Tests an den Schulen besser hätte vorbereiten müssen. Die Schulen sind nun seit drei Wochen wieder geöffnet, und jetzt, kurz vor den Osterferien, kommen die Tests. Die Berufsschulen wurden komplett vergessen. Die Bevölkerung erwartet, dass das, was auf den Ministerpräsidentenkonferenzen beschlossen wird, auch umgesetzt wird. Aber es gibt in Schleswig-Holstein immer wieder Abweichungen, und das führt zu Frust und Verunsicherung. So sieht gutes Regieren gerade nicht aus.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Aus dem Osterurlaub, den der Ministerpräsident erlauben wollte, wird nun nichts. Hat sich Günther verkalkuliert?

Midyatli: Wir haben es von Anfang an nicht gesehen, dass es Osterurlaub geben kann - unter anderem wegen der Mutationen, die sich ja sehr schnell verbreitet haben. Dazu muss man nur auf die Corona-Entwicklungen in anderen europäischen Ländern schauen. Einige nehmen ja die Entwicklung bei uns gewissermaßen vorweg. Da war uns schon klar, dass Günthers Osterurlaubs-Versprechen nicht zu halten sein wird. Er wollte es wohl so lange wie möglich aufrechterhalten. Ich kann verstehen, dass man in der Hotellerie und der Gastronomie auf Öffnungen hofft. Ich war selbst lange in der Gastronomie tätig. Deshalb weiß ich: Viel pro­blematischer ist es für die Betriebe, wenn erst Erwartungen geweckt und dann wieder einkassiert werden. Man weiß dann gar nicht, ob man sich vorbereiten soll oder nicht.

Dennoch ist die Lage nicht gut in der Tourismusbranche. Wann und wie kann es Öffnungen geben?

Midyatli: Wir werden erst weiterkommen, wenn regelmäßig Tests vorgenommen werden können und ausreichend Impfstoff vorhanden ist.

Das hieße also, bis Mai oder Juni warten zu müssen?

Midyatli: Einen Zeitpunkt kann ich jetzt nicht nennen, das wäre genau so unseriös wie Günthers Osterurlaubs-Aussage.

In gut einem Jahr ist Landtagswahl, die SPD hat sich zumindest bundesweit weiter verschlechtert. Wie kann es in Schleswig-Holstein wieder bergauf gehen?

Midyatli: Aktuell legen wir im Bund etwas zu. In Schleswig-Holstein sind wir zudem ein bisschen besser als der Bundesschnitt, aber das reicht natürlich noch nicht. Es ist aber auch noch nicht die Zeit für Wahlkampf. Im Moment konzentrieren wir uns sehr darauf, gute Vorschläge zur Bewältigung der Corona-Krise zu machen. Wichtig ist es jetzt, alle Kraft darauf zu verwenden, dass wir gut durch die Pandemie kommen.

Mit welchem Spitzenkandidat wird die SPD in die Landtagswahl gehen? Wann wird er nominiert?

Midyatli: Sie sagen „er“. Haben Sie sich etwa schon festgelegt?

Nein, ich bin da durchaus offen. Wann wollen Sie Namen nennen?

Midyatli: Klar ist, dass die Landesvorsitzende das erste Zugriffsrecht hat. Ich habe meiner Partei gesagt, dass wir zu gegebener Zeit mitteilen werden, wen ich als Spitzenkandidatin oder Spitzenkandidat vorschlagen werde. Jetzt steht erst einmal die Pandemiebekämpfung ganz vorn auf der Tagesordnung. Im Spätsommer werden wir das dann festlegen. Das wird richtig groß!

Wäre es für Sie nicht reizvoll, gegen Daniel Günther anzutreten, dem sie bei der Landtagswahl 2012 beinahe den Wahlkreis weggenommen hätten?

Midyatli: Ja, schon. 2017 war es dann leider nicht mehr so knapp. Aber eine Battle haben wir auf jeden Fall noch offen.

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Sie sind eine linke Sozialdemokratin, aber die SPD geht jetzt mit dem eher konservativen Olaf Scholz in die Bundestagswahl. Kommen sie miteinander klar?

Midyatli: Ich kann da kein Problem erkennen. Ich mag Olaf total gern. Wenn man mit guten Argumenten und Vorschlägen kommt, hört er sich das sehr inter­essiert an und lässt sich überzeugen. Mit irgendetwas Aufgebauschtem darf man ihm allerdings nicht kommen, da ist man bei Olaf falsch. Ich messe ihn an dem, was er tut. Und nicht an dem, was ihm manchmal so zugeschrieben wird. In Hamburg hat er die Kitas beitragsfrei gemacht hat – finde ich super. Er war der Erste, der sich ums bezahlbare Wohnen gekümmert hat – finde ich super. Als Schleswig-Holsteinerin mag ich seine zurückhaltende norddeutsche Art. Für mich passt das wie die Faust aufs Auge.