Kiel. “Da findet Ausbeutung statt“: SPD-Fraktionschef hatte Schlachthof scharf kritisiert. Clemens Tönnies zieht vor Gericht. Das Urteil.

Bislang war es der größte Corona-Ausbruch in Deutschland: 1500 Mitarbeiter eines Schlachthofs der Tönnies Holding hatten sich im vergangenen Juni mit dem Coronavirus infiziert. Ralf Stegner, Fraktionschef der SPD im schleswig-holsteinischen Landtag, hatte das scharf kritisiert. „Die Gesetze werden missachtet dort. Das ist ja gar keine Frage“, sagte er in einer Talkshow der Boulevardzeitung "Bild".

Clemens Tönnies, Chef der Tönnies Holding, wollte sich damit nicht abfinden und zog gegen Ralf Stegner vor Gericht. Dort ist er nun gleich zweimal gescheitert.

Der Ausbruch des Coronavirus im Schlachthof in Rheda-Wiedenbrück, dem Tönnies-Stammsitz, hatte im Juni zu einem Lockdown in den beiden Kreisen Gütersloh und Warendorf geführt. 650.000 Menschen waren davon betroffen. Ursache für das explosionsartige Infektionsgeschehen war offenbar unter anderem, dass die vorgeschriebenen Abstände im Schlachthof nicht eingehalten wurden.

Der Corona-Ausbruch bei Tönnies hatte im Juni zu einem Lockdown in den Kreisen Gütersloh und Warendorf geführt.
Der Corona-Ausbruch bei Tönnies hatte im Juni zu einem Lockdown in den Kreisen Gütersloh und Warendorf geführt. © Guido Kirchner/dpa

Hinzu kam, dass Tönnies viele Arbeiten in seinem Betrieb von Subunternehmern erledigen lässt. Die meist aus dem Balkan kommenden Werkvertrags-Arbeitnehmer verdienen wenig Geld und wohnen in beengten Verhältnissen. Das erhöht die Ansteckungsgefahr.

Tönnies verlangt Unterlassungserklärung von Ralf Stegner

Stegner hatte dazu am 13. Juli unter anderem gesagt: „Da findet richtige Ausbeutung statt. Tönnies hat eine Menge damit zu tun, dass wir da einen Corona-Hotspot hatten. So jemand braucht nicht staatliche Hilfe durch Steuergelder, der sollte zur Verantwortung gezogen werden. Vielleicht kommt er irgendwann in staatliche Kost und Logis.“ Am 15. Juli forderte der bekannte Berliner Presseanwalt Christian Schertz deshalb Stegner auf, eine Unterlassungserklärung abzugeben.

Schertz handelte im Auftrag der „Tönnies Holding ApS & Co. KG und Herrn Clemens Tönnies“, wie es in dem Schreiben heißt. Im Fokus der Unterlassungserklärung standen die eingangs genannten Stegner-Sätze: „Die Gesetze werden missachtet dort. Das ist ja gar keine Frage“.

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Der SPD-Politiker weigerte sich allerdings, die gewünschte Erklärung abzugeben. Tönnies zog deshalb vor die Pressekammer des Landgerichts Frankfurt. Zu einem Verfahren kam es dort nicht. Das Landgericht gab vorab den Hinweis, dass es sich „bei der angegriffenen Äußerung nicht um eine Tatsachenbehauptung, sondern um eine zulässige Meinungsäußerung handeln“ dürfte. Die Tönnies-Anwälte zogen daraufhin ihren Antrag zurück und versuchten es nun vor der Pressekammer des Landgerichts Hamburg. Die urteilte am vergangenen Dienstag, der Antrag auf Unterlassungserklärung sei unbegründet.

Stegner darf Tönnies weiterhin kritisieren

Tönnies werde durch die Äußerung von Stegner nicht in seinen Rechten verletzt, weil es sich dabei um eine Meinungsäußerung handele. „Hierbei kommt zum Tragen, dass der Arbeitsschutz unstreitig im Mai 2020 Verstöße gegen die damals geltende Corona-Schutzverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen festgestellt hat“, heißt es in dem Urteil, das dieser Zeitung vorliegt. „Aus den Ausführungen ergibt sich, dass der Einwand der Antragsteller, es hätte nur einzelne Verstöße gegeben, nicht durchgreift.“

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Stegner darf Tönnies also weiterhin in der geäußerten Form kritisieren. Kommentar des SPD-Politikers: „Wenn Herr Tönnies sich mit dem gleichen Eifer um eine Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten in seinen Schlachthöfen kümmern würde, wie er seine Kritiker juristisch verfolgen lässt, müsste die Politik wahrscheinlich nicht mehr mit gesetzlichen Regelungen gegen Ausbeutung, menschenwürdige Unterbringung und andere Auswüchse des Subunternehmerunwesens vorgehen, wie es der Bundesarbeitsminister jetzt tun muss.“

Herr Tönnies habe es selbst in der Hand, durch entsprechende Verbesserungen in seinen Betrieben wirkungsvoller für gute Publicity in eigener Sache zu sorgen, als durch erfolglose Klagen gegen Kritiker.