Berlin. Tradition, Gewohnheit, Identität: Die Deutschen lieben Fleisch. Selbst illegale Praktiken in der Tierhaltung ändern das bislang nicht.
Massentierhaltung, Gammelfleisch und Hygienemängel: Allen Skandalen und Missständen zum Trotz essen die Deutschen pro Kopf und Jahr mit etwa 60 Kilogramm unverändert viel Fleisch – und zwar vorrangig billiges. Ernährungspsychologin Bastienne Neumann erklärt, warum es vielen Konsumenten schwer fällt, ihren Fleischkonsum zu reduzieren und weshalb wir dringend eine andere Wertschätzung gegenüber Nutztieren entwickeln müssen.
Die Verfügbarkeit von Fleisch geht weltweit mit dem Wohlstand einher. Ist Fleisch vor allem ein Statussymbol?
Bastienne Neumann: Fleisch besitzt definitiv eine gewisse Symbolik, auch in Deutschland. Es ist ganz klar auch ein Zeichen von Wohlstand. Früher war Fleisch ein sehr knappes und teures Gut, das deshalb eine hohe Wertschätzung erfahren hat. Man erinnere sich nur an den typischen Sonntagsbraten bei den Großeltern und Eltern. Heute ist Fleisch zwar viel billiger als damals und auch leichter verfügbar, sein Symbolgehalt bleibt aber in unseren Köpfen verankert.
Laut einer Studie der englischen Universität Loughborough stimmen mehr Männer als Frauen der Aussage zu, Fleisch gehöre zu einer gesunden Ernährung. Ist Fleisch essen typisch männlich?
Vor allem in der Werbung wird Fleisch gern als etwas sehr männliches dargestellt. Ich denke da zum Beispiel an Bratwurstwerbung: Da steht doch meistens eher ein Mann statt einer Frau hinter dem Grill. Tatsächlich nehmen viele Männer dieses Bild auch gerne an. Den eigenen Fleischkonsum zu reduzieren, oder gar auf vegetarische oder vegane Ersatzprodukte umzusteigen, empfinden viele deshalb als unmännlich.
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Grund für den anhaltend hohen Fleischkonsum in Deutschland ist also weniger der Genuss, sondern Status und Männlichkeit?
Ich würde den Genuss nicht komplett außen vorlassen, aber viele Menschen verstehen Fleisch zuallererst als Teil der ihrer Kultur und Tradition. Auch die Gewohnheit ist entscheidend. Die deutsche Küche ist sehr fleischlastig. Der Trend, sich vegetarisch oder vegan zu ernähren, löst deshalb bei vielen eine Abwehrhaltung aus. Sie möchten lieber an dem festhalten, was sie schon immer gemacht haben, anstatt es zu hinterfragen. Auch, weil sie ein stückweit Angst davor haben, einen Teil ihrer Identität zu verlieren.
Tatsächlich ernähren sich auch in Deutschland immer mehr Menschen vegetarisch oder vegan. Wie passt das mit dem anhaltend hohen Fleischkonsum zusammen?
Fleischesser fühlen sich durch Menschen, die sich pflanzenbasiert ernähren, mitunter vorgeführt oder ertappt. Oft unbewusst, natürlich. Viele wollen sich dann abgrenzen, indem sie genau das Gegenteil machen: Sich aus Trotz noch ein zweites Schnitzel auf den Teller packen. Der Verzicht der Einen kann also tatsächlich dazu führen, dass die Anderen noch mehr konsumieren.
Aber warum muss es ausgerechnet so viel Billigfleisch sein? Verbraucherinnen und Verbraucher wissen doch um die Quälerei in der Massentierhaltung.
Dass dieses sauber verpackte Fleisch aus dem Supermarkt tatsächlich aus Massentierhaltung stammt, dass in einigen Höfen Krankheiten grassieren und die Tiere deshalb mit Antibiotika vollgepumpt werden, diesen Zusammenhang stellen Verbraucherinnen und Verbraucher oft nicht her. Er ist zu abstrakt. Und für viele so weit hergeholt, dass es ihnen leicht fällt, ihn zu verdrängen. Da hat bereits eine Dissoziation zwischen Tier und Fleisch stattgefunden.
Wie schaffen wir es, diesen Bezug wiederherzustellen?
Wir müssen eine andere Wertschätzung gegenüber Nutztieren entwickeln. Eine, wie sie Generationen vor uns hatten. Wer beispielsweise auf einem Bauernhof gelebt hat und Schweine und Kühe hat heranwachsen sehen, bevor er ihr Fleisch gegessen hat, hat zumeist auch ein entsprechendes Bewusstsein entwickelt: Dafür, dass das Schnitzel mal ein Lebewesen war. Dafür, wie viel Arbeit in der Herstellung steckt und wie viel Fleisch überhaupt aus einem einzelnen Tier gewonnen werden kann.
In Umfragen behaupten Konsumenten gern von sich, vor allem qualitativ hochwertiges Fleisch zu kaufen. Die Realität ist eine andere. Solche Ergebnisse stehen zumeist im Widerspruch zur Menge des Bio-Fleisches, das hierzulande tatsächlich konsumiert wird.
Viele Verbraucherinnen und Verbraucher sagen so etwas, weil sie es gern hätten. Wenn sie dann aber im Supermarkt stehen und die Preise von Billig- mit Bio-Fleisch vergleichen, überwiegt ihr Sparwille. Auch deshalb, weil vielen der Unterschied eben doch nicht ganz klar ist. Theoretisch kennen wir ihn zwar, praktisch fehlt uns aber das Gefühl dafür, weil wir es weder mit Bildern noch Emotionen verknüpfen können.
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Dabei wäre es doch auch aus gesundheitlicher Sicht sinnvoll, weniger Fleisch zu essen. Zahlreiche Studien zeigen, dass insbesondere der Verzehr von rotem Fleisch mit einem erhöhten Risiko für Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und bestimmten Krebsarten in Verbindung gebracht wird.
Ähnlich verhält es sich ja mit dem Rauchen oder fehlender Bewegung: Beides hat langfristige, gesundheitliche Folgen, die im ersten Moment aber nicht greifbar sind. Man könnte Krebs oder Diabetes bekommen – vielleicht gehört man aber auch zu den Glücklichen, die verschont bleiben. Wir wissen zwar, dass uns diese Verhaltensweisen schaden können, die kurzfristige Befriedigung jedoch erscheint attraktiver. Langfristige Ziele zu erreichen, erfordert ja auch allerhand Selbstdisziplin. Da fehlt uns Menschen häufig einfach der Antrieb.
Was sollten Verbraucherinnen und Verbraucher tun, wenn ich meinen Fleischkonsum langfristig ändern möchte?
Zuerst ist es wichtig, herauszufinden, warum man das eigentlich möchte. Geht es um ökologische, gesundheitliche oder ethische Gründe? Denn wer sein eigenes „Warum?“ kennt, kann sich immer wieder darauf besinnen.
Welche Anreize könnten zusätzlich von „außen“, beispielsweise von Politikerinnen und Politikern, geschaffen werden, um Konsumenten dabei zu helfen, ihren Fleischkonsum zu reduzieren?
Es ist sicher auch sinnvoll, das Angebot vegetarischer und veganer Fleischalternativen aufzustocken. Solche Produkte machen es leichter, auch mal auf Fleisch zu verzichten.
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Könnte die Einführung der viel diskutierten Fleischsteuer ebenfalls helfen?
Davon bin ich nicht wirklich überzeugt. Es besteht die Gefahr, dass die breite Gesellschaft das als Bevormundung versteht und deshalb eine krasse Widerstandshaltung einnimmt. Außerdem würde eine Fleischsteuer vor allem Geringverdiener treffen, während sich Menschen mit einem höheren Einkommen einfach weiterhin ihr Fleisch leisten können, ohne sich einschränken zu müssen.
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