Kiel. Ministerpräsident dementiert Lockerungen. Ferienhausbesitzer sind irritiert. Kritik kommt von der Opposition und von Medizinern.

Kurz vor Ostern hat Schleswig-Holstein mit neuen Regeln zu Reisen im Land und einem Video des Ministerpräsidenten, der erklärt, es habe sich an den Regeln doch nichts geändert, für Verwirrung gesorgt. Die Opposition spricht von einem „Osterchaos“.

Schleswig-Holstein war seit Beginn der Coronakrise eines der Bundesländer, das sich mit einer Vielzahl von Verfügungen am stärksten nach außen abschottete und so versuchte, die Verbreitung des Virus einzudämmen. Zunächst wurden Touristen aus dem Land geschickt, dann Ferienhausbesitzer. Schließlich wiesen Polizisten am vergangenen Wochenende an der Grenze zu Hamburg nicht nur Hunderte Autofahrer, sondern auch Fußgänger und Radfahrer ab.

Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) telefonierte wegen dieser „unfreundlichen Episoden“ mehrfach mit Schleswig-Holsteins Ministerpräsidenten Daniel Günther (CDU) und sagte unter anderem, dass man sich angesichts der großen gemeinsamen Anstrengungen bei der Bekämpfung des Virus „künstliche Grenzen“ und „Feindseligkeiten“ nicht leisten könnte.

Am Mittwoch wurde Landesverordnung ergänzt

Günther scheint trotzdem an seinem Kurs festzuhalten. In einem Video, dass am Donnerstagabend veröffentlich wurde, sagte er: „Wir sehen uns der Kritik ausgesetzt, ob unsere Maßnahmen in Schleswig-Holstein zu hart gewesen sind. Ich kann mit dieser Kritik gut leben.“ Er werde bei diesem klaren Kurs bleiben, auch nach dem 20. April.

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Dabei hatte die Landesregierung ihre Strategie erst am Mittwoch in einem nicht unwichtigen Punkt verändert. Bisher hatte Schleswig-Holstein alles unternommen, um Reisen ins Bundesland zu verhindern, weil man die medizinischen Kapazitäten nicht gefährden wollte. Kurz vor Ostern wurde in eine ergänzte Landesverordnung nun aber ein Absatz eingefügt, „welcher regelt, dass die Beschränkungen nicht für Reisen zu oder für ein Zusammenkommen von Ehegatten, Geschiedenen, eingetragenen Lebenspartnern, Lebensgefährten, Geschwistern und in gerader Linie Verwandten gelten“. Weiter heißt es: „Die Teilnehmerzahl eines solchen Zusammenkommens im privaten Raum sowie entsprechender Zusammenkünfte im öffentlichen Raum darf insgesamt zehn Personen nicht übersteigen.“ Zur Erinnerung: Durch das bundesweit geltende Kontaktverbot ist es verboten, sich mit mehr als einer Person zu treffen, die nicht zu der Familie gehört, mit der man in einem Haushalt zusammenwohnt.

Mediziner kritisieren das Vorgehen der Kieler Regierung

Der neue Passus klingt wie ein Abkehr von der bisher strengen Strategie Schleswig-Holsteins – und er sorgt für Verwirrung wie Unverständnis: Als Felix Reiche die Ersatzverkündung zur „Landesverordnung über Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus in Schleswig-Holstein“ sah, traute er seinen Augen nicht. Seit Wochen kämpft der Hamburger Rechtsanwalt dafür, sein Ferienhaus in St. Peter-Ording im Kreis Nordfriesland nutzen zu können, ist mit Einsprüchen vor mehreren Gerichten gescheitert und will demnächst eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einlegen. Und eigentlich war für Reiche klar, dass er über Ostern nicht nach Schleswig-Holstein fahren darf.

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Doch mit der am Mittwoch erlassenen Ersatzverfügung ist auf einmal alles anders: „Ich darf zwar nicht mit meiner Familie in unsere Zweitwohnung nach St. Peter-Ording fahren und dort allein die Ostertage verbringen“, sagt Reiche. „Dafür erlaubt Paragraph 2 der neuen Verkündung, dass meine Frau, unsere Kinder und ich von Hamburg in den Kreis Rendsburg-Eckernförde reisen, um meine dort lebenden Schwiegereltern zu besuchen. Und ich könnte genauso nach Kiel fahren, um dort meine Mutter zu treffen, obwohl alle diese Personen älter als 75 Jahre sind und damit einer Risikogruppe angehören“, sagt Reiche, der Schleswig-Holsteins Politik in der Coronakrise nicht mehr versteht: „Was diese Differenzierung noch mit Infektionsschutz zu tun haben könnte, wird sich mir in diesem Leben nicht mehr erschließen.“ Ähnlich sehen das offenbar Mediziner, die fragen, „welche Argumente es gibt, dass ein Verwandter ein weniger hohes Infektionsrisiko darstellt“. Und Ralf Stegner, Fraktionsvorsitzender der SPD im Kieler Landtag, kritisierte: „Ausdrücklich festzustellen, dass erlaubt ist, wovor man öffentlich mit Nachdruck warnt, ist eher was für Juristen.“

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Günther stellt klar: Es hat keine Lockerungen gegeben

Angesichts der Kritik legte Ministerpräsident Daniel Günther am Abend mit dem bereits angesprochenen Video nach, in dem er sagt, dass sich „am Regelwerk nichts geändert und es an keinem einzigen Punkt eine Lockerung gegeben hat“. Er forderte die Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner auf, sich an die „Regeln zu halten, genau wie an den vergangenen Wochenende“. Doch die Regeln haben sich durch den Kabinettsbeschluss tatsächlich geändert, die Pressestelle betont das sogar in ihrer Mitteilung von Mittwoch an der Stelle, an der es um die zehn Personen geht, die sich innerhalb einer Familie über Ostern treffen können: „Dies ist eine Neuerung und nicht nur eine Klarstellung“, heißt es. 24 Stunden später sagt Günther in seinem Video, dass man lediglich „in einem Bereich die Regelung klarer festgestellt habe“.

Der Ministerpräsident wirkt in der Aufnahme sehr ernst und entschlossen, wenn er die Menschen auffordert, über Ostern maximal zu zweit unterwegs zu sein und den Mindestabstand von 1,5 Meter immer einzuhalten. In dem Video ist übrigens auch zu sehen, wie er sich am heutigen Mittwoch mit einem Krisenstab beraten hat – und dabei Schulter an Schulter mit Finanzminister Monika Heinold an einem Konferenztisch sitzt…