Hamburg. Schleswig-Holstein schottet sich ab: Mehr als 1000 Hamburger wurden am Wochenende abgewiesen. „Corona-Mauer“ soll bleiben.
Hamburger dürfen im Zuge der Coronakrise auch weiterhin nicht für Freizeitaktivitäten nach Schleswig-Holstein kommen – auch dann nicht, wenn sie dort nur spazieren gehen wollen. Das hat Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) am Montag bekräftigt.
Noch am Sonntag hatte es in der Hamburger Senatskanzlei geheißen, das „Einreiseverbot“ werde zumindest für Radfahrer und Fußgänger aufgehoben. Ob daraus etwas wird, ist zumindest unklar. „Es geht darum, dass alle möglichst zu Hause bleiben. Die Maßnahmen zur Eindämmung der „touristischen Verkehre“ seien „gut begründet“. Schleswig-Holstein, so scheint es, schottet sich ab – mit einer „Coronamauer“.
Coronavirus im Norden: An der Ostsee ist noch "zu viel los"
Schon vor ein paar Tagen hatte sich angekündigt, dass da etwas in der Luft liegt. Das nördlichste Bundesland legte am Freitag einen Bußgeldkatalog vor, mit dem Verstöße gegen Coronaverbote geahndet werden können. Am selben Tag forderte der Plöner CDU-Landtagsabgeordnete Werner Kalinka via „Kieler Nachrichten“, die Polizeikontrollen zu verstärken.
An der Ostsee sei „zu viel los“, auch gegen Zweitwohnungsnutzer werde nicht entschlossen genug vorgegangen. Die Polizeiführung solle nicht versuchen, dies zu beschönigen. „Unangemessener Tagestourismus“ müsse unterbunden werden.
Wegen Corona: Polizei kündigte Kontrollen in Naherholungsgebieten an
Die Polizei selbst legte abends nach – und kündigte Kontrollen unter anderem „in Naherholungsgebieten wie der Elbmarsch am Hamburger Rand“ an. Und so kam es dann auch. In Wedel (Kreis Pinneberg) wurden am Sonnabend rund 100 Fahrzeuge mit Hamburger Kennzeichen zurückgeschickt, in Geesthacht waren es innerhalb von nur vier Stunden 80, in Tangstedt (Kreis Stormarn) waren es 150.
Am Rader Forst (Kreis Segeberg) wurden nach Angaben der Polizei am Wochenende fast 900 Hamburger abgewiesen: 420 Autofahrer, 416 Radler und 53 Fußgänger. „Fassungslos und sehr verärgert“: So beschreibt eine Abendblatt-Leserin ihre Gefühle. Per Auto wollte die Rissenerin an die Hetlinger Schanze fahren, um dort spazieren zu gehen. Die Polizei stoppte sie. „Hamburg könnte im Gegenzug seine Stadttore ja auch wieder schließen, aber mal ehrlich: Wir sind doch nicht im Kindergarten“, schreibt sie.
Ein Wochenende, das Schäden hinterlassen hat
Und so wurde es ein Wochenende, das Schäden hinterlassen hat. Noch am Sonntag gab es Telefongespräche zwischen der Hamburger Senatskanzlei und der schleswig-holsteinischen Staatskanzlei. Die Polizei beruft sich derweil bei ihrem Vorgehen auf die aktuelle Coronaverordnung des Landes Schleswig-Holstein. Darin heißt es: „Reisen aus touristischem Anlass nach Schleswig-Holstein sind untersagt.“
Dies gelte auch für Freizeitzwecke. In der Begründung der Verordnung findet sich dieser Satz: Das Reiseverbot „umfasst keine Tagesreisen innerhalb des Landes und keine Ausflüge von geringem Umfang wie Spaziergänge und -fahrten.“ Ein doppeldeutiger Satz. Eine denkbare Auslegung: Spaziergänge und -fahrten sind weiterhin möglich, auch grenzüberschreitend.
"Corona-Mauer" im Norden: Unterschiedliche Interpretationen
Die Landespolizei hat das am Wochenende allerdings anders interpretiert – und eben Hamburger Spaziergänger an der Landesgrenze abgewiesen. Am Tag danach gibt es in der Landeshauptstadt Kiel einige, die das richtig finden – und einige, denen das nicht gefällt.
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„Da sollte man noch einmal in sich gehen“, sagt Lars Harms, Fraktionschef des oppositionellen SSW. Martin Habersaat, SPD-Landtagsabgeordneter aus Reinbek, sagt: „Ich fand das sehr unglücklich.“ Tobias Koch, Fraktionschef der Regierungspartei CDU, sagt: „Mit der Kontrolle von Radlern und Fußgängern sind wir übers Ziel hinausgeschossen.“
In Kiel waren die Kontrollen gestern auch Thema bei diversen Sitzung. Im Kabinett beschäftigten sich Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) und seine Minister mit der Frage, wie die Wogen wieder geglättet werden könnten. Auch die SPD, deren Fraktionsvorstand sich in Kiel traf, sprach über die Geschehnisse des Wochenendes. Die größte Oppositionspartei unterstützt bislang den Coronakurs der Regierungsparteien CDU, Grüne und FDP.
Coronavirus – Abstandsregeln einhalten
Noch. Kai Vogel, SPD-Landtagsabgeordneter aus dem Kreis Pinneberg, sagt: „Der ,kleine Grenzverkehr‘ zwischen den an Hamburg grenzenden Kreisen und der Hansestadt muss weiterhin problemlos möglich sein. Ein Zurückweisen von Fahrzeugen, Fahrradfahrern und Fußgängern aus Hamburg sollte nur dann geboten sein, wenn die Abstandsregeln nicht eingehalten werden.“ Vogel fordert: „Vom Innenminister sollte eine entsprechende Weisung an die schleswig-holsteinische Landespolizei ergehen.“
Im Kieler Gesundheitsministerium war am Montag von einem Umdenken nichts zu spüren. Der Pressesprecher Marius Livschütz sagt, es gehe darum, das Coronainfektionsgeschehen aus dem Land herauszuhalten. Ziel der Verordnung sei: „Es sollen so wenig Menschen wie möglich ins Land kommen.“
Auch das Innenministerium sieht sich auf der richtigen Seite. Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU) sagt: „Die Landespolizei nimmt ihre Aufgabe, die Einhaltung der erlassenen Regelungen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus zu kontrollieren, mit Augenmaß und Besonnenheit wahr.“
Coronavirus: So können Sie sich vor Ansteckung schützen
- Niesen oder husten Sie am besten in ein Einwegtaschentuch, das Sie danach wegwerfen. Ist keins griffbereit, halten Sie die Armbeuge vor Mund und Nase. Danach: Hände waschen
- Regelmäßig und gründlich die Hände mit Seife waschen
- Das Gesicht nicht mit den Händen berühren, weil die Erreger des Coronavirus über die Schleimhäute von Mund, Nase oder Augen in den Körper eindringen und eine Infektion auslösen können
- Ein bis zwei Meter Abstand zu Menschen halten
- Schutzmasken und Desinfektionsmittel können helfen – aber umgekehrt auch zu Nachlässigkeit in wichtigeren Bereichen führen
Niedersachsen hat kein Einreiseverbot
In der Hamburger Politik herrschte auch am Montag überwiegend Fassungslosigkeit über das Verhalten des nördlichen Nachbarn: „Wer in der jetzigen Ausnahmesituation den Schlagbaum herunterlässt, disqualifiziert sich als Krisenmanager selbst“, sagt Dirk Kienscherf, Vorsitzender der SPD-Bürgerschaftsfraktion. „Was wir brauchen, ist Solidarität, Zusammenhalt und Augenmaß.“ Demonstrativ betont er, dass Hamburg „auch weiterhin Patienten aus Schleswig-Holstein aufnehmen oder das Spazierengehen am Alsterlauf ermöglichen“ werde.
Der CDU-Fraktionsvorsitzende Dennis Thering sagt, er könne zwar verstehen, dass Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern die Freizeitziele an Nord- und Ostsee auch von Tagestouristen frei halten möchten: „Allerdings scheint mir das Zurückweisen von Radfahrern und Wanderern an der Grenze nach Schleswig-Holstein dann doch übers Ziel hinauszuschießen.“
Linkspartei: Menschen müssen Abstand zueinander halten
Die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Cansu Özdemir, stellte ihre Kritik in einen größeren Zusammenhang: „Grenzschließungen zwischen Deutschland und Österreich oder zwischen EU und Moria oder Hamburg und Schleswig-Holstein helfen wenig gegen das Virus, wenn es schon überall ist – entscheidend ist, dass die Menschen Abstand zueinander halten.“ Scharfe Kritik übte auch die FDP-Bürgerschaftsabgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein: „Die Schleswig-Holsteiner übertreiben es.“
Informationen zum Coronavirus:
- Die Stadt Hamburg informiert die Bürger auch online über das Coronavirus. Zusätzlich gibt es eine Hotline: 040 42828-4000
- Das Robert-Koch-Institut beantwortet häufig gestellte Fragen zu SARS-CoV-2
- Auch das Bundesgesundheitsministerium hat eine eigene Informationsseite zum Virus eingerichtet
Ganz anders ist die Lage im Grenzgebiet zu Niedersachsen. In Hamburgs südlichem Nachbarland gelten zwar die gleichen strengen Coronaregeln wie bundesweit, aber ein Einreiseverbot wie in Schleswig-Holstein gibt es nicht. Unter diesen Bedingungen sei der Aufenthalt im öffentlichen Raum „gestattet“, heißt es in der Verordnung.
Coronavirus: Landkreise können Betretungsverbote erlassen
„Es gibt in der Tat kein generelles Verbot, das Land Niedersachsen zu betreten“, sagte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) dem Abendblatt. „Allerdings gibt es Allgemeinverfügungen einzelner Landkreise, die für Teile ihres Gebiets Betretungsverbote erlassen. Das bezieht sich dann aber in der Regel auf touristische Hotspots und unterscheidet nicht nach Landeszugehörigkeit. In aller Regel dürfen Radfahrer und Spaziergänger also die Landesgrenzen überqueren.“