Kiel. Die Kieler Landesregierung verlängert das seit 2015 geltende Bauverbot. Jamaika-Koalition verärgert Windbranche.

Wenn man erfahren will, wie und warum ein Land eine florierende Branche abwürgt und damit seine Wirtschaftskraft erheblich schmälert, warum also etwas eigentlich vollkommen Widersinniges geschieht, muss man nach Schleswig-Holstein schauen. Dort gibt es seit 2015 etwas, was sich Moratorium nennt, tatsächlich aber ein Verbot ist, neue Windanlagen zu bauen oder Bestehende zu vergrößern. Und gerade eben hat die Landesregierung entschieden, dieses Moratorium, das eigentlich im Sommer 2019 auslaufen sollte, um zunächst ein Jahr zu verlängern. Das bedeutet: vier Jahre lang Stillstand für eine Branche, die in Schleswig-Holstein zum Wachstumstreiber geworden ist.

„Niederschmetternd“ nannte Marcus Hrach vom Bundesverband Windenergie die Entscheidung. Anlagenbau ist nur noch mit Ausnahmegenehmigungen möglich. Gerade mal 20 Neugenehmigungen wurden im vergangenen Jahr erteilt, 30 Anlagen wurden stillgelegt. Die Windkraft, einstmals als nahezu ideale Energieform gepriesen, scheint ihre besten Tage hinter sich zu haben. Wie konnte das passieren?

Kritik an der Windkraft wuchs

Alles begann mit einer Klage gegen das Regelwerk, das in Schleswig-Holstein über den Bau von Windanlagen entscheidet. Diese Regionalpläne werden regelmäßig überarbeitet und aktualisiert. 2010 machte sich die damalige CDU/FDP-Regierung daran, 2012 übernahm die Küstenkoalition (SPD, Grüne und SSW). Mit dem Ergebnis waren einige Windanlagenbetreiber nicht zufrieden. Sie klagten – und errangen, so muss man wohl sagen, einen Pyrrhussieg. Das Oberverwaltungsgericht Schleswig urteilte im Januar 2015, die Pläne seien rechtswidrig – unter anderem deshalb, weil das Land Gemeinden, die sich per Volksvertretungsvotum entschieden hatten, keine Windanlagen haben zu wollen, einfach aus den Plänen herausgenommen hatten. Der „bloße Gemeindewille“ dürfe nicht das allein maßgebliche Kriterium einer Abwägungsentscheidung über einen Regionalplan sein, hieß es im Urteil.

Also machte sich die Landesregierung erneut an die Arbeit. Derweil wuchs die Kritik an der Windkraft. Bürgerinitiativen forderten, die „Verspargelung“ der Landschaft zu stoppen und die Abstände der Anlagen zu Siedlungen deutlich zu vergrößern. Bei der damaligen Opposition fanden sie Gehör. Daniel Günther, CDU-Fraktionschef, schlug vor, einfach mal um 50 Prozent zu erhöhen – also statt 800 Meter in Zukunft 1200 Meter vorzuschreiben. Mit dieser Forderung ging die CDU in die Landtagswahl 2017. Günther, inzwischen Spitzenkandidat, gewann – und schmiedete eine Koalition mit Grünen und FDP.

Zwei Planentwürfe seit 2017

Und dann wurde es schwierig. Zwar einigten sich die Koalitionäre darauf, den Abstand nicht auf 1200 Meter zu erhöhen, sondern nur auf 1000 Meter. Dennoch gilt: Wer mehr Meter zwischen Siedlung und Anlage legt, der verringert den Raum, in dem Windanlagen gebaut werden können. Zugleich beschloss die Jamaika-Koalition, bis zum Jahr 2025 neue Windanlagen mit einer Kapazität von zehn Gigawatt zu genehmigen. Beides zusammenzubringen, ähnele der „Quadratur des Kreises“, sagte Oppositionsführer Ralf Stegner (SPD) am Mittwoch im Landtag.

In der Tat kann man den Eindruck gewinnen, das Land habe sich in eine Sackgasse manövriert. Denn der Versuch, die Vorgaben aus dem Koalitionsvertrag zu erfüllen, die Kommunen ­zufriedenzustellen, Vorgaben des Gerichts einzuhalten, die Windkraftgegner nicht vollends zu verprellen, die Windbranche am Leben zu erhalten und die Windkraftbefürworter ins Boot zu holen, erweist sich gerade als Ding der Unmöglichkeit. Zwei Planentwürfe hat das Innenministerium seit 2017 erarbeitet. Vor gut einer Woche verkündete das Ministerium, einen dritten Entwurf herstellen zu wollen. Grund: Gegen den vorliegenden Plan seien 5400 Einwendungen eingegangen, die müssten nun eingearbeitet werden. Selbst ein vierter Entwurf wird für möglich gehalten. So oder so ist vor Sommer 2020 mit einer abschließenden Landtagsbefassung nicht zu rechnen. Und deshalb muss nun das Moratorium, das ein Bauverbot ist, verlängert werden.

Situation sei „sehr unbefriedigend“

Der grüne Koalitionspartner hadert mittlerweile spürbar mit der Flaute bei der Windkraftplanung. Die Situation sei „sehr unbefriedigend“, sagte die Fraktionschefin Eka von Kalben. Der Ärger war so groß, dass sie ihrem Koalitionskollegen Tobias Koch, Chef der CDU-Fraktion, in der Debatte offen widersprach. Der hatte zuvor behauptet, beim Ausbau der Windenergie gebe es „keinen Fadenriss“. Von Kalben hielt dagegen: „Wir haben einen kleinen Fadenriss.“ Die Grünen-Chefin forderte, dass nun eben verstärkt Ausnahmegenehmigungen erteilt werden müssten. Die Windkraft - sie bleibt in einem Ausnahmezustand.