Jedes vierte Kind in Schleswig-Holstein lebt in Armut. Für Gothart Magaard, der Sonnabend im Schleswiger Dom ins Amt des Sprengelbischofs eingeführt wird, ein unhaltbarer Zustand. Er will handeln.

Schleswig/Hamburg. Es sind Zahlen, die Gothart Magaard, Vater von vier Kindern, große Sorgen bereiten: Rund 70.000 Kinder in Schleswig-Holstein sind von Armut bedroht, betroffen ist jedes vierte Kind. „Die Kinderarmut ist ein Skandal“, sagt Gothart Magaard, der sich immer wieder in Kitas und in Einrichtungen wie der Kieler „Sozialkirche“ ein Bild vom Schicksal der Mädchen und Jungen macht. Viele bekommen morgens von ihren Eltern kein Frühstück, manche Mütter und Väter wissen am Ende des Monats nicht, wie sie über die Runden kommen sollen. Um den Mädchen und Jungen zu helfen, will der 58-Jährige weiter an einem gesellschaftlichen Bündnis gegen die Kinderarmut arbeiten.

Was Gothart Magaard öffentlich sagt, hat im Küstenland erhebliches Gewicht. An diesem Sonnabend wird der evangelische Geistliche in das Amt des Bischofs im Sprengel Schleswig und Holstein eingeführt. Zum Gottesdienst im Schleswiger Dom werden Hunderte von Gästen erwartet, darunter Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) und Christen aus den Partnerkirchen in Tansania, Polen, Lettland, Dänemark und England. Nun steht der bisherige Bischofsvertreter, ehemalige Direktor des Prediger- und Studienseminars Preetz und langjährige Pastor ganz offiziell an der Spitze des mitgliederstärksten Sprengels der Nordkirche. Dazu gehören eine Million evangelische Christen, 600 Pastorinnen und Pastoren sowie mehr als 350 Kirchengemeinden, von Bad Oldesloe bis Nordschleswig.

Bereits vor seiner Wahl zum Bischof im April 2014 hatte er das Thema Kinderarmut auf die Agenda gesetzt. „Ausgerechnet in einem so reichen Land leben so viele Kinder in Armut“, sagte er jetzt dem Abendblatt. Nach Angaben der Bertelsmann-Stiftung liegt die Armutsquote der unter Dreijährigen in Schleswig-Holstein bei rund 20 Prozent – und damit über dem Bundesdurchschnitt. In Kiel leben 30 Prozent der unter 15 Jahre alten Kinder in Armut, in Lübeck und Neumünster sind es rund 29 Prozent.

Was Bischof Magaard besonders nachdenklich stimmt: „Es gibt 150 familienpolitische Leistungen des Staates. Aber längst nicht alle bekommen diese Hilfe, die sie wirklich brauchen.“ Um die Not zu lindern, will er seine guten Kontakte in die Politik, zu Unternehmen und Wohlfahrtsverbänden nutzen und an einem breiten Bündnis gegen die Armut schmieden.

Seine Erfahrungen aus vielen Gesprächen mit Kieler Landespolitikern ermutigen ihn. „Die Abgeordneten sind offen für Argumente.“ Der Kirche gehe es dabei nicht darum, die Politik zu bevormunden. „Aber wir wollen auf der Basis des Evangeliums unsere Perspektive darstellen.“ Gerade auch bei einem weiteren politischen Brennpunkt – der Flüchtlingsfrage – seien Kirche, Gesellschaft und Politik jetzt besonders herausgefordert. „Wichtig ist es, nicht nur in den Städten, sondern auch im ländlichen Raum eine Willkommenskultur zu leben“, sagte Magaard mit Blick auf die Flüchtlingsströme, die vor dem tödlichen Terror der IS-Milizen im Irak und Syrien fliehen. Kirchengemeinden würden bereits mit gutem Beispiel vorangehen und sich um Flüchtlinge kümmern, indem sie ehrenamtlich Sprachkurse anbieten oder die Menschen bei Behördengängen oder Besorgungen begleiten.

Als einer von insgesamt fünf Bischöfen der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Norddeutschland ist Magaard oft zwischen Westküste und Usedom unterwegs. Im Vergleich zum stark entkirchlichten Vorpommern scheint die Kirchenwelt in Schleswig und Holstein noch weitgehend in Ordnung zu sein. Rund 54 Prozent der Bevölkerung gehören der evangelischen Kirche an – in Mecklenburg und Pommern sind es knapp 20 Prozent. „Dennoch“, sagt der neue Bischof, „ist es wichtig, dass sich unsere Gemeinden im Sprengel noch enger vernetzen und gemeinsame Potenziale nutzen.“ Zudem seien die Pfarrstellen in einigen kleinen Gemeinden manchmal schwer zu besetzen. Wo keine Kitas und Schulen vor Ort sind, braucht es wirklich überzeugende Argumente, damit junge Familien in die Pastorate ziehen, fügt der gebürtige Flensburger hinzu.

Auch für Gothart Magaard und seine Frau, einer Lehrerin für Mathematik und Physik, bedeutet das neue Amt einen Umzug – und zwar von Preetz nach Schleswig. Weil die vier Kinder bereits erwachsen sind, wird das Ehepaar allein in jenes Bischofshaus ziehen, wo bislang Gerhard Ulrich mit seiner Frau wohnte. Der Landesbischof war Anfang des Jahres nach Schwerin gezogen, weil sich dort sein Dienstsitz befindet. Wie Ulrich ist auch Magaard ein Gremien erfahrener Kirchenmann. Sitzungen in Hamburg, Schwerin, Greifswald, Kiel, Lübeck und in seinem Sprengel Schleswig und Holstein sind auf der Tagesordnung. Um sich fit zu halten, fährt Magaard gern Fahrrad und macht Nordic Walking. Außerdem geht er, wenn es die Zeit erlaubt, ins Kino und besucht Konzerte. Seiner offiziellen Amtseinführung an diesem Sonnabend blickt er mit Freude entgegen: „Es ist gut, um Gottes Geleit zu bitten.“