„Das Spiel mit der Abhängigkeit war ein perfides“, sagte die Hamburger und Lübecker Bischöfin Kirsten Fehrs. Der Missbrauchsskandal von Ahrensburg war Thema auf der Synode am Sonnabend.

Travemünde. Die Jugendlichen hatten ihrem Pastor vertraut - und wurden von ihm sexuell missbraucht. Mehr als 20 Jahre lang gab es in der evangelischen Kirchengemeinde von Ahrensburg sexuelle Übergriffe auf Schutzbefohlene. "Das Spiel mit der Abhängigkeit war ein perfides", sagte die Hamburger und Lübecker Bischöfin Kirsten Fehrs auf der Synode (Kirchenparlament) der Nordkirche am Sonnabend in Travemünde. Dort berichtete die Bischöfin ausführlich über das Thema "Missbrauch in der Institution Kirche" und die intensiven Gespräche mit Betroffenen in der "Kommission für Unterstützungsleitungen" in den vergangenen Monaten.

"Ohne Verstehen gibt es keine Prävention", betonte sie in ihrem fast einstündigem Bericht. Nur so sei es möglich, zu "Lernenden zu werden". Ausdrücklich dankte Bischöfin Fehrs den Missbrauchsopfern dafür, dass sie überhaupt mit Vertretern der Nordkirche das Gespräch suchten.

Nach Angaben der Bischöfin hatte ein inzwischen aus dem Dienst entlassener Pastor zwischen den 1970er- und 1990er- Jahren an einer "letztlich unbekannten Anzahl von Jugendlichen" sowie an Familienmitgliedern sexualisierte Gewalt ausgeübt. Es waren davon mehr Jungen als Mädchen betroffen. Häufig habe Alkohol als Stimulanz eine Rolle gespielt. "Die Übergriffe gingen von Flirts, Tätscheleien, angeblichen Gesprächstherapien durch Liebe über zu Tätlichkeiten, Oralverkehr, Geschlechtsverkehr." Den einen Jugendlichen fuhr er zum Musikunterricht, dem anderen gab er Schulaufgabenhilfe. "Und der dritten schwor er ewige Liebe, sie sei die einzige Frau, die ihn glücklich mache." Viele Jugendlichen hätten sich in einer sozial schwierigen Situation befunden, das habe der Pastor ausgenutzt. Die Ahrensburger Kirchengemeinde galt damals - wie die Odenwaldschule - als Ort der Reformpädagogik. Bischöfin Fehrs: "Unter der Maske der Fortschrittlichkeit geschieht sexualisierte Gewalt."

Bislang hat die kirchliche Kommission Gespräche mit rund einem Dutzend Betroffenen geführt, die Opfer von Missbrauch nicht nur in Ahrensburg, sondern auch in anderen Kirchengemeinden wurden. Die ältesten Fälle gehen auf die Nachkriegszeit zurück. Aufgabe dieser Kommission sei es, materielle und nicht-materielle Unterstützungen zu bieten.

Als weiteren Schritt der Aufarbeitung hat die Nordkirche eine Unabhängige Kommission eingesetzt, die den Fall Ahrensburg und das System Missbrauch untersuchen soll. Die Arbeit der Experten soll auch das kirchenleitende Handeln ausführlich untersuchen. Weil die Recherchearbeit umfangreicher als gedacht ist, wird die Kommission ihren Bericht ein halbes Jahr später als geplant vorlegen - im Juni 2014.

Bischöfin Fehrs rief die Nordkirche dazu auf, aufmerksam auf mögliche Missbrauchsfälle zu achten. Im Fall eines Verdachts sollte der Kollege angesprochen und der Dienstvorgesetzte eingeschaltet werden. Besondere Bedeutung hätten die die vor einem Jahr eingesetzten Präventionsbeauftragten der Nordkirche.

Die professionelle Strategie der Aufarbeitung in der Nordkirche findet nach Angaben der Bischöfin inzwischen bundesweit Beachtung. "Aus ganz Deutschland", sagt sie, "rufen Betroffene inzwischen an. Auch wenn die Nordkirche gar nicht involviert ist."