Wedel. Altbürgermeister Niels Schmidt übt Kritik an direkter Demokratie – und warnt vor den Konsequenzen des Bürgerentscheids für Wedel.
Nach dem erfolgreichen Bürgerentscheid gegen das Mega-Projekt Wedel Nord war die Zufriedenheit bei der Bürgerinitiative groß, die Politik akzeptierte das eindeutige Votum. Es bleibt ihr letztlich auch nichts anderes übrig. Auf politischer Ebene hatte sich im Vorfeld sogar eine Allianz aus CDU, SPD, FDP und die Linke gebildet, um – vergeblich – bei den Wedelern für das Bauprojekt der beiden Investoren Semmelhaack und Rehder zu werben.
Nun hat der Bürger entschieden. „Diese Art der Demokratie ist die direkteste Beteiligungsmöglichkeit am lokalen, politischen Geschehen einer Stadt“, meint die Allianz. Sie hätten sich jedoch „über eine etwas höhere Wahlbeteiligung dennoch gefreut“. Nur 33 Prozent der Wahlberechtigten stimmten ab.
Nach Bürgerentscheid zu Wedel Nord: „Lieber Politik entscheiden lassen“
Wedels Alt-Bürgermeister Niels Schmidt, in dessen 18-jährige Amtszeit bis Mai 2022 ein großer Teil des verwaltungsplanerischen Aufwands fiel, sagt dazu: „Ich persönlich bin der Meinung, dass solch eine Entscheidung lieber in den Händen eines frisch gewählten Rates bleiben sollte. Das halte ich für klüger“
Er sei generell ein Anhänger der repräsentativen Demokratie. Die Wähler bestimmen für einen Zeitraum von fünf Jahren über ihre Stimmen die Zusammensetzung ihres Gemeinderates.
Dieser müsse dann für seine getroffenen Entscheidungen die Konsequenzen tragen und dann gegebenenfalls in der folgenden Legislaturperiode in der Gesamtbeurteilung aller Themen durch den Wähler politisch neu sortiert werden. „Alle Parteien in Wedel haben sich im Vorfeld der Kommunalwahl beim Thema Wedel Nord klar positioniert“, so Schmidt.
Stadtplaner und Investoren könnten künftig einen Bogen um Wedel machen
Etwa 74 Prozent der Wedeler stimmten für einen Planungsstopp. Allerdings beteiligten sich auch nur knapp 33 Prozent der wahlberechtigten Wedeler am Bürgerentscheid. Unglücklich, findet der ehemalige Verwaltungschef. Doch auch Schmidt weiß, dass es bei demokratischen Prozessen immer um die Mobilisierung der Wähler geht.
Und das ist den Befürwortern des Planungsstopps, also den Anhängern der Bürgerinitiative „Nein zu Wedel Nord“ offenbar deutlich besser gelungen. Der ehemalige Bürgermeister sagt: „Die Regeln sind wie sie sind und danach ist das Ergebnis des Bürgerentscheids ordnungsgemäß zustande gekommen.“ Schmidt befürchtet nun allerdings nach diesen Entwicklungen, dass „qualifizierte Stadtplaner und Investoren zukünftig einen Bogen um Wedel machen werden.“
2023 sollte eigentlich der Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan erfolgen
Für das Jahr 2023 war eigentlich der Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan des ersten Abschnitts mit gut 500 Wohnungen geplant, ehe das Bürgerbegehren diesen Plan durchkreuzte. Das Votum beim Bürgerentscheid am vergangenen Sonntag war eindeutig, mehr als 70 Prozent stimmten gegen die Investorenpläne und für einen Planungsstopp.
Auch nach der diesjährigen Kommunalwahl war die politische Mehrheit in Wedel für das Bauvorhaben von Semmelhaack und Rehder, die dem knappen Wohnraum in Wedel entgegenwirken wollten – mit bis zu 1000 Wohnungen auf insgesamt 53 Hektar Fläche.
Im aktuellen Rat sind CDU (13 Mitglieder), Bündnis 90/Die Grünen (9), SPD (7), FDP (4), die Linke (2) sowie die Wählergemeinschaft Wedeler Soziale Initiative (5) vertreten. Der Rahmenplan zu Wedel Nord war von der Politik im November 2021 verabschiedet worden. Nur die WSI stemmte sich von Beginn an vehement gegen Wedel Nord. Jetzt hat der Bürger die Politik mit dem basisdemokratischen Mittel des Bürgerentscheids übertrumpft.
Politik entschied sich bewusst für einen Bürgerentscheid
Das Wort Demokratie entstammt der griechischen Sprache und bedeutet „Volksherrschaft“. Der basisdemokratische Gedanke war der Hauptgrund, weshalb sich die meisten Parteien im Sommer bei der Abstimmung gegen den sogenannten Abhilfebeschluss entschieden hatten, der sofort – ohne Bürgerbeteiligung – zum Planungsstopp geführt hätte.
Mit 14 Ja-Stimmen der Grünen, die Defizite in der bisherigen Planung ausgemacht hatten, und der WSI bei 21 Gegenstimmen der restlichen Ratsfrauen und -männer blieb es jedoch beim Bürgerentscheid, der die verschuldete Stadt Wedel gut 50.000 Euro gekostet hat.
13 Jahre Wedel Nord-Planung sind über den Haufen geworfen worden
Die ersten Ideen für ein Baugebiet im Norden der Stadt, am Ortseingang über die Pinneberger Landstraße, stammen aus dem Jahr 2010. Fünf Jahre später gab es einen landschaftsplanerischen Ideenwettbewerb über die Stadt Wedel. Nun hofft die Politik-Allianz, trotz des Planungsstopps die Zeit nutzen zu können, um Gespräche zu führen. „Wir geben nicht auf, unsere Ziele zu verfolgen und werden versuchen, mit neuen kreativen Lösungen weiter an der Idee ‚bezahlbarer Wohnraum in Wedels Norden‘ festzuhalten“, heißt es in einemSchreiben.
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Die nächsten Wochen und Monate würden zeigen, „wie mögliche Insellösungen oder kleinere Areale geplant werden könnten. Wir sind trotz allem optimistisch, dass für Wedel eine tragfähige und zukunftsorientierte Stadtentwicklung möglich ist“, heißt es in der Mitteilung der politischen Befürworter von Wedel Nord.
Auch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen setzt sich dafür ein, die Zeit zu nutzen, das gesamte Projekt neu zu durchdenken, etwa über ein generelles Verkehrskonzept für die Stadt, und möchte mehr Bürgerbeteiligung möglich machen. Dem Vernehmen nach darf über das Thema diskutiert werden, allerdings ohne finalen Beschlüsse der Politik, etwa in der Ratsversammlung oder Ausschüssen.
Bürgerinitiative will weitere Entwicklung genau im Blick behalten
Die Bürgerinitiative „Nein zu Wedel Nord“, hält dieses geplante Vorgehen der Wedel-Nord-Allianz für rechtlich anfechtbar und schreibt auf ihrer Facebook-Seite zu einer Grafik des Bauvorhabens gerichtet an CDU, SPD, FDP und Linke: „Das Planungsgebiet besteht aus dem farbigen Teil Karte. Dieses Gebiet ist für Sie tabu. Das dürfen Sie dort nicht: planen, bauen, kleinere Gebiete planen, Insellösungen planen, irgendetwas planen, was auch nur einen Meter ins Planungsgebiet hineinragt, die Grenzen des Planungsgebietes verändern.“ Davon ausgenommen seien Schulen und Kitas.
Nach Planungsstopp für Wedel Nord – „BI“ droht mit Kommunalaufsicht
Zudem dürften die Politiker nicht „in den Gremien über Wedel Nord sprechen, in den nicht-öffentlichen Teilen von Sitzungen über Wedel Nord sprechen, und damit auch keinerlei Beschlüsse zu Wedel Nord fassen.“
Offenbar ist es der Bürgerinitiative ernst. Denn die letzten Sätze klingen schon fast wie eine Drohung: Falls es vonseiten der Politik derlei Versuche geben sollte, „diese Verbote zu unterlaufen, werden wir das mitbekommen und mithilfe der Kommunalaufsicht und/oder Rechtsmitteln unterbinden. Denken sie nicht mal daran!“