Wedel. Bürger der Stadt votieren gegen das Neubaugebiet mit bis zu 1000 Wohnungen. Investoren, Politik und Verwaltung müssen nun umdenken.

Der Bürgerentscheid über das Baugebiet Wedel Nord hat am Sonntag die Richtung vorgegeben – in den kommenden zwei Jahren ruhen alle Planungen. Alle Arbeiten auf dem Areal, auf dem bis zu 1000 Wohnungen in zwei Bauabschnitten auf 53 Hektar Fläche entstehen sollen, werden auf Willen der Bürger nun ausgesetzt.

8961 Wedeler beteiligten sich an diesem Votum über das Mega-Projekt, dessen erste Planungen bereits aus dem Jahr 2010 datieren. Knapp 74 Prozent dieser Abstimmungsberechtigten sprachen sich somit für den Planungsstopp aus – und hoben damit einen Beschluss der Politik auf, der im November 2021 den Rahmenplan für das Mega-Projekt verabschiedet hatte. Da bei einem Bürgerentscheid ein sogenanntes Quorum für die Rechtsgültigkeit des Entscheids erreicht werden muss, wird der Prozentsatz stets in Relation gesetzt zur Gesamtzahl der generell Abstimmungsberechtigten.

Baugebiet Wedel Nord gestoppt – so soll es nun weitergehen

Mit 24,2 Prozent ist die geforderte Anzahl der Stimmen klar erreicht worden – mindestens 16 Prozent (4378 Stimmen) aller potenziellen Wähler müssen in einer Mehrheit abgebildet werden. Insgesamt waren gut 27.500 Bürger berechtigt, ihr Kreuz bei „Ja“ oder „Nein“ zu setzen. Die Wahlbeteiligung lag bei 32,9 Prozent. 6615 Wedeler sprachen sich für das Anliegen der Bürgerinitiative „Nein zu Wedel Nord“ aus, lediglich 2346 Bürger votierten für die bisherigen Pläne, die von den Investoren, den Wohnungsbaufirmen Semmelhaack und Rehder, der Politik und Verwaltung ausgearbeitet worden waren.

„Wir danken allen, die sich heute für die Belange ihrer Stadt eingesetzt haben – sei es als Gegner oder Befürworter von Wedel Nord. Wir danken den vielen Unterstützern, die uns auf unserem nicht immer einfachen Weg tatkräftig unter die Arme gegriffen haben“, hieß es in einer Reaktion der Bürgerinitiative am Sonntagabend nach der Ergebnisverkündung.

Bürgerinitiative fordert „weniger Abgehobenheit und mehr Aufrichtigkeit“

Es sei dennoch kein Tag des Triumphs, weil deutlich geworden sei, wie weit sich ein großer Teil der Politik und des Rates von der Bevölkerung mit ihren Wünschen und Bedürfnissen entfernt hat: „Wir hoffen sehr, dass das Ergebnis von Politik und Verwaltung als Aufforderung der Bürgerinnen und Bürger zu weniger Abgehobenheit und mehr Aufrichtigkeit verstanden wird. Ein offeneres Ohr wünschen wir uns als weiteres Ergebnis dieser für unsere Stadt so wichtigen Abstimmung. Die weitere Planung zu Wedel Nord werden wir sehr aufmerksam im Auge behalten.“

Arne Malsch ist neben Detlef Albrecht und Sven Kloevekorn eines von drei vertretungsberechtigten Mitgliedern der Bürgerinitiative „Nein zu Wedel Nord“.
Arne Malsch ist neben Detlef Albrecht und Sven Kloevekorn eines von drei vertretungsberechtigten Mitgliedern der Bürgerinitiative „Nein zu Wedel Nord“. © Frederik Büll | Frederik Büll

Die Investoren, vertreten durch Geschäftsführer Stephan Rehder und Hartmut Thede (Projektleiter Semmelhaack), hatten stets mit dem dringenden Bedarf an neuem Wohnraum argumentiert: 2600 neue Wohnungen würden laut einer Studie von Gewos in Wedel bis 2030 benötigt.

Sie sagten unmittelbar nach Bekanntwerden der Entscheidung: „Wir respektieren das Ergebnis. Nun gilt es, noch mehr Bürgerinnen und Bürger von der Notwendigkeit des Baus neuer bezahlbarer Wohnungen zu überzeugen. Wir sind zuversichtlich, dass dies unter Einbindung aller Beteiligten gelingen kann.“ Auf weitere öffentliche Statements möchten die Investoren auf Abendblatt-Anfrage zunächst verzichten.

Wedel Nord: WSI bedankt sich für die Arbeit der Bürgerinitiative

Große Freude über die Entscheidung der Wedeler herrschte bei der Wählergemeinschaft Wedeler Soziale Initiative (WSI), die als einzige Ratsfraktion sich stets gegen Wedel Nord ausgesprochen hatte. „Der Dank gebührt der Bürgerinitiative für ihren unermüdlichen Einsatz und die Arbeit, die sie bis zuletzt geleistet hat“, sagt die Fraktionsvorsitzende Angela Drewes. Schließlich sei der politische Einfluss der fünfköpfigen WSI-Fraktion begrenzt. Zum Vergleich: Die CDU-Fraktion ist die größte mit 13 Ratsfrauen und -herren. Die politischen Mehrheiten fielen stets zu Gunsten Wedel Nords aus.

Angela Drewes steht an der Spitze der WSI.
Angela Drewes steht an der Spitze der WSI. © Unbekannt | Catharina Peppel

Den Bürgern sei eine Stimme gegeben worden. Hat Drewes mit diesem klaren Ausgang gerechnet? „Ich habe gedacht, dass pro Bürgerinitiative entscheiden wird, war mir aber nicht sicher, ob das Quorum erreicht werden kann“, sagt sie. Die Stimmung im Austausch mit den Wedelern hätte vorab eine Haltung gegen das Baugebiet in seiner aktuellen Form ergeben.

Angela Drewes: „Wir brauchen für Wedel ein sinnvolles Wachstumskonzept.“

Nun müsse die Zeit genutzt werden, beispielsweise ein geeignetes Verkehrskonzept für die Stadt zu entwickeln und insbesondere im Grundschulbereich müssten Kapazitäten zu schaffen, um die Kinder, die durch andere Neubau-Projekte, etwa am Wedeler Tor oder an den Hafenterrassen, künftig nicht auch in Schulcontainern unterrichten zu lassen.

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„Wir brauchen für Wedel ein sinnvolles Wachstumskonzept“, so Drewes. Dabei müsste – trotz dringend nötiger Investitionen – stets auch die schlechte Haushaltslage der Stadt im Blick behalten werden.

Bürgerentscheid: 50.000 Euro fehlen nun in Wedeler Haushaltskasse

Die Kosten von circa 50.000 Euro für den Bürgerentscheid seien letztlich vermeidbar gewesen, meint Dagmar Süß, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen. Das sei schade. Der Antrag auf einen sogenannten Abhilfebeschluss, der Mitte Juli den zweijährigen Planungsstopp auf politischer Ebene eingeleitet hätte, scheiterte, weil neben den Grünen nur die WSI dafür war, die Mehrheit im Wedeler Rat (CDU, FDP, SPD, Die Linke) stimmte allerdings dagegen, um den Bürgern basisdemokratisch entscheiden zu lassen. Letztlich gingen dann diejenigen zu einer Wahl, die dagegen seien, so Süß.

Dagmar Süß ist Fraktionsvorsitzende der Wedeler Grünen.
Dagmar Süß ist Fraktionsvorsitzende der Wedeler Grünen. © Unbekannt | Privat

„Das Geld, das in den Bürgerentscheid geflossen ist, hätte man vor drei Monaten besser schon direkt in eine Bürgerbeteiligung bei diesem Projekt, in Workshops oder ein Verkehrsgutachten investieren können“, sagt sie. Ihre Fraktion habe mehrfach im Vorfeld auf Defizite in der bisherigen, konzeptionellen Planung -- etwa für Verkehr oder ÖPNV-Anbindung – hingewiesen. Nun sei es wichtig, in einen offenen, transparenten Dialog mit den Bürgern zu gehen.

Beratungen über Wedel Nord sind erlaubt, politische Beschlüsse ruhen jedoch zwei Jahre. „Nun heißt es, die Zeit des Planungsstopps gut zu nutzen, Gespräche zu führen und zu sehen, was mittel - und langfristig möglich ist. Wir geben nicht auf unsere Ziele zu verfolgen und werden versuchen mit neuen kreativen Lösungen weiter an der Idee ‚bezahlbarer Wohnraum in Wedels Norden‘ festzuhalten“, so die CDU-Fraktionsvorsitzende Julia Fisauli-Aalto, stellvertretend für die Politik-Allianz, die sich für Wedel Nord ausgesprochen hatte. Auch die SPD, FDP und die Linken warben im Vorfeld des Bürgerentscheids für die Fortführung der bisherigen Planung – letztlich vergeblich.

Gernot Kaser über Wedel Nord: „Der Souverän hat gewählt, das gilt es zu respektieren“

Die Wedeler Stadtverwaltung darf das Projekt ebenfalls nicht mehr konkret vorantreiben. „Der Souverän hat gewählt, das gilt es zu respektieren“, sagt Bürgermeister Genot Kaser. Nun müsse auch abgewartet werden, wie sich die Investoren positionieren. Für die Stadtmitarbeiter, die viele Jahre schon mit der Planung beschäftigt waren, tue es ihm leid, so Kaser. Diese Entscheidung müssten sie erst einmal verdauen.

„Im Sinne der Stadtentwicklung habe ich zu meinem Amtsantritt vor eineinhalb Jahren bereits gesagt, dass der Querschnitt der Gesellschaft in Wedel nicht abgebildet ist“, sagt der Verwaltungschef. Das müsse sich ändern: Es müsse nun in Zukunft insbesondere bezahlbarer Wohnraum für Familien, Studenten und Rentner in Wedel geschaffen werden. Oder aber auch für die Mitarbeiter der Unternehmen, die sich im Business Park ansiedeln. Die Verwaltung leide ebenfalls unter einem enormen Fachkräftemangel, da auch die Mietpreise in anderen Gemeinden deutlich günstiger seien als in Wedel.