Wedel. Vor 60 Jahren standen in Wedel Weltstars vor der Kamera. Ein Bericht von den Dreharbeiten kann heute noch im beim NDR abgerufen werden.

Halb Wedel war auf den Beinen, weil durchgesickert war, dass am Schulauer Fährhaus ein Weltstar vor der Kamera stehen sollte: Sophia Loren. Am 24. April 1962 kam jedoch alles ganz anders. Von der mondänen Italienerin war nichts zu sehen, stattdessen drehte Starregisseur Vittorio De Sica eine Szene mit Maximilian Schell am Schulauer Hafen für den Film „Die Eingeschlossenen“, der vor genau 60 Jahren, am 6. September 1963, seine Deutschland-Premiere hatte.

Für Hamburg und Wedel waren es aufregende Wochen im April und Mai 1962: Einige der größten Stars der damaligen Kinowelt waren angereist, um zusammen mit einem der größten Regisseure des Kinos einen Film zu drehen, der später weltweit für viel Aufmerksamkeit sorgte und zumindest in Deutschland als skandalträchtig angesehen wurde.

Dreharbeiten – als in Wedel Weltstars vor der Kamera standen

Denn hier ging es um den inneren Verfall einer Großindustriellenfamilie vor dem Hintergrund der unbewältigten deutschen Vergangenheit. „Der Schmutz der Vergangenheit“, so sagt De Sica damals, „existiert noch immer. Westdeutschland ist noch immer vom Nationalsozialismus durchsetzt“.

Viele Westdeutsche nahmen ihm diese Aussage übel. Suspekt war der Film vielen Deutschen auch, weil Jean-Paul Sartre, der Vordenker und Hauptvertreter des Existenzialismus sowie Paradefigur der französischen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts, die Vorlage geliefert hatte. Für sein Drama „Die Eingeschlossenen von Altona“ hatte er sich tief in die deutsche Vergangenheit begeben und die Verstrickung der Großindustrie in die Machenschaften des Hitler-Regimes zum Thema gemacht. Kein leichter Stoff also.

Mximilian Schell war Hauptdarsteller des Films „Die Eingeschlossenen“. Er spielt den Industriellensohn Franz von Gerlach, der seit 13 Jahren von der Familie im Dachgeschoss des Hauses versteckt gehalten wird und nicht weiß, dass der 2. Weltkrieg beendet ist. Hier eine Szene vor dem Springer-Hochhaus in Hamburg.
Mximilian Schell war Hauptdarsteller des Films „Die Eingeschlossenen“. Er spielt den Industriellensohn Franz von Gerlach, der seit 13 Jahren von der Familie im Dachgeschoss des Hauses versteckt gehalten wird und nicht weiß, dass der 2. Weltkrieg beendet ist. Hier eine Szene vor dem Springer-Hochhaus in Hamburg. © dpa Picture-Alliance

Immerhin hatten Regisseur De Sica und Produzent Carlo Pont, der Ehemann von Sophia Loren, eine illustre Darstellerriege engagiert: Maximilian Schell, damals ein Weltstar, der in Hollywood wenige Wochen vor den Dreharbeiten mit dem Oscar als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet worden war, der zweifache Oscar-Preisträger Fredric March, der äußerst populäre und bis heute aktive US-Schauspieler Robert Wagner und eben jene Sophia Loren.

Maximilian Schell und Sophia Loren waren die Oscargewinner 1962

Schell und Loren waren damals die angesagtesten Filmstars überhaupt. Denn nicht nur der österreichische Schauspieler war in Hollywood ausgezeichnet worden, sondern auch die Italienerin hatte im März 1962 den Oscar als beste Hauptdarstellerin gewonnen.

Oscarverleihung 1992: Sophia Loren und Maximilian Schell waren die Gewinner. Beide wurde als beste Hauptdarsteller ausgezeichnet. Zusammen standen sie in Hamburg und Wedel vor der Kamera.
Oscarverleihung 1992: Sophia Loren und Maximilian Schell waren die Gewinner. Beide wurde als beste Hauptdarsteller ausgezeichnet. Zusammen standen sie in Hamburg und Wedel vor der Kamera. © HA

Viele Wedeler pilgerten zum Schulauer Hafen, um die Dreharbeiten zu beobachten

Sophia Loren vor allem sorgte mit ihrer Anwesenheit in Hamburg für wochenlange Aufregung. Verhandlungen mit Kirk Douglas und Alex Guinness hatten sich zerschlagen. „Die Loren“, wie sie beinahe ehrfürchtig genannt wurde, residierte damals acht Wochen im Hotel Vier Jahreszeiten in Hamburg und genoss die Aufmerksamkeit der geballten Medienlandschaft.

Zurück zum 24. April 1962. Etliche Hundert Wedeler pilgern am späten Nachmittag zum Schulauer Hafen, um Sophia Loren zu erleben – darunter auch der Verfasser dieses Artikels. Der italienische Star aber ist nirgends zu sehen. Stattdessen aber Maximilian Schell, mit dem eine Szene am Schulauer Hafen gedreht wird.

Der NDR hat einen Film über die Dreharbeiten im Archiv aufbewahrt

Er treibt sich vor der Gaststätte herum und begegnet dort in der Abenddämmerung einigen düster blickenden Hafenarbeitern mit Rucksäcken, die aus eben jener Kneipe kommen und in Richtung Schulauer Fährhaus marschieren. Um den dramatischen Effekt dieser Szene zu erhöhen, hatte die Wedeler Feuerwehr das Straßenpflaster zuvor mit Wasser besprüht. Vittoria De Sica steht hinter Kameramann Roberto Gerardi und gibt Anweisungen.

Es gibt an jenem Tag noch ein zweites Kamerateam am Schulauer Hafen: Der NDR filmt die Dreharbeiten und das Drumherum und sendet darüber am 27. April 1962 einen Beitrag in der Sendung „Berichte vom Tage“. Zu sehen sind auch die vielen Zuschauer, die hinter einer Absperrung stehen und die Dreharbeiten verfolgen. Dieser 1.20-Minuten-Beitrag ist ohne Ton im NDR-Retro-Archiv gelandet und kann dort heute noch abgerufen werden.

Sophia Loren soll später im Schulauer Fährhaus vor der Kamera gestanden haben

In Wedel fand man diese Dreharbeiten so bemerkenswert, dass eine Notiz darüber in die Stadt-Analen aufgenommen wurde. Heute nachzulesen auf der Website www.wedel.de. Dort steht auch, dass Maximilian Schell 1974 noch einmal an „einem Wedeler Hafen“ gedreht hat. Damals stand er zusammen mit Jon Voight für den Film „Die Akte Odessa“ vor der Kamera.

Und Sophia Loren? Die war zumindest am 24. April 1962 nicht in Wedel zu sehen. Allerdings soll sie Tage später für einige Szenen in das Schulauer Fährhaus gekommen sein. Dort wurde dann unter Ausschluss der Öffentlichkeit gedreht. Ob das stimmt oder damals nur ein Gerücht war, kann jetzt nicht mehr festgestellt werden.

Gedreht wurde unter anderem in Hamburg auf der Mönckebergstraße, vor dem Springer-Hochhaus und am Schloss Tremsbüttel im Kreis Stormarn.

Die Deutschland-Premiere des Film am 6. September in Mannheim löste in zahlreichen Presseartikeln heftige Proteste gegen die „Zensur“ der Freiwilligen Selbstkontrolle aus. Die hatte mehrere Szenen, in denen das Nachkriegsdeutschland ihrer Ansicht nach zu sehr mit den Zeiten der Naziherrschaft in Verbindung gebracht wurde, entfernen lassen.

Die Uraufführung hatte bereits am 30. Oktober 1962 in Mailand stattgefunden. Ob der Film jemals in einem Wedeler Kino (Schauburg, Ufer-Kino oder Roland-Kino) gelaufen ist, lässt sich heute nicht mehr feststellen.