Pinneberg. Die Ehemaligen-Galerie im Rathaus zeigt weiter unkommentiert NSDAP-Mitglieder. Nun gibt es neue Details zu Glissmann und Coors.
Seit knapp einem Jahr wird öffentlich über die Bürgermeister-Galerie im Pinneberger Rathaus diskutiert, in der auch Porträts von Nazi-Bürgermeistern aufgehängt sind. In der Diskussion hat Dieter Borchardt, Sprecher der Pinneberger Initiative 8. Mai, nun nochmals neue Fakten zu den ehemaligen Bürgermeistern Henry Glissmann und Karl Coors recherchiert. Beide waren Mitglieder der NSDAP.
Doch trotz öffentlicher Debatte gibt es nach wie vor keine entsprechende Kommentierung zu den Porträts im Foyer der Sitzungssäle. Ein Umstand, der geändert werden soll. Soweit herrscht Konsens. Doch die Textvorlagen, die die Verwaltung vorgelegt hat, wurden von der Politik im Hauptausschuss als unzureichend abgelehnt.
Neue Informationen zu Bürgermeistern Coors und Glissmann „schockierend“
Nun meldet sich Dieter Borchardt erneut zu Wort, dieses Mal in einem offenen Brief an die Mitglieder der Pinneberger Ratsversammlung. Es sei sein vierter offener Brief zu dem Thema, das ihm keine Ruhe lässt: Waren Karl Coors (1865 - 1958) und Henry Glissmann (1898 - 1966) überzeugte Nazis?
Die neuesten Informationen zu den beiden von ihm kritisierten Bürgermeistern Coors und Glissmann seien schockierend und würden alles bisherige Wissen auf den Kopf stellen, so Dieter Borchardt. Der Pinneberger geht auf die Rolle von Henry Glissmann – er war von 1950 bis 1963 Bürgermeister von Pinneberg – in Riga ein: „Dort hat er den ,Job‘ so gut gemacht, dass er befördert worden ist. Welche Verfolgung hat nun Herr Glissmann im NS-Staat erleiden müssen, wenn er gleichzeitig in ein Verwaltungsführerverhältnis befördert wurde und damit Karriere im faschistischen Deutschland machte?“, so Borchardt. Im Textvorschlag der Pinneberger Verwaltung war darauf verwiesen worden, dass Glissmann nach 1933 in einer „Meldung als politisch unzuverlässig“ galt.
Die Verwaltung habe zur Charakterisierung des Besatzungsregimes in Riga allein aus Dokumenten aus der NS-Zeit zitiert, kritisiert Borchardt. Danach sei das Besatzungsregime die „deutsche Regierung“ gewesen. „Trotz mehrfacher Nachfragen von mir ist dies weder zurückgenommen worden, noch hat es eine Kritik aus den Reihen der Ratsversammlung zu einer solchen Vorlage gegeben. Allein dies ist eine Ungeheuerlichkeit“, schreibt er. Wer nur aus dem Buch „Pinneberg zur Zeit des Nationalsozialismus“ zitiere, werde keine historisch einwandfreie Analyse zum Besatzungsregime in Riga erstellen.
Henry Glissmann wurde im Nationalsozialismus befördert
Borchardt hingegen bezieht sich auf Arbeiten von Professor Uwe Danker. Er habe unter anderen zwei vom Schleswig-Holsteinischen Landtag beauftragte Studien zur NS-Kontinuität in Schleswig-Holstein (2013 und 2018) herausgegeben. Darin gehe es auch um den Auftrag, den das Nazi-Regime in Riga hatte: „Der ,Kampfauftrag‘ der Verwaltung: Die Region sollte nach Kräften für den Krieg ausgebeutet, für spätere ,Umvolkungsmaßnahmen‘ vorbereitet werden. Von Beginn an damit verwoben die sogenannte ,Endlösung der Judenfrage‘.“ Borchardt zitiert aus Dankers Beitrag „Die drei Leben des Hinrich Lohse“ in dem Buch „Demokratische Geschichte“.
„Dieses Zitat liegt der Verwaltung vor, sie zitiert aber lieber alleine aus Dokumenten von 1942“, so Borchardt. Henry Glissmann habe „diesen Auftrag“ so gut umgesetzt, dass 1944 seine Vorgesetzten sich um die Beförderung vom Oberinspektor in das „Verwaltungsführerverhältnis zum Bezirksamtsrat“ bemühten. Diesem Antrag hatte Coors zugestimmt.
Karl Coors brachte Menschen ins Konzentrationslager
Borchardt schlägt diesen kurzen Text unter dem Bild von Henry Glissmanns Porträt vor: „Herr Glissmann hat unter wechselnden Regierungsformen – Kaiserreich, Weimarer Republik, NS-Staat und Bundesrepublik – erfolgreich Karriere gemacht. Selbst als Teil eines mörderischen Besatzungsregimes in Riga konnte er bei der Ausbeutung der besetzten Ostgebiete im Sinne des faschistischen Deutschland überzeugen und wurde befördert. 1950 wurde er für dreizehn Jahre Pinneberger Bürgermeister.“
Im Fall von Karl Coors, der in Pinneberg 1937 bis 1945 Bürgermeister war, kann Borchardt zwei Fälle nachweisen, in denen er Menschen bei der Polizei „angeschwärzt“ hat, die daraufhin in ein Konzentrationslager kamen. „In Pinneberg wird der Bürgermeister immer noch sehr verehrt. Er erhielt sogar ein Ehrengrab der Stadt Pinneberg“, schreibt Borchardt. „Die scheinbare Verfolgung und Bedrohung des ‚unpolitischen‘, tüchtigen Verwaltungsmenschen Coors bekommt deutliche Risse, wenn man sich seinen Befürworter und Helfer in der Stadt Pinneberg ansieht: NSDAP-Ortsgruppenleiter Krömer.“
Geschichtswerkstatt Pinneberg fehlen wichtige Dokumente
Der VHS-Geschichtswerkstatt würden wichtige Dokumente zum NSDAP-Ortsgruppenleiter Alfred Krömer fehlen, die aber 1988 in dem Buch „Drei Leben gegen die Diktatur“ von Hildegard Kadach und Dieter Schlichting erwähnt werden, so Borchardt. Krömer habe demnach Juden und politische nicht genehme Personen persönlich mit großem Eifer verfolgt.
Das Buch „55. Mitteilungsblatt der Gesellschaft für Friedrichstädter Stadtgeschichte“ von 1998 zeige ein ganz anderes Gesicht als das des „unpolitischen Coors“. Auf den Seiten 401 bis 406 werde die 1935 persönlich von Coors initiierte Verfolgung des jungen Juden Heinz Heymann dokumentiert, der „in herausfordernder Weise sich auf offener Straße in Begleitung von arischen Mädchen“ gezeigt habe.
Pinnebergs Bürgermeister Coors sprach Gestapo „Empfehlung“ aus
Coors sei überzeugt gewesen, dass Heinz Heymann viele Mädchen „geschlechtlich gebraucht und verdorben“ habe. Er empfahl der Gestapo: „Da die Strafgesetze für dieses Verhalten leider keine Möglichkeit zum Einschreiben bieten, dürfte die Unterbringung in einem Konzentrationslager angebracht sein, zumal seine sofortige Freilassung erheblichen Unwillen in der Bevölkerung hervorrufen würde.“
Etwas weiter im Buch: „Heinz Heymann wurde alsbald durch die Staatsanwaltschaft in Flensburg auf freien Fuß gesetzt. Die Anschuldigungen waren nicht haltbar. Bürgermeister Coors war damit nicht zufrieden. Er legte Heymann nahe, „zur Vermeidung von Zwischenfällen, die seine erneute Verhaftung notwendig machen können, seinen Wohnsitz hier einstweilen aufzugeben“.
NS-Bürgermeister Karl Coors empfahl die Internierung im Konzentrationslager
Auf Seite 430 und 431 wird über Gerhard Hensen berichtet, der Anfang November 1933 in Heide festgenommen wurde wegen „abfälliger Äußerungen über den Reichskanzler Adolf Hitler und wegen pazifistischer Umtriebe“. Die Staatsanwaltschaft befragte Coors nach Hensens Verhalten. Coors meinte, es reiche nicht für ein Strafverfahren, jedoch: „Sein Gesamtverhalten ist aber geeignet, in der Öffentlichkeit Anstoß zu erregen und die Arbeit der Staatsfeinde zu unterstützen (Miesmacherei). Das gegen ihn anzuwendende Mittel dürfte daher die Unterbringung in einem Konzentrationslager sein. Dazu liegt um so mehr Anlass vor, als Hensen kürzlich in einer Eingabe in seiner Fürsorgesache an den Bezirksausschuss in Schleswig in unerhörter Weise Regierungsmaßnahmen kritisiert und dabei auch über den Herrn Reichspräsidenten achtungswidrige Äußerungen gemacht hat.“
Borchardt kommentiert das so: „Dass ein so engagiertes Verfolgen von Andersdenkenden und jüdischen Mitbürgern dem Pinneberger NSDAP-Ortsgruppenleiter Krömer gefallen hat und er sich somit sehr für Coors eingesetzt hat, ist nun mehr als verständlich. Hier haben sich zwei Menschen getroffen, die sich verstanden.“
Karl Coors erhielt 1958 ein Ehrengrab in Pinneberg
Sein Vorschlag für einen kurzen Text unter dem Bild von Karl Coors: „Bürgermeister Coors hat engagiert Andersdenkende und jüdische Mitbürgern verfolgt, mit dem Ziel einer Einweisung in einem Konzentrationslager. 1958 hat die Stadt Pinneberg ihm ein Ehrengrab gegeben.“
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Borchardt verweist erneut auf eine Lücke in der Bürgermeister-Galerie: Heinrich Backhaus, der 1933 bis 1937 Bürgermeister in Pinneberg war. Von ihm gibt es kein Porträt im Rathaus. „Die Lücke müsste erklärt werden, warum hängt Herr Coors da und Herr Backhaus nicht“, merkt Borchardt an.
Borchardt: Verfolgte Politiker sollten geehrt werden
Ein weiterer Vorschlag: die in der NS-Zeit verfolgten Stadtverordneten, zum Beispiel mit einer Gedenktafel im Foyer des Rathauses, zu ehren. Borchardt: „Diese Tafel alleine wäre eine wichtige Relativierung zu den Irritationen durch die jetzige Bürgermeister-Galerie.“