Elmshorn/Itzehoe. An Brutalität kaum zu überbieten: Wegen 80 Euro Schulden stirbt fast ein Mann in Elmshorn. Welche Strafe im Prozess gefordert wird.
Markus E. blieb seiner Linie, sich schweigend zu verteidigen, treu. Auch die Gelegenheit, als Angeklagter das letzte Wort zu ergreifen, ließ der seit kurzem 28 Jahre alte Elmshorner am Mittwoch ungenutzt. Damit verzichtete er auch darauf, eine Geste des Bedauerns an seine Opfer zu adressieren. Zuvor hatten vor dem Landgericht Itzehoe die Staatsanwältin, der Vertreter der Nebenklage und die Verteidigerin das Wort. Und sie alle hatten viel zu sagen.
Mit den Plädoyers biegt der Prozess gegen den mehrfach vorbestraften, inzwischen kahl geschorenen Mann aus Elmshorn auf die Zielgerade ein. Und schon vor der für den 8. Mai angesetzten Urteilsverkündung ist klar, dass eine weitere Vorstrafe hinzukommen und der 28-Jährige eine längere Zeit hinter Gitter verbringen wird.
Staatsanwältin: Angeklagter spionierte sein späteres Opfer aus
Eine der beiden Taten, die dem jungen Mann vorgeworfen wird, ist an Brutalität kaum zu überbieten. Und wie es Staatsanwältin Madeleine Hader treffend formulierte, war es reines Glück, dass das Opfer der Messerattacke überlebt und keine Folgeschäden davongetragen hat. Wolfgang P. (35) aus dem Nachbarort Klein Offenseth-Sparrieshoop war am 21. Juli vorigen Jahres an der Krückau hinter dem Rewe-Markt angeln, als das Unheil in Form des Angeklagten über ihn hereinbrach.
„Der Angeklagte sprach den Geschädigten gegen 18 oder 18.30 Uhr an und fragte ihn, ob er Geld wechseln könne. Dieser zog sein Portemonnaie, schaute hinein und verneinte“, so die Staatsanwältin. Sie ist davon überzeugt: Markus E. hatte das Geldwechseln als Vorwand genutzt, um herauszufinden, ob sein mögliches Opfer Geld dabei hatte und sich ein Raubüberfall lohnen würde.
Markus E. ist drogenabhängig und befand sich in akuter Geldnot
Der drogenabhängige Angeklagte habe zu diesem Zeitpunkt nur noch 13 Cent besessen, jedoch einem Bekannten – vermutlich seinem Dealer – 80 Euro geschuldet. „In zwei Stunden hast du die 80 Euro“, zitierte die Staatsanwältin aus einer Chatnachricht, die der Angeklagte 90 Minuten vor der Tat dem Bekannten schrieb.
Markus E. habe den Angler in ein Gespräch verwickelt und auf einen günstigen Moment gewartet. Der bot sich ihm, als es gegen 19 Uhr zu regnen begann und Wolfgang P. seine Angelausrüstung zusammenpackte. Als der Angler ihm dem Rücken zuwandte, habe der Angeklagte ein Messer gezogen und seinem Opfer mehrere wuchtige Stiche in den Kopf versetzt. Als die Klinge abbrach und im Kopf steckenblieb, habe der 28-Jährige noch mehrfach auf den Rücken des Anglers eingestochen.
Angeklagter soll „den Tod des Opfers billigend in Kauf genommen haben“
„Sie haben den Tod des Geschädigten zumindest billigend in Kauf genommen“, hielt Hader dem Angeklagten vor. Angesichts der äußerst brutalen und gefährlichen Gewalteinwirkung sei der Tod des Opfers eine naheliegende Möglichkeit gewesen. Wolfgang P. überlebte dank einer Notoperation – und hatte wohl mehrere Schutzengel. Obwohl die Messerspitze ins Gehirn eindrang, blieb die eigentlich zu erwartende Hirnblutung aus.
Mehrere Jugendliche hatten den flüchtenden Angeklagten verfolgt und gestellt. Bei ihm wurden das Tatmesser und das Portemonnaie des Opfers gefunden. Die nach seiner Festnahme gegenüber den Jugendlichen und der Polizei geäußerte Version des Angeklagten, er sei vom Angler angegriffen worden und habe sich nur gewehrt, bezeichnete die Staatsanwältin als widerlegt.
Gutachten eines Rechtsmediziners widerlegt Angaben des Angeklagten
So habe das Gutachten eines Rechtsmediziners klar ergeben, dass die Verletzungen an der Hand des Angeklagten nicht von einem Angriff stammen, sondern dass er vielmehr der Angreifer war und seine Hand beim Zustechen an der Klinge abgerutscht sei.
Aus Sicht der Anklägerin hat Markus E. die Mordmerkmale der Heimtücke („Das Opfer war arg- und wehrlos und konnte nicht mit einem Angriff von hinten rechnen“) und der Habgier verwirklicht, weil er dem Angler gewaltsam das Portemonnaie mit 20 Euro entwendet hat.
War Markus E. zur Tatzeit in seiner Steuerungsfähigkeit eingeschränkt?
Laut Hader ist der 28-Jährige auch voll schuldfähig. Er habe planvoll und kontrolliert gehandelt, habe bei seiner Festnahme ruhig und kooperativ gewirkt und keine Auffälligkeiten erkennen lassen. Die leichte Alkoholisierung (1,31 Promille) und die Drogenabhängigkeit an sich – Markus E. ist heroinabhängig und nahm zur Tatzeit am Methadon-Programm teil – haben aus ihrer Sicht keine Auswirkungen auf die Steuerungsfähigkeit. Der 28-Jährige habe am Morgen des Tattages Methadon eingenommen, es habe „kein Suchtdruck bestanden“.
Der ehemalige Chefarzt der Klinik für Psychiatrie in Itzehoe, Professor Arno Deister, der in dem Verfahren ein Gutachten über die Schuldfähigkeit des 28-Jährigen erstattet hatte, sah diesen Punkt etwas anders. Er konnte aufgrund des Suchtverhaltens des Angeklagten „eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit nicht völlig ausschließen“.
Gutachter fehlt Grundlage – Angeklagter lehnte eine Untersuchung ab
Für eine Einweisung in den Maßregelvollzug oder gar eine Sicherungsverwahrung sah der Gutachter keine Grundlage. Allerdings hatte Deister eingeräumt, dass ihm die Basis für eine sichere Beurteilung fehlen würde, weil der Angeklagte eine Untersuchung durch den Psychiater abgelehnt hatte.
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Staatsanwältin Hader forderte für die Messerattacke auf den Angler eine Strafe von achteinhalb Jahren Gefängnis. Für eine zweite angeklagte Tat vom 8. Juli 2023, bei der Markus E. einen Bekannten in Elmshorn überfallen, mit einem Messer bedroht und 172 Euro sowie eine X-Box geraubt sowie auf der Flucht die Mutter des Opfers aus dem Weg geprügelt hatte, beantragte sie eine Strafe von sechseinhalb Jahren.
Auch bei dieser Tat soll Markus E. planvoll vorgegangen sein. Er schrieb den Bekannten aus Schulzeiten auf Facebook an, traf sich zuvor mit ihm und erschlich sich sein Vertrauen, ehe er zuschlug. In einer Chatnachricht kündigte er zudem die Tat an, bezeichnete den Schulfreund als „Penner, der es verdient hat“. Beide Einzelstrafen sollen laut Hader zu einer Gesamtstrafe von elf Jahren zusammengeführt werden.
Verteidigerin sieht keinen Tötungsvorsatz beim Angeklagten
Verteidigerin Katja Münzel sprach sich lediglich für eine Strafe von vier Jahren und zwei Monaten aus. Die Tat zum Nachteil des Bekannten sieht sie als nicht bewiesen an und forderte daher einen Freispruch. Bei der Messerattacke auf den Angler habe ihr Mandant nicht mit Tötungsvorsatz gehandelt („Dafür gibt es keinen Anhaltspunkt“), daher komme auch eine Verurteilung wegen versuchten Mordes nicht in Frage.
Münzel kommt außerdem zur rechtlichen Bewertung, dass ein minderschwerer Fall vorliegen würde. Das sei deshalb der Fall, weil die Beute gering gewesen sei und der Angeklagte sich in einer finanziellen Notlage befunden habe. Sie will eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung und schwerer räuberischer Erpressung erzielen.
Opferanwalt spricht von einem Trauma bei seinem Mandanten
Opferanwalt Peter Looft, der den lebensgefährlich verletzten Angler vertritt, wies in seinem Plädoyer auf die schwerwiegenden Folgen für seinen Mandanten hin. Noch sei gar nicht absehbar, ob sich Folgeschäden ergeben würden. Bis heute sei das Opfer schwer traumatisiert. „Er ist nicht mehr der Alte, ist völlig von der Rolle.“
Der Angeklagte Markus E. besuchte bis zur achten Klasse eine Elmshorner Förderschule, scheiterte am Hauptschulabschluss und flog wegen Drogenkonsums aus einer Ausbildung. Zum Tatzeitpunkt verfügte er weder über einen festen Wohnsitz noch über einen Job. Er ist vorbestraft wegen mehrerer Drogenvergehen – und wegen einer Gewalttat vom 1. November 2017.
Angeklagter ist bereits wegen schwerer Gewalttat vorbestraft
In dieser Nacht ging der damals 22-Jährige aus nichtigem Anlass auf seinen Bekannten Frank N. los, schlug und trat auf ihn ein, urinierte in seinen Mund, sperrte ihn im Kofferraum ein und würgte ihn später auf dem Parkplatz der Liether Kalkgrube bis zur Luftnot. Dafür kassierte er im Mai 2018 vier Jahre Gefängnis, den angeklagten Vorwurf des versuchten Mordes ließ das Gericht damals fallen. Ein Teil der Strafe wurde später zur Bewährung ausgesetzt, diese dürfte angesichts des jetzt folgenden Urteils widerrufen werden.