Kreis Pinneberg. Große Debatte im Pinneberger Kreistag über Fachkräftemangel auf allen Ebenen. Warum vor allem Eltern in großer Sorge sind.
Als hätten sie es geahnt, über welche Misere der Pinneberger Kreistag an diesem Abend diskutieren würde: Drei Mütter aus Uetersen waren mit ihren Kindern ins Pinneberger Rathaus gekommen, um vor der Kreispolitik mehr Kita-Plätze und Erzieherinnenstellen im Kreis Pinneberg anzumahnen. Doch viel Hilfe erfuhren sie dort nicht.
Denn der Fachkräftemangel in der Kreisverwaltung ist bereits enorm, wie SPD-Fraktionschef Hans-Peter Stahl darstellte: „Die Zahlen sind erschreckend. Zwei Drittel der Mitarbeitenden gehen in den nächsten zehn Jahren in den Ruhestand.“ Von den Führungskräften gingen sogar 80 Prozent in Rente und Pension. Die Verwaltung verliere so rund 800 ihrer 1200 Beschäftigten, die zusammen über 18.000 Jahre Berufserfahrung verfügten. Aktuell seien nur 985 von 1047 Vollzeitstellen besetzt, 62 Stellen sind also nicht besetzt, heißt es aus der Kreisverwaltung.
Zwei Drittel der Kreis-Mitarbeitenden gehen bald in den Ruhestand
Wenn der Kreis hier nicht rasch Gegenmaßnahmen ergreife, laufe er Gefahr, seine Aufgaben nicht mehr in vollem Umfang verrichten zu können, was unserer Demokratie schaden würde, warnte der Abgeordnete Stahl. „Das wird weitreichende Konsequenzen für die Gesellschaft haben.“
Dabei sei keineswegs nur die zunehmende Überalterung der Bevölkerung dafür verantwortlich, sagte er. „Vieles ist auch selbstverschuldet.“ Wie zum Beispiel die praxisintegrierte Ausbildung (PiA) von Erzieherinnenstellen, für die der Kreis Pinneberg 30 Plätze an der Kreisberufsschule zur Verfügung stelle. Doch das seien viel zu wenige, wie Melanie Eisenberg vor dem Kreistag sagte, die selbst Mutter und Kita-Leiterin in Pinneberg ist.
Bewerberinnen für Erzieherausbildung sind da, aber es gibt zu wenig Ausbildungsplätze
So wisse sie von sieben Anträgen der 22 Kindergärten allein in der Kreisstadt für diese PiA-Ausbildung, die den Absolventen während der gesamten Ausbildungszeit eine Ausbildungsvergütung durch die Kindertagesstätten verspricht. Doch nur zwei seien anerkannt, fünf abgelehnt worden, sagte die Kita-Leiterin. An Nachfrage mangele es dagegen nicht, betonte Melanie Eisenberg. „Es gibt genügend junge Menschen, die das lernen wollen.“ Aktuell lägen ihr allein 15 Bewerbungen für eine PiA-Ausbildung vor.
Der Kreis müsse mehr dafür tun und mehr Druck auf die Kommunen ausüben, dies zu unterstützen, forderte sie, die sich mit anderen Eltern der „Gute-Kita-Initiative“ angeschlossen hat. Schließlich hätten alle Familien einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz, der ihren kleinen Kindern nicht nur einen Betreuungsplatz, sondern auch einen Bildungsauftrag verspreche.
Personalmangel in den Kitas schadet Kindern, Eltern und dem Arbeitsmarkt
Schon heute habe der „Personalmangel“ in den 140 Kindergärten im Kreis Pinneberg „verheerende Folgen für die Pädagogen, Kinder, Eltern und Arbeitgeber“, ergänzte Mitstreiterin Nathalie Rieck von der „Gute-Kita-Initiative“. Kitas müssten immer häufiger geschlossen werden, Mütter und Väter könnten nicht mehr geregelt ihrer Arbeit nachgehen. Dieses Versorgungsproblem sei auf Landesebene im Landkreistag längst erkannt, sagte Kreispräsident Helmuth Ahrens (CDU). „Aber wir haben keine Lösung.“
Dabei könnte es dem immer gravierender werdenden Fachkräftemangel entlasten, wenn mehr Frauen erwerbstätig und sie länger arbeiten würden, führte SPD-Fraktionschef Stahl weiter aus. Nur jede zweite Frau im Kreis sei erwerbstätig, 70 Prozent von ihnen teilzeitbeschäftigt. Es fehlten aber 1500 Kita-Plätze im Kreis Pinneberg. „Das ist ein Teufelskreis“, sagte Stahl.
„Viele Mütter können nicht arbeiten, weil sie keine Betreuung für ihre Kinder haben.“ Und es fehle an Betreuungsplätzen, weil sie nicht arbeiten könnten. Das gelte insbesondere für 2155 alleinerziehende Mütter im Kreis Pinneberg, die somit auf Bürgergeld angewiesen seien.
10.000 Menschen im Kreis Pinneberg sind arbeitslos, die Hälfte ohne Berufsausbildung
Der Kreis müsse aber auch auf anderen Gebieten dringend nachsteuern, forderte Stahl. Rund 10.000 Menschen im Kreis seien arbeitslos gemeldet, mehr als die Hälfte von ihnen habe keine Berufsausbildung. 2400 offene Stellen seien unbesetzt. Fast 2000 geflüchtete Ukrainer, die erwerbsfähig seien, sind beim Jobcenter gemeldet. Deren berufliche Qualifikationen müssten schneller anerkannt und mehr Sprachkurse müssten angeboten werden.
Und die Jugendberufsagentur sollte Schulabgänger besser begleiten, um eine Lehrstelle zu erhalten. Denn 200 Schüler verließen jedes Jahr im Kreis die Schule ohne Abschluss, sagte Stahl und forderte: „Der Kreis muss deutlich mehr tun, um die Quote der Abbrecher zu reduzieren.“ Dabei hat es mit zurzeit 95.700 Arbeitnehmern noch nie so viele Menschen im Kreis Pinneberg in sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen gegeben wie heute.
Stahl (SPD): Mehr Leute in den sogenannten Ein-Euro-Jobs einstellen
In vielen Bereichen wie Umwelt, Gartenpflege oder Kultur könnte der Kreis Pinneberg zudem auch geringfügig Beschäftigte in sogenannten Ein-Euro-Jobs einsetzen, forderte Stahl. Manche Stellen im Kreis blieben unbesetzt, weil die Eingruppierung in den Tarifvertrag fehle, wunderte er sich. Solche und andere bürokratische Hürden müssten endlich beseitigt werden.
Der SPD-Abgeordnete erhielt politische Unterstützung von den Abgeordneten der anderen Fraktionen. Der CDU-Abgeordnete Justus Schmitt sagte: „Wir müssen die Arbeit und die Bezahlung im Kreis Pinneberg attraktiver machen. Denn die Arbeitswelt wird tiefgreifende Veränderungen erleben.“
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Dazu gehörten flexiblere Arbeitszeiten, Kostenübernahme von Bus- und Bahnfahrten, Weiterbildungsmöglichkeiten und Zuwanderer für den Arbeitsmarkt. „Wer in Deutschland arbeitet, wird hier auch integriert“, sagte Schmitt. Das wirke dem Fachkräftemangel entgegen und stärke den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Schmitz (Grüne): Die Einwanderer müssen willkommen geheißen werden
Doch dann müssten diese Einwanderer auch mehr wertgeschätzt und ihnen weniger fremdenfeindlich begegnet werden, sagte der Grünen-Abgeordnete Mathias Schmitz. „Warum sollte ein Ingenieur, Lehrer, Chirurg oder eine Pflegekraftaus dem Ausland nach Deutschland kommen, wenn er oder sie hier nicht unbegrenzt willkommen ist?“
Zudem habe er erhebliche Zweifel, ob die heutige junge Generation ihren Anspruch auf eine „Work-Life-Balance“ mit viel Freizeit und weniger Arbeitstagen werde aufrechterhalten können, wenn bald die Boomer-Generation in Rente geht. „Der Arbeitsmarkt wird dann auf lange Sicht von einem Mangel gekennzeichnet sein.“