Kreis Pinneberg. Akut drohende Knappheit in der Altenpflege soll verhindert werden. 2000 neue Kräfte werden gebraucht. Nur: Wie soll das gelingen?
Die derzeitige Situation in der Altenpflege ist schon schwierig, aber künftig droht der Fachkräftemangel im Kreis Pinneberg ernsthaft dramatisch zu werden. Das geht aus dem aktuellen Bericht der Fokusgruppe „Altenhilfe und Pflege“ hervor, den der Gesundheitsausschuss des Kreistages auf seiner nächsten Sitzung am Dienstag, 23.Januar, behandelt.
„Der Pflege-Notstand ist jetzt schon da. Es fehlt uns Personal an allen Ecken und Enden“, bringt dazu Melanie Dittberner von der Diakoniestation in Bönningstedt die Ausgangslage auf den Punkt.
Zahl der Menschen über 65 Jahre steigt am schnellsten im Kreis Pinneberg
Demnach sind zurzeit etwa 10.400 Menschen im Kreis Pinneberg, die älter als 65 Jahre alt sind, pflegebedürftig. Sie werden etwa zur Hälfte zu Hause von Familienangehörigen und je zu einem Viertel von ambulanten Pflegediensten und stationär in Pflegeheimen betreut.
Bis zum Jahr 2040 werden statistisch gesehen 2800 Pflegebedürftige allein im Kreis Pinneberg hinzukommen, heißt es in dem insgesamt 270 Seiten umfassenden Pflegebericht. Davon müssten 736 Personen bis 2040 zusätzlich stationär versorgt werden.
2040 sind 90.000 Menschen über 65, heute sind es 70.0000 Menschen
Was vor allem daran liegt, dass die Bevölkerung immer älter wird: Im Jahr 2040 werden knapp 90.00 Menschen im Kreis Pinneberg älter als 65 Jahre sein. Heute sind es rund 70.000. „Aufgrund der demographischen Struktur im Kreis Pinneberg wächst die Altersgruppe 65 und älter schneller als jede andere Altersgruppe der Bevölkerung“, heißt es in dem Bericht.
So wächst die Gesamtbevölkerung im Kreis bis 2040 voraussichtlich um 4,7 Prozent von 317.000 auf 332.000 Menschen (2020 bis 2040). Während im selben Zeitraum die Anzahl der Senioren im Rentenalter wie beschrieben um 27 Prozent ansteigen wird.
Rund 2000 zusätzliche Pflegekräfte werden in zehn Jahren benötigt
Diese Entwicklung werde dazu führen, dass schon in den nächsten zehn Jahren im Kreis Pinneberg zwischen 680 bis 1000 zusätzliche Mitarbeitende in der ambulanten Altenpflege sowie 1040 bis 1500 Mitarbeitende in der stationären Pflege benötigt werden, besagt eine Modellrechnung des Instituts für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung.
Der Mehrbedarf von etwa zwei Prozent pro Jahr ergibt sich dabei aus der steigenden Zahl an Pflegebedürftigen Bewohnern sowie dem beruflichen Ausscheiden heutiger Pflegekräfte, die in Rente gehen.
Leiterin einer Sozialstation in Wedel: In fünf Jahren ist der Notstand da
So sagt auch Birgit Stockmann von der Sozialstation des DRK in Wedel: „Derzeit haben wir noch ausreichend Pflegekräfte bei uns. Aber sie werden älter. In fünf Jahren müssen wir dringend neue Kolleginnen hinzugewinnen.“ Doch das Tempo zwischen dem Anstieg der Pflegebedürftigen Menschen im Vergleich zum Anwachsen der Pflegekräfte ist eklatant diskrepant.
Während die Zahl der Leistungsempfänger von Pflegegeld allein zwischen 2019 und 2021 im Kreis Pinneberg von 13.167 auf 15.586 Personen in zwei Jahren um 18,2 Prozent gestiegen ist, arbeiten aber mit 4101 Pflegekräften nun 121 oder drei Prozent heute mehr in der ambulanten und stationären Altenpflege. Die Zahl der Pflegebedürftigen wächst also sechsmal schneller als die der Mitarbeitenden
Zahl der Pflegebedürftigen wächst sechsmal schneller als die Mitarbeitenden
Kreisweit sind mit 57 ambulanten Pflegestationen sechs hinzugekommen. Dafür sind in dieser Zeit zwei der ehemals 55 Pflegeheime geschlossen worden, die jetzt 3782 stationäre Plätze sowie 185 Tagespflegeplätze anbieten können statt zuvor 3648 stationäre und 194 Tagespflegeplätze. 914 Bewohner in den Heimen sind heute sogar unter 65 Jahre alt.
Daraus ergibt sich heute schon eine personelle Unterversorgung Landesdurchschnitt. Während jeder zehnte Leistungsempfänger für Pflegegeld (15.568 von 158.564) im Kreis Pinneberg lebt, arbeitet nur etwa jede zwölfte Pflegekraft (4101 von 47.499) im bevölkerungsreichsten Kreis in Schleswig-Holstein.
Im Vergleich zum Landesdurchschnitt ist der Kreis heute schon unterversorgt
Der Kreis Pinneberg muss also dringend etwas gegen den drohenden Pflegenotstand tun. Auch dazu gibt die Fokusgruppe in ihrer Analyse einige Handlungsempfehlungen. Zum einen sollten dringend die vorhandenen Ausbildungskapazitäten ausgeschöpft werden. So seien 100 der 263 Ausbildungsplätze bei den Regio Kliniken unbesetzt. Im Awo-Bildungszentrum sind es demnach 26 von 150 Plätzen.
So sollen bei einer Jugendarbeitslosigkeit von 4,8 Prozent im Kreis Pinneberg durch Umschulungen verstärkt Quereinsteiger für den Pflegeberuf gewonnen werden. Das größte Potenzial verspreche aber wohl die Rückgewinnung von ehemaligen Pflegekräften, die insbesondere aus familiären Gründen ausgestiegen sind. Dies könnten bundesweit zwischen 300.000 und im optimistischen Szenario sogar bis zu 660.000 zusätzliche Vollzeitpflegekräfte sein. Was auf den Kreis Pinneberg umgerechnet zwischen 1250 bis 2500 zusätzliche Pflegekräfte bedeuten könnte.
Dann müssten aber auch die Bezahlung und Arbeitsbedingungen stimmen
Allerdings, so lautet der Warnhinweis in der Verwaltungsvorlage, könnte dies nur gelingen, „wenn die Arbeitsbedingungen stimmen. Dazu gehören laut Befragung eine Personaldecke, die sich am Bedarf der Pflegebedürftigen ausrichtet, mehr Zeit für Zuwendung, eine bessere Entlohnung, verbindliche Dienstpläne, verlässliche Arbeitszeiten und respektvolle Vorgesetzte.“
Diese Aussagen bestätigen Pflegeprofis aus dem Kreis. So habe die Seniorenresidenz in Barmstedt noch keinen Fachkräftemangel zu beklagen, wie Pflegedienstleiterin Anne-Kathrin Kruse vom einzigen noch kommunal geführten Pflegeheim im Kreis Pinneberg sagt. „Das liegt sicherlich auch daran, dass wir unsere 19 Pflegekräfte nach dem Tarif des Öffentlichen Dienstes bezahlen.“ Und die bereits zitierte Melanie Dittberner von der Sozialstation in Bönningstedt fordert: „Das Gehalt der Pflegekräfte muss endlich so angepasst werden, wie es dem Druck und der Leistung der Arbeit entspricht.“
Auch Migranten und Geflüchtete sollen verstärkt für die Pflege gewonnen werden
Auch Migranten und Geflüchtete sollten künftig verstärkt für die Altenpflege rekrutiert werden. So lebten allein im Kreis Pinneberg zurzeit 30 Ukrainerinnen, die entsprechend ausgebildet seien. Dann müssten sie aber schneller als zurzeit die deutsche Sprache lernen.
Insgesamt liege das „Potenzial zur Gewinnung von Fachkräften aus dem Ausland aufgrund von fehlenden Kapazitäten und unzureichendem Know-how brach“, heißt es in dem Fokusbericht. „Auch hemmen Erfahrungen zum Beispiel mit kulturellen Unterschieden mitunter das Engagement.“
Kreis Pinneberg will das Image der Pflegeberufe gezielt aufwerten
Zudem hat die Kreisverwaltung im Fachdienst Soziales für das Team Pflege eine Koordinatorin zur Fachkräftegewinnung in der Pflege eingestellt, die vor allem helfen soll, den Fachkräftemangel zu lindern und Möglichkeiten der Fachkraftgewinnung insbesondere aus dem Ausland zu eruieren.
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Insgesamt plant der Kreis Pinneberg eine Offensive in der Öffentlichkeitsarbeit, die positive Signale setzen soll. „Wenn das Image und die Attraktivität des Pflegeberufes aufgewertet werden sollen, dann erscheint es sinnvoll, der Öffentlichkeit von regionalen Projekten und deren Ergebnissen zu berichten.“ Die darüber geäußerte Wertschätzung käme dann direkt bei der hier im Kreis lebenden und arbeitenden Bevölkerung an.
Die Sitzung des Ausschusses für Soziales, Gesundheit, Gleichstellung und Senioren des Kreistages berät am kommenden Dienstag, 23. Januar, im Kreishaus, Kurt-Wagener Straße 11, in Elmshorn. Die Sitzung beginnt um 18 Uhr und ist öffentlich.