Wedel. Schülern der Ernst-Barlach-Schule stand auf Ski-Reise nur eine Stunde das Smartphone zur Verfügung. Das stieß zunächst auf Ablehnung.
Eine Szene aus einem NDR-TV-Beitrag lässt die Leidenschaft der Wedeler Schüler der Ernst-Barlach-Gemeinschaftsschule für das Smartphone erahnen. Die 14 Achtklässler platzen auf ihrer Klassenfahrt anfangs nahezu vor Ungeduld. Sie dürfen ihr Gerät um 21 Uhr feierlich in Empfang nehmen, um zumindest kurzzeitig TikTok, Instagram und Co. im Blick haben zu können.
Denn: Nur eine Stunde täglich dürfen sie das Handy auf der siebentägigen Ski-Reise im österreichischen Obertauern nutzen. Dann kommt es wieder unter Verschluss. Die zwischen 14 und 15 Jahre alten Schülerinnen und Schüler des Wahlpflichtkurses Sport und ihr Lehrer Olaf Keil waren Teil eines kleinen Experiments – und hatten sich, fast freiwillig, zu diesem Handy-Verzicht bereit erklärt. Denn: Eigentlich sind sie immer online.
NDR berichtet: Wedeler Schülern gelingt auf Klassenfahrt das Smartphone-Detox
Eine Woche lief die „Entgiftung“ – in hipper Sprache auch Smartphone-Detox genannt. Immerhin zwei der Wedeler Schüler hatten zuvor schon einmal Berge gesehen. Dann ging es los – und auch immer wieder bergab. Aber nur mit viel Spaß auf Skiern – und ohne Smartphone, das sonst mutmaßlich im Minutentakt für zu teilende Schnappschüsse gezückt worden wäre.
In der einen Stunde bis 22 Uhr diente es den Jugendlichen etwa für Anrufe bei den Eltern oder zum begrenzten Surfen. Von Tag zu Tag geriet es dabei mehr und mehr in Vergessenheit.
Wedel: Ohne Smartphone lernten sich die Schüler erst so richtig kennen
Nach der Rückkehr sagte etwa Celina Lumpe: „Wir haben uns besser kennengelernt und viel miteinander gemacht.“ Denn, wie Keil erklärt, sind diese Kursteilnehmer aus verschiedenen achten Klassen der Barlach-Schule zusammengewürfelt.
Auch Mert Camirtasi war begeistert, obwohl er kaum am Smartphone sein konnte: „Nein, es war nicht schwer. Wir haben unser Handy nicht vermisst, weil wir uns gegenseitig von unseren Erlebnissen nach dem Skifahren erzählt haben.“ Lisa Christensen hätte ebenfalls gemerkt, dass sie das Smartphone nicht gebraucht habe, da sie neben dem Skifahren auch viele andere Sachen gemacht habe.
Das Programm war nämlich bewusst so gestaltet, dass bloß keine Langeweile und Sehnsucht nach dem Telefon aufkommen sollte. Tagsüber sorgte der Sport für frische Gedanken, zudem konnten die Schülerim Pistenraupen-Fahrzeug mitfahren, erlebten ein actionreiches Nachtrodeln, malten gemeinsam Graffiti oder kochten in Kleingruppen die österreichische Pfannkuchen-Variante Kaiserschmarrn.
Lehrer Olaf Keil: „An der Tafel haben sich alle miteinander unterhalten“
„Das war wirklich ein sehr schöner Moment: Drei oder vier Leute haben in der Küche gekocht und alle anderen haben sich an der Tafel miteinander unterhalten“, so Keil. Sonst hätte jeder nur sein Handy vor der Nase gehabt, auf das er dann geglotzt hätte.
Und so entstand die Idee zu dem Projekt: „Ich war mit meinem Kumpel Hendrik Deichmann, der beim NDR arbeitet, in Obertauern Ski fahren und wir haben uns auch mit dem dortigen Tourismusdirektor Mario Siedler über Themen wie zum Beispiel Nachhaltigkeit, Synergien oder die Möglichkeit von Schulprojekten ausgetauscht“, erinnert Lehrer Olaf Keil sich an den Ski-Urlaub aus dem Vorjahr.
In Österreich werden Reisen mit Smartphone-Verzicht angeboten
In Österreich werden sogar spezielle Reisen angeboten, bei denen Smarthphones verboten sind. Daraus habe sich dann die Idee entwickelt, Wedeler Schülern diese Erfahrung im Skigebiet Obertauern zu ermöglichen. Der Tourismusverband habe laut Keil daraufhin das Projekt umfassend gesponsert, sodass die Kosten für die Eltern der insgesamt 14 Schüler überschaubar blieben.
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Im September informierte Keil, der an der Schule Sport, Wirtschaft und Politik, Technik, Berufsorientierung und Mathematik unterrichtet, die Schüler über die „handyfreien“ Bedingungen dieser Ski-Reise. „Die Reaktionen waren ziemlich ablehnend. Eine Schülerin hat weinend gesagt, dass sie nicht ohne ihr Handy leben könne“, sagt er. Der Kompromissvorschlag von einer halben Stunde Nutzung pro Tag sei dann immerhin noch verdoppelt worden.
Smartphone: Jugendliche sollen ein Problembewusstsein für ihr Nutzungsverhalten schaffen
Der Lehrer, der privat seit einiger Zeit auch gänzlich auf einen Fernseher verzichtet, wollte mit diesem Projekt ein Bewusstsein schaffen, den eigenen Handykonsum zumindest zu hinterfragen. Die Eltern waren bereits von Anfang an von der Idee und dem Projekt selbst sehr angetan gewesen, meint der 59-Jährige.
Der errechnete Durchschnittswert der 14 Jugendlichen vor der Tour: Fünf Stunden Bildschirmzeit – täglich. Laut NDR würde immerhin die Hälfte des Kurses nun auch nach der Rückkehr in Wedel das Smartphone weniger nutzen.
„Wir wissen nicht, wie nachhaltig das ganze sein wird und müssen uns ja auch keiner Illusion hingeben, dass wir 100 Prozent der Teilnehmer quasi bekehren können“, sagt der Wedeler. Aber wenn nun schon drei oder vier Schüler das Handy auch künftig einfach mal weglegen und stattdessen nach draußen gehen würden, wäre das „schon ein Erfolg“. Und auch weitere Wedeler Schüler werden folgen. Keil: „Wir sind wieder nach Obertauern eingeladen worden.“