Uetersen. Ministerin und Schule mahnen, das Video nicht zu verbreiten, Film auf Handys der Kinder zu löschen und mit ihnen über Tat zu sprechen.
Eine erschütternde Gewalttat unter Kindern hat sich im Kreis Pinneberg ereignet. In Uetersen sind mehrere Heranwachsende auf einen 12-jährigen Mitschüler losgegangen. Sie haben ihn vor laufender Handykamera geschlagen, gewürgt und gedemütigt. Das Video landete im Internet und wurde dort verbreitet. Weil alle Beteiligten unter 14 Jahre alt und damit nicht strafmündig sind, hat die Polizei den Fall an das Jugendamt des Kreises abgegeben. Schleswig-Holsteins Bildungsministerin und auch die Schule appellieren an alle, den Film nicht weiterzuverbreiten. Die Landespolitik nimmt sich jetzt des Themas an.
Was war passiert? Mehrere Jugendliche, darunter soll ein Mädchen gewesen sein, hatten den Schüler der Rosenstadtschule auf dem Weg von der Schule nach Hause an der Meßtorffstraße abgepasst. Vor laufender Kamera muss sich der Zwölfjährige niederknien und darf sich nicht wehren. Ihm wird unter Beschimpfungen minutenlang ins Gesicht geschlagen, bis er blutet.
Kinder quälen Mitschüler in Uetersen: Polizei gibt Fall an das Jugendamt ab
Es sind verstörende Szenen. Immer wieder ruft der ebenfalls zwölf Jahre alte Schläger: „Hast Du meine Mutter beleidigt?“ Er droht dem Jungen, ihn „behindert zu schlagen“. Die anderen stehen daneben und greifen nicht ein – zwei von ihnen aus Angst, wie zwei Mütter dem Abendblatt am Mittwoch erzählen. Als der Schläger, der mal Deutsch, mal Türkisch spricht, den Jungen plötzlich würgt und dessen Kopf rot anläuft, ist eine Stimme zu hören, die bittet „aufzuhören“. Erst dann wird der Gepeinigte von der Qual entlassen, aber noch im Wegrennen weiter beschimpft.
Polizeisprecherin Sandra Firsching bestätigte den erschreckenden Fall. Die Tat soll sich bereits am 14. Februar ereignet haben. Wenige Tage später erstattete ein Elternteil des gepeinigten Jungen Anzeige. Und auch die Schule hatte die Polizei eingeschaltet. Die Polizei leitete umgehend alle notwendigen Maßnahmen ein. Da alle mutmaßlichen Täter und Tatzeugen unter 14 Jahre alt sind, gab die Polizei den Fall zur weiteren Bearbeitung an das Jugendamt ab.
Leiter der Schule bittet eindringlich, das Video nicht weiterzuverbreiten
Die betroffene Rosenstadtschule äußert sich nun zu dem „schlimmen Gewaltvorfall“. In einer mit der Schulaufsicht abgestimmten Erklärung auf ihrer Homepage schreibt Schulleiter André Neumann: „Auch Kinder und Jugendliche unserer Schule waren daran in unterschiedlichen Rollen beteiligt.“ Er bittet eindringlich darum, das Video nicht weiterzuverbreiten, sondern zu löschen.
„Uns als Schulgemeinschaft erschüttert dieser Vorfall sehr. Wir nutzen alle uns zur Verfügung stehenden Mittel, um den von den schweren körperlichen Übergriffen betroffenen Jungen zu unterstützen“, versichert der Schulleiter. „Auch mit den anderen Beteiligten stehen wir über den Vorfall in Kontakt. Als in der Schule von dem Video Kenntnis erlangt wurde, haben wir die Polizei umgehend eingeschaltet und das Jugendamt informiert.“ In der Erklärung heißt es weiter: „Alle weiteren pädagogischen Maßnahmen setzen wir in enger Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe im regionalen Netzwerk um.“
Verstörendes Video der Tat aus Uetersen: Überregionale Medien berichten mit Bild und Film
Vorsichtig äußert sich Katja Wohlers, Sprecherin der Kreisverwaltung, zu dem Vorfall. Von Seiten des Jugendamtes würden „pädagogische und kinderpsychologische Maßnahmen“ für alle Beteiligten ergriffen. Weitere Auskünfte wolle sie nicht geben, da strafunmündige Täter und Opfer weitestgehend zu schützen seien.
Zuerst hatte die „Bild“-Zeitung über den Fall aus dem Kreis Pinneberg berichtet und auch das Video mit gepixelten Gesichtern online gestellt. Focus und NDR berichteten ebenfalls über die Greueltat.
Psychologin: „Uneingeschränkt dem Opfer helfen“
Während sich Schule und Jugendamt nicht weiter zu den Einzelheiten äußern wollen, weist die Diplom-Psychologin Julia Scharnhorst darauf hin, „erstmal dem Opfer zu helfen“. Der Junge benötige Schutz und Sicherheit, denn so eine Tat bedeute immer auch eine heftige Traumatisierung. „Eltern und Schule sollten sich uneingeschränkt hinter ihn stellen.“ Auch eine psychotherapeutische Hilfe sei anzuraten. Denn so ein Film, der über die sozialen Medien verbreitet werde, sei „kaum mehr einzuholen“.
Beim Täter gebe es vermutlich eine Vorgeschichte. Solche Aggressivität sei früh zu erkennen und dem hätte ebenso frühzeitig gegengesteuert werden müssen. Jetzt gebe es eine stabile Verhaltensstörung, die therapeutisch behandelt und bestraft werden müsste.
Bildungsministerin mahnt, Video zu löschen
Bildungsministerin Karin Prien mahnt Erwachsene und Schüler, das Video mit der „furchtbaren Tat“ nicht weiterzuverbreiten, sondern zu löschen. Wem Szenen der Tat auf Social Media irgendwo auffallen, solle es sofort dem Betreiber der Internetseite melden. „Es ist eine unserer wichtigsten Aufgaben als Gesellschaft, Empathie und gewaltfreie Kommunikation zu vermitteln“, schreibt die Ministerin.
David Ermes, Sprecher des Bildungsministeriums, lobt das Vorgehen der Lehrkräfte: „Deshalb hat die Schule genau richtig gehandelt, als sie von dem Video erfuhr, und Jugendamt und Polizei informiert. Schulsozialarbeit und Jugendamt bearbeiten den Fall und kümmern sich um das Opfer.“
Abgeordneter Balasus fordert, „klare Kante“ bei Tätern und Eltern zeigen
Als erster Politiker reagierte der Landtagsabgeordnete Martin Balasus (CDU). Der Abgeordnete fordert, „bei solchen Fällen klare Kante“ zu zeigen. Auch wenn diese Kinder und Jugendlichen häufig noch nicht strafmündig seien, müsse ihnen unmissverständlich klargemacht werden, dass ihr Handeln Konsequenzen hat. Das gelte auch für die Eltern dieser Kinder.
Erziehung der Kinder sei in erster Linie Aufgabe der Eltern und nicht die Aufgabe von Lehrerinnen und Lehrern. Wenn Kinder andere Kinder demütigen, misshandeln und dabei dann auch noch filmen, „ist offensichtlich auch etwas in der Erziehung falsch gelaufen“.
Christopher Vogt (FDP): „Gesellschaft etwas aus dem Lot geraten“
Der bildungspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Christopher Vogt, äußert sich ebenfalls erschreckt über die „abscheuliche Gewalttat“: „Wenn unsere Kinder und Jugendlichen beim Anblick von Gewaltszenen zunächst daran denken, entsprechende Bilder und Aufnahmen weiterzuverbreiten, und sich sogar noch mit solchen Taten und Aufnahmen brüsten, ist auch gesamtgesellschaftlich bei uns etwas aus dem Lot geraten.“
Da sei es höchste Zeit, gegenzusteuern. Der Abgeordnete betont: „Amokdrohungen auf Schultoiletten dürfen ebenso wenig Platz an unseren Schulen haben wie exzessive Gewalt oder Videoclips, mit denen der Erniedrigung von Mitschülerinnen und Mitschülern gefrönt wird.“
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Am kommenden Freitag wird sich der Landtag mit Kinder- und Jugendgewalt befassen. Dabei hört der Ausschuss Fachleute verschiedenster Professionen an, um die Hintergründe für Kinder- und Jugendgewalt zu beleuchten und Maßnahmen zur Bekämpfung dieser Entwicklung zu beraten. Solche Taten scheinen sich zu häufen. Vor Kurzem waren die Taten einer Mädchen-Gang in Heide und jetzt die Gewalt in Uetersen öffentlich geworden.