Elmshorn. Konflikte und Mobbing: Ungewöhnlich viele Hilfsanfragen aus Schulen haben die Beratungsstelle im Kreis Pinneberg erreicht.
Die Corona-Pandemie hat bei Kindern und Jugendlichen Spuren hinterlassen. Diese Bilanz ziehen die Mitarbeiter der kreisweiten Beratungs- und Therapiestelle Wendepunkt in Elmshorn, die vor kurzem ihren Tätigkeitsbericht für das Jahr 2022 vorgelegt haben.
Die Aufgaben der 1991 gegründeten Einrichtung umfassen die kreisweite Beratungsstelle für Opfer sexuellen Missbrauchs, die Familienhilfe, die schulische Gewaltprävention, die Hilfen für Opfer häuslicher Gewalt sowie die Prozessbegleitung. Auch Täterarbeit findet in gewissem Umfang statt.
Kreis Pinneberg: Wendepunkt Elmshorn kämpft mit Spätfolgen der Pandemie
Insbesondere aus den Schulen erreichten die Wendepunkt-Mitarbeiter im Vorjahr ungewöhnlich viele Anfragen, in denen es um Konflikte im Klassenverbund, Mobbing und das soziale Miteinander ging. Dies bedeutete letztlich eine hohe Arbeitsbelastung in den Wendepunkt-Fachbereichen Traumazentrum und den Erziehungshilfen.
„Corona hat eindeutig etwas mit den Kindern und Jugendlichen gemacht. Viele Jugendliche sind nach Corona beispielsweise ängstlicher geworden. Sie müssen erst wieder herausfinden, wie sie in der Gruppe klarkommen und ihre Rolle finden – da war viel Hilfestellung erforderlich“, berichtet Frauke Schöffel, Leiterin des Fachbereichs Familien- und Erziehungshilfen.
Mitarbeiter mussten nach Corona noch einmal von vorne anfangen
Kinder, Jugendliche und Familien würden auf die Erfahrungen der vergangenen Corona-Jahre ganz unterschiedlich reagieren. Was manche bewältigen können, sei für andere hochstressig. Schöffel: „Wir hatten vor Corona viele Schüler in unseren Familien, die gut integriert waren. Da mussten wir jetzt teilweise ganz von vorne anfangen. Corona hat die Familien verändert, Netzwerke sind zusammengebrochen und die Systeme waren hochbelastet.“
Zeitweilig seien von den Jugendämtern mehr Anfragen an die Familienhilfe herangetragen worden, als die Mitarbeiter bearbeiten konnten – etwa dreißig Familien mussten abgelehnt werden, 71 konnten aufgenommen werden.
Fachkräftemangel im sozialen Bereich erschwert die Arbeit des Wendepunktes
„Den Fachkräftemangel spüren wir sehr deutlich auf allen Seiten und Ebenen im sozialen Bereich. Sozialarbeiter sind die am meisten gesuchten Fachkräfte. Und auch in den Jugendämtern sind seit Monaten Stellen unbesetzt. Wenn wir dann eine Kindeswohlgefährdung melden müssen und am anderen Ende niemanden erreichen, dann ist das schnell kritisch“, berichtet Schöffel.
Es klappe mit den sogenannten Kooperationsberatern des Wendepunktes noch ganz gut, aber die Situation werde sich weiter verschärfen. „Wenn es mit dem Fachkräftemangel so weitergeht, wird es Auswirkungen haben und zulasten der Kinder, Jugendlichen und ihren Familien gehen“, sagt Dirk Jacobsen, der Geschäftsführer des Wendepunktes.
Wendepunkt fordert mehr Ausbildungsplätze und eine bessere Bezahlung
Und er sagt weiter: „Dann kann Kindern und Jugendlichen, die Probleme haben, nicht mehr geholfen werden, einfach weil es zu wenig Fachkräfte gibt.“ Es bräuchte mehr Ausbildungsplätze, eine bessere Bezahlung, mehr Wertschätzung für die wichtige Arbeit und klare Impulse von Seiten der Politik.
Im Bereich Traumazentrum habe im Jahr 2022 zum Glück niemand abgewiesen werden müssen, betont Sascha Niemann, Leiter dieses Fachbereichs. Denn gerade nach hochbelastenden und traumatisierenden Erfahrungen sei eine schnelle Hilfe sehr wichtig. Und nicht selten brauche das ganze Familiensystem Hilfe.
Beratungsstelle hilft auch in Notfällen – wie nach der Messerattacke von Brokstedt
„Man sagt allgemein, dass Trauma ansteckend ist. Das ganze System organisiert sich um die Betroffenen, versucht zu unterstützen. Das belastet alle – deshalb bieten wir, wenn nötig, Begleitung für die ganze Familie an“, erläutert Niemann.
Im Notfall könne, wie im Februar diesen Jahres beispielsweise nach dem Messerattentat im Regionalzug in Brokstedt, schnell reagiert werden. Während Patienten bei niedergelassenen Psychologen zumeist eine Wartezeit von einem halben Jahr oder mehr akzeptieren müssten, biete die Interdisziplinäre Trauma-Ambulanz Westholstein kurzfristig Hilfe und Unterstützung.
534 Beratungsanfragen an den Fachbereich Traumaintervention und Beratung
„Unser spezialisiertes Behandlungsangebot, das traumafokussiert und interdisziplinär im Austausch mit der Regio Klinik arbeitet, ist sehr gut aufgestellt. Wir erreichen damit viele Familien in den Kreisen Pinneberg und Steinburg“, so Niemann.
Im vergangenen Jahr seien insgesamt 534 Beratungsanfragen an den Fachbereich Traumaintervention und Beratung, zu dem unter anderen die Trauma-Ambulanz, die Beratungsstelle gegen sexuelle Gewalt und die Männerberatung gehören, herangetragen worden.
Auch viele Flüchtlinge und Familien suchen Hilfe beim Wendepunkt
Darunter seien auch viele Flüchtlinge und ihre Familien gewesen – aus der Ukraine sowie anderen Ländern. Insgesamt haben den Wendepunkt im vergangenen Jahr 1236 Hilfsanfragen erreicht, zehn weniger als im Jahr 2021.
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Im vorigen Jahr konnte die durch die Pandemie eingeschränkte Arbeit des Wendepunktes wieder in normalem Umfang geleistet werden. Auch an den Schulen im Kreis konnten die Wendepunkt-Mitarbeiter wieder ohne Einschränkungen Präventionsprojekte anbieten. Mit insgesamt 180 Projekten wurden mehr als 3600 Schüler erreicht – hinzu kamen noch Lehrkräfte und Eltern.
Das 2014 eingerichtete Fortbildungszentrum der Einrichtung hat 237 Fort- und Weiterbildungen angeboten – hinzu kamen noch 50 Fortbildungen im Rahmen der Fachstelle Schutzkonzepte. Es ist Ziel des Wendepunktes, Fachkräfte in ihrer Arbeit zu unterstützen und sie zu befähigen, mit den besonderen Herausforderungen gerade durch hochbelastete Kinder und Jugendliche umzugehen.
Kreis Pinneberg: Wendepunkt Elmshorn kämpft mit Spätfolgen der Pandemie
Im Fachbereich Ambulante Rückfallprophylaxe sahen sich die Mitarbeiter mit einer weiteren Zunahme der Anfragen konfrontiert. Der drastische Anstieg der Nutzung und Verbreitung von Abbildungen sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen spiegelt sich auch in der täglichen Arbeit der Fachkräfte wider.
Sie beobachten mit Sorge, dass immer mehr Kinder und Jugendliche auch (sexuell) übergriffig werden – weil sie zum Teil unreflektiert und sorglos verbotene Inhalte konsumieren und teilen würden.