Halstenbek. Gigantisches Projekt der Deutschen Bahn sei heimlich geplant worden. 48 Bürger schalten Anwalt ein und reden jetzt über ihre Pläne.
Ein vermeintlich harmloser Brief änderte im Oktober 2023 das Leben von Jens Dose und seinen unmittelbaren Nachbarn in Halstenbek. Absender war die Deutsche Bahn, die einen kleinen Teil des Grundstücks der Eigentümergemeinschaft erwerben wollte. Dort soll eine Lärmschutzwand für die geplante, riesigeICE-Abstellanlage errichtet werden.
Von dem Millionenprojekt direkt vor ihrer Haustür wussten Dose und seine Nachbarn zu diesem Zeitpunkt noch nichts. Erst als sie bei der Bahn wegen der Lärmschutzwand nachfragten, erfuhren sie, aus welchem Grund diese dort gebaut werden soll.
Gigantische ICE-Abstellanlage: 48 Halstenbeker schalten gemeinsam einen Anwalt ein
Seitdem haben die Halstenbeker, die größtenteils in der Wohnsiedlung Am Birkenwäldchen leben, ihre gesamte Nachbarschaft aktiviert, gemeinschaftlich eine Rechtsanwaltskanzlei eingeschaltet und dafür gesorgt, dass innerhalb von kurzer Zeit 100 Einwendungen gegen das Projekt beim Eisenbahnbundesamt eingegangen sind.
Eines ist den Halstenbekern, die sich zu einer inoffiziellen Bürgerinitiative zusammengeschlossen haben, sehr wichtig: „Wir sind an einem Dialog mit der Bahn interessiert und wollen ernst genommen werden“, so Dose, der an der Straße Am Birkenwäldchen direkt hinter dem Lärmschutzwall wohnt und gemeinsam mit Julia Huber sowie Jutta Hellermann als Ansprechpartner der Anwohner fungiert.
Anwohner bezweifeln, dass die Bahn an einem echten Dialog interessiert ist
Dass die Bahn ihrerseits an einem ernsthaften Dialog mit den Anwohnern gelegen ist, daran haben die Halstenbeker Zweifel. „Die Bahn hat über Jahre im stillen Kämmerlein das Projekt geplant und hat zu keinem Zeitpunkt die Anwohner in ein Gespräch eingebunden“, kritisiert Dose.
Erst durch den Brief der Bahn seien er und die Nachbarn auf das gigantische Vorhaben mit Abstellgleisen und Reinigungsanlagen für ICE-Züge, das wenige Meter von seiner Grundstücksgrenze realisiert werden soll, aufmerksam geworden. „Keiner unserer Nachbarn wusste etwas davon.“ Und auch die Gemeinde sei ahnungslos gewesen.
Pläne der Bahn verbreiten sich wie ein Lauffeuer in der Nachbarschaft
Dort gingen kurze Zeit später für die vierwöchige öffentliche Auslegung sechs dicke Aktenordner voller Planzeichnungen, Gutachten und Berechnungen für das Projekt ein, das die Bahn als ICE-Abstellanlage Eidelstedt-Nord betitelt. Tatsächlich liegen vier Abstellgleise mit jeweils 400 Metern Länge und das zweigeschossige Funktionsgebäude aber komplett auf Halstenbeker Gebiet.
„Wir haben dann alle das Rathaus gestürmt, um uns die Pläne anzusehen und zu erfahren, was dort geplant ist“, berichtet Jutta Hellermann. Die Pläne der Bahn hätten sich dann in der Nachbarschaft wie ein Lauffeuer verbreitet. Dafür sorgten in erster Linie die Anwohner selbst. Hellermann: „Wir haben an den Türen geklingelt und deutlich gemacht, wie wichtig es ist, Einwendungen gegen das Projekt zu formulieren.“
Die Einwendungsfrist bis zum 16. Januar habe gerade einmal vier Wochen betragen und über Weihnachten und den Jahreswechsel gelegen. Eine Verlängerung der Frist sei abgelehnt worden. Und die Bahn sei zwar dem Wunsch der Gemeinde nachgekommen, zu einer Informationsveranstaltung für die Bürger einzuladen. Jedoch habe der Termin drei Wochen nach Ende der Einwendungsfrist gelegen.
Vor diesem Hintergrund wundert es die Halstenbeker nicht, dass es aus den ebenfalls betroffenen Hamburger Stadtteilen nicht eine einzige Einwendung gegen das Großprojekt gab. „Man kann auf Google Maps sehen, wie viele Häuser in Hamburg betroffen sind. Dass von denen nichts kam, liegt vermutlich daran, dass keiner von dem Projekt weiß“, mutmaßt Dose.
Kosten für den Rechtsbeistand belaufen sich auf einen höheren fünfstelligen Betrag
Schnell wurde den Halstenbekern klar, wie komplex das Vorhaben der Bahn ist und wie schwierig es für Laien ist, dem etwas entgegenzusetzen. „Wir haben dann geschlossen eine Anwaltskanzlei in Hamburg engagiert, die bereits Erfahrungen mit Projekten der Bahn hat“, erläutert Dose.
48 Halstenbeker haben die Kanzlei gemeinschaftlich mandatiert, teilen sich die Kosten, die sich auf einen höheren fünfstelligen Betrag belaufen. Die Mitarbeiter der Kanzlei haben die Unterlagen der Bahn durchgearbeitet und individuelle Einwendungen formuliert. Es geht um Lärm- und Lichtemissionen, um Folgen für die Umwelt, Probleme mit der Entwässerung und Erschütterungen während der Bauphase, die zu Schäden an den Häusern führen können.
Siedlung Am Birkenwäldchen gilt offiziell als Mischgebiet
Ein dominierendes Thema ist das Wohngebiet Am Birkenwäldchen, das zwischen 1988 und 1992 in mehreren Bauabschnitten entstand. Im damaligen Bebauungsplan der Gemeinde ist die Fläche als Mischgebiet ausgewiesen, obwohl ein reines Wohngebiet entstanden ist. Weil diese Ausweisung nie geändert wurde, hat die Bahn das Areal in Sachen Lärmschutz als Mischgebiet eingestuft, wo höhere Lärmwerte zulässig sind.
„Doppelt so hoch wie in einem reinen Wohngebiet“, sagt Wilfried Malchow, der seit 1988 als einer der ersten in das damalige Neubaugebiet gezogen ist. „Wir haben gewusst, dass wir an die Bahn ziehen und dass ein Lärmschutzwall gebaut wird.“ In der Folge sei die Strecke elektrifiziert worden, die Personen- und Güterzüge seien moderner und damit leiser geworden.
Anwohner Wilfried Malchow: „Der Schall kennt keine Grenze“
„Wir haben immer im Einklang mit der Bahn gelebt“, so Malchow weiter. Jetzt aber plane die Bahn die neue ICE-Abstellanlage direkt vor der Nase der Anwohner. „Wir haben mit vorbeifahrenden Zügen gerechnet, aber nicht mit so einer Anlage vor der Tür.“ Lärmschutz gebe es partiell, jedoch längst nicht für alle. Malchow: „Der Schall kennt aber keine Grenze.“ Für das Gebiet Am Birkenwäldchen hält die Bahn den bestehenden Lärmschutzwall für ausreichend.
Jutta Hellermann, die im Bickbargen an einer Stichstraße hin zu den Gleisen in einem alten Haus aus den 1930er-Jahren wohnt, ist dort gänzlich ungeschützt vor dem Bahnlärm. An dieser Stelle soll eine vier Meter hohe Lärmschutzwand gebaut werden, die dann jedoch noch vor dem S-Bahnhof Krupunder wieder endet.
„Wir wollen erreichen, dass die Bahn nicht das gesetzliche Mindestmaß an Lärmschutz realisiert, sondern den bestmöglichen Schutz für uns Anwohner baut“, sagt Julia Huber. Und Jens Dose ergänzt: „Wir fordern nichts Unmögliches, nichts, was ein Vermögen kostet.“ Die Bahn könne mit verhältnismäßig kleinem Aufwand eine große Menge erreichen – nämlich für die Anwohner ein deutlich ruhigeres Wohnen ermöglichen, als es der jetzige Ist-Zustand erlaubt.
Gemeinde hat ihre offizielle Stellungnahme vorige Woche verschickt
Darauf zielt auch die offizielle Stellungnahme der Gemeinde ab, die vorige Woche an die Bahn geschickt wurde. Darin lehnt die Gemeinde die Pläne für die ICE-Abstellanlage in der jetzigen Form ab und fordert massive Nachbesserungen beim Lärmschutz, im Idealfall eine komplette Einhausung der Anlage. Alternativ macht die Gemeinde deutlich, dass eine Verlängerung der geplanten Lärmschutzwände auf beiden Seiten der Anlage unabdingbar ist.
Dass die Stellungnahme der Gemeinde deutlich schärfer ausfiel, als die ersten Entwürfe es erahnen ließen, ist auch den Anwohnern zu verdanken. „Wir haben im Dezember mit 70 Anwohnern regelrecht die Sitzung des Bauausschusses gestürmt“, erinnert sich Dose, der die Kommunikation mit Verwaltung und Politik als gut bezeichnet. In der Folge nahm sich auch die Gemeinde einen Anwalt, um die Pläne der Bahn überprüfen zu lassen.
Für die Anwohner ist der Klageweg eine ernstzunehmende Option
Während die Gemeinde eine Klage gegen das Projekt nicht anstrebt, sehen das die Anwohner differenzierter. „Es gibt Referenzurteile, wo für die Bürger entschieden worden ist“, sagt Wilfried Malchow. Und er sagt weiter: „Der Klageweg ist eine Option.“
Zwei Klagewege stehen den Anwohnern offen. Eine Klage wäre gegen die jetzigen Pläne möglich, jedoch auch später kann geklagt werden, während die ICE-Abstellanlage bereits im Betrieb ist. Nämlich dann, wenn die Anlage die genehmigten Lärmwerte überschreitet.
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„Alles, was die Bahn jetzt vorgelegt sind, sind Berechnungen“, sagt Julia Huber. Die würden zudem nur das Erdgeschoss und den ersten Stock der Häuser berücksichtigen, keine Wohnräume in den Dachgeschossen. Messungen vor Ort habe es keine gegeben. Und die Lärmprognosen würden allein auf den ICE-Zügen der neuesten Generation beruhen, die deutlich leiser unterwegs sein sollen als die früheren Modellreihen. Nach Fertigstellung der Abstellanlage seien zudem keine Untersuchungen vorgesehen, ob die errechneten Werte auch der Realität standhalten.
Anwohner fordern Beweissicherung gegen eventuelle Schäden
Das ist eine der Forderung der Anwohner – ebenso wie eine Beweissicherung, um eventuelle Schäden durch die Erschütterungen während der Bauphase zu dokumentieren. In erster Linie geht es den Halstenbeker aber um effektiven Lärmschutz. „Jetzt fahren bei uns Züge vorbei, das ist ein kurzer Moment, dann ist es wieder ruhig. Künftig haben wir eine Dauerbeschallung, weil die ICE-Abstellanlage 24 Stunden lang an sieben Tagen die Woche betrieben werden soll“, sagt Jens Dose.
Im Halbstundentakt würden ICE-Züge in die Anlage ein- und ausfahren, Bremsen würden quietschen, die Staubsauger der Reinigungsanlagen Lärm verursachen. Julia Huber weist auch darauf hin, dass die Berechnungen der Bahn auf Durchschnittswerten beruhen. Die Lärmspitzen würden jedoch deutlich darüber liegen. Zudem habe die Bahn laut Jens Dose kein Lichtgutachten vorgelegt. „Die Lichtemissionen müssten aus unserer Sicht untersucht werden. Was ist, wenn es künftig bei uns taghell ist?“
ICE-Abstellanlage: Anwohner befürchten Wertverlust ihrer Immobilie
Eine Dauer-Beschallung „macht krank“, sagt Wilfried Malchow. Für viele Anwohner sei die Immobilie in Halstenbek ihre Altersvorsorge. Malchow: „Eine Dauer-Beschallung hat massiven Einfluss auf den Wert der Immobilie.“ Ein möglicher Verkauf sei dann nur zu einem deutlich geringeren Preis möglich. Und Jutta Hellermann weist darauf hin, dass in dem Wohngebiet viele Kinder leben. Der Spielplatz dürfe nach 22 Uhr nicht mehr genutzt werden – aus Lärmschutzgründen. Die Bahn aber könne Tag und Nacht Krach machen, auch während der Bauphase der Anlage.
„Wir haben das Bedürfnis gesehen, uns zu schützen, haben deshalb einen Anwalt eingeschaltet“, sagt Julia Huber. Und sie betont, ebenso wie ihre Mitstreiter, keine Wutbürger zu sein. Keiner von ihnen wolle das Projekt verhindern, alle seien für den Ausbau des ÖPNV und die Mobilitätswende. Dies könne jedoch nicht auf dem Rücken der Anwohner geschehen, die dafür unter Dauerlärm leiden müssten.
Bahnlärmkarte weist Teile von Halstenbek als dunkelrot aus
Bereits jetzt gebe es auf der Seite des Eisenbahnbundesamtes eine Bahnlärmkarte für den Bereich Hamburg, auf denen Teile von Halstenbek dunkelrot ausgewiesen werden – was einem Lärmpegel von 65 Dezibel entsprechen würde. Die Halstenbeker warten jetzt auf den Erörterungstermin des Eisenbahnbundesamtes, das über die Einwendungen von Bürgern und Gemeinde entscheiden muss.
„Wir rechnen mit diesem Termin im April“, sagt Dose. Im Anschluss wird sich entscheiden, wie es weitergeht. Konfrontation oder Annäherung – beides erscheint nicht ausgeschlossen. „Ich würde mir wünschen, dass die Entscheidungsträger der Bahn sich mal vor Ort sehen lassen und in Dialog mit uns treten“, sagt Julia Huber.