Holm. Wie ein internationales Forscherteam der Firma one.five im Kreis Pinneberg daran arbeitet, die Industrie aus der Misere zu führen.
Der Glasflügelfalter lebt im tropischen Regenwald. Das ist mehr als 10.000 Kilometer vom Kreis Pinneberg entfernt. Und doch prägt der edle Schmetterling mit seinen durchsichtigen Flügeln, die nur am Rand gezeichnet sind, ein Unternehmen in Holm. Aber was haben das wanderfreudige Insekt, die weltweit dramatische Plastikkrise und die innovative Firma one.five miteinander zu tun?
Die Story beginnt bei einem Start-up in Berlin. Unter dem Titel Infarm entwickeln intelligente Menschen eine neue Art von Gewächshäusern, die jetzt in Restaurants und Supermärkten auch in Hamburg permanent frische Kräuter wachsen lassen, ohne Transportwege und viel Chemie. Von knapp zehn Mitarbeitenden wächst die Firma auf ein in Milliarden bewertetes Unternehmen mit gut 1000 Fachkräften.
Ohne Plastik: Dieses Start-Up aus Pinneberg revolutioniert den Verpackungsmarkt
Zwei junge Menschen tragen an dieser starken Entwicklung einen bedeutenden Anteil: der Betriebswirt Martin Weber, der als Chief Financial Officer für die Geschäfte mit Aldi, Edeka und Co zuständig ist, und die Juristin Claire Hae-Min Gusko, die als Leiterin des Wachstumslabors (Head of Growth Lab) arbeitet. Die beiden lernen sich kennen und schätzen.
Der gelernte Bankkaufmann, der sich schon mal als Unternehmensberater selbstständig und im Ausland seinen Master gemacht hatte, ist noch auf der Suche nach der eigenen Idee. Und nach fünf spannenden Jahren im erfolgreichen jungen Berliner Unternehmen machen sich die Zwei auf die eigene Reise. Die Idee: Den riesigen Bedarf an nachhaltiger Verpackung in der Industrie durch supermoderne Lösungen abdecken.
Start-Up wächst in vier Jahren von zwei auf 50 Mitarbeiter
Dank des kontinuierlich gewachsenen Netzwerks landen sie am Rande des Naturschutzgebiets Buttermoor in Holm bei Wedel in einem modernen, hellen Firmengebäude, das ehemals von einer Baumschule betrieben wurde. Zum Gelände gehören große Hallen – hervorragend geeignet, um für Forschung und Entwicklung Stück für Stück Flächen zu erschließen.
Mittlerweile sind hier zwei Algen-Kultivierungsanlagen, ein Materialwissenschaftslabor und weitere Forschungsbüros hergerichtet worden. „Wir haben hier tolle Entwicklungsmöglichkeiten“, sagt Martin Weber. „Der Vermieter stößt uns alle Türen auf. So viel Fläche und Freiräume hätten wir im nahen Hamburg niemals gefunden und schon gar nicht zu diesen Preisen.“
Zu zweit geht es 2020 los. 2021 wächst die Firma von fünf auf elf Personen. Mittlerweile haben die beiden Gründer ein etwa 50-köpfiges Team um sich versammelt. Mehr als die Hälfte arbeitet in der Forschung. Jeder Fünfte kümmert sich um die Programme für eine Künstliche Intelligenz.
One.five: Zusammenarbeit mit weltweit führenden Forschungseinrichtungen
Das Unternehmen entwickelt sich prächtig: one.five arbeitet mit weltweit führenden Forschungseinrichtungen wie der Universität Tübingen, dem Fraunhofer-Institut, dem Georgia Institute of Technology und dem Technical Research Centre in Finnland zusammen. Gemeinsam werden zahlreiche, hochinnovative Projekte an der Schnittstelle von Materialwissenschaften, Biotechnologie und Künstlicher Intelligenz umgesetzt.
Die beiden Gründer haben ein großes Ziel vor Augen: Sie wollen mit ihrem Unternehmen einen wesentlichen, dringlichen Beitrag leisten, um die Plastik-Krise zu bewältigen.
Auch Eiscreme lässt sich nachhaltig verpacken
Die Probleme der Verpackungsindustrie sind vielschichtig. „Es gibt keine eierlegende Wollmilchsau, die alle zufriedenstellt“, sagt Mitgründerin Claire Hae-Min Gusko. Denn für das eine Produkt muss die Sauerstoffbarriere errichtet werden, für das andere der Wasserdampf gebunden und für das Dritte das Fett gehemmt werden.
„Da ist ein Riesenloch, das die Großindustrie aus eigenen Kräften nicht decken kann, zumal die Anforderungen, nachhaltig zu wirtschaften, immer höher werden“, sagt der zweite Kopf des Unternehmens, Martin Weber. Deshalb gebe es auch nie die fertige Lösung, sondern alle Aufgaben müssen dynamisch weiter aufbereitet werden.
Freiräume für alle Beschäftigten zugunsten hoher Leistung
Damit das allen trotz anstrengender Aufgabe Freude macht, räumt die Firma viele Freiräume ein. Jeder und jede kann so weitgehend wie möglich die Arbeitszeiten selbst bestimmen. Die Ergebnisse zählen, aber auch der Zusammenhalt wird gepflegt. Drei bis vier Mal pro Jahr kommen alle Mitarbeitenden, die aus 20 Kulturen stammen und in neun Ländern leben, an einem Ort in der Region zusammen. Die Treffen in sogenannten Camps dauern in der Regel eine Woche.
Die Bedingungen am Hauptstandort in Holm sind ideal: Wer bei one.five ein Praktikum macht oder im unternehmenseigenen Labor arbeiten muss, der kann auf dem Gelände in Wohnungen leben, die das Unternehmen angemietet hat – ein Spaziergang durchs nahe Moor ist inklusive.
Parfüm-Industrie produziert von one.five entwickelte Verpackung
Die Arbeit hat bereits große Früchte gebracht: one.five qualifizierte sich für die hochexklusive Wirtschaftsallianz „4evergreen“ und liefert immer mehr passgenaue Verpackungslösungen für globale Konsumgütermarken, zum Beispiel für Parfums. Sie sind hauchzart, aber stark wie der Glasflügelfalter. Martin Weber schwärmt: „Unser durchscheinendes Papier, inspiriert von diesem zarten und dennoch widerstandsfähigen Lebewesen, macht Verpackungen nachhaltig, indem es Transparenz und Festigkeit vereint.“
Das Vertrauen in das Unternehmen wächst und wächst. Etwa zehn Millionen Euro an Wagniskapital sind bereits gesammelt worden, und zwar von Geldgebern, die neben der Rendite positive Auswirkungen auf die Umwelt erwarten, die sogenannten Impact Investoren. Dazu gehören Planet A, Green Generation Fund, Climentum Capital, Speedinvest, Revent und WEPA Ventures.
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Auch öffentliche Fördergeldgeber sind von der Kompetenz in Holm überzeugt. Gemeinsam mit der Europäischen Union fördern Bund und Land die Entwicklungen bei „one.five“. Jüngst sicherte sich sogar die Rhein-Ruhr-Region, die zum Silicon Valley und damit Hotspot der Kreislaufwirtschaft in der EU werden will, mit einem kräftigen Förderzuschuss die Unterstützung aus dem Kreis Pinneberg – so fliegt die vom Glasflügelfalter inspirierte Idee immer höher und höher.