Wedel. Autorin war auf der Suche nach sich selbst. Was sie von Hape Kerkeling unterscheidet - und welche Tipps man besser beherzigen sollte.
Andrea Marie Eisele war dann mal weg - in bester Hape-Kerkeling-Manier. Sie wollte ihre Gedanken neu sortieren und zu sich selbst finden – durch eine Pilgertour auf dem Jakobsweg. 800 Kilometer lief sie von den französischen Pyrenäen bis zur Kathedrale im spanischen Santiago de Compostela – ein mehr als großer Spaziergang. Nebenbei lernte sie auf dieser Reise sogar ihren späteren Ehemann Benjamin kennen – ein heute dreijähriger Sohn macht das Familienglück in Wedel perfekt.
Über die eindrucksvolle Reise hat die Journalistin, die im TV- und Online-Bereich arbeitet, ein Buch namens „Zum Glück gelaufen – Meine Reise auf dem Jakobsweg“ geschrieben. Ebenfalls eine Parallele zu Kerkeling („Ich bin dann mal weg“) – und vielen weiteren, die diesen Weg gewählt haben.
Jakobsweg: Mehr als 800 Kilometer lief Wedeler Buchautorin zu Fuß
Nach einer gescheiterten Beziehung, die mehr als sieben Jahre andauerte, und einem erfolgreichen Abschluss eines Studiums (Medienwissenschaft, Politische Kommunikation und Literatur) in Marburg und Berlin kamen in ihr zweifelnde Sinnfragen auf, die heutzutage wohl fachspezifisch laut ihrer Aussage als „Quarter-Life-Crisis“ tituliert werden würde.
„Es ging um die Beantwortung von Fragen wie: Was kann ich? Was mag ich? Und wer bin ich eigentlich?“ Mit christlichen Gedanken hatte ihr Entschluss nichts zu tun. Es ging einfach nur um die Suche nach Erkenntnissen.
Im Gegensatz zum Komödianten Kerkeling, der so manches Mal während seiner Reise im Zug saß oder im komfortablen Hotel nächtigte, ist die 37-Jährige die gesamte Strecke, trotz aller Querelen auch „aus sportlichem Ehrgeiz“, zu Fuß gelaufen – und sie hat ausschließlich in den mitunter schmuddeligen Herbergen entlang der Route übernachtet.
Jakobsweg: Schnarchkonzerte in den Schlafsälen waren inklusive
Dabei gibt es die etwas besseren, privat geführten Unterkünfte, die gut 30 Betten haben und circa 15 Euro pro Nacht kosten. Die oft heillos überfüllten kommunalen Herbergen entlang der Route liegen preislich zwischen fünf und acht Euro. In den kirchlichen Herbergen sind Spenden-Töpfe aufgestellt.
In solchen Schlafsälen übernachten bis zu 300 Personen. „Ich habe oft in den kommunalen Herbergen geschlafen, häufiger als in den privaten“, sagt sie. Es folgten intensive Schnarchkonzerte, die in chronischen Schlafmangel mündeten.
Checklisten: „Ich habe auf wichtige Dinge verzichtet“
Ihre Vorbereitung war etwas naiv. Obwohl sie mit ihrem Vater zuvor regelmäßig in den bayerischen Alpen und in Österreich wanderte. „Ich habe mir vorab im Internet Checklisten angeguckt, welche Dinge man unbedingt auf den Jakobsweg mitnehmen sollte. Und dann habe ich doch auf dort angeführte, wichtige Dinge verzichtet, um mit möglichst leichtem Gepäck zu reisen. Das war komplett falsch“, sagt sie über ihren sechswöchigen, mehrfachen Marathon-Lauf.
Beispielsweise hatte sie keine Badelatschen oder Flipflops mit. „Das habe ich gleich in der ersten Herberge in Saint-Jean-Pied-de-Port in der Dusche bereut – Fußpilz-Alarm“, sagt sie lachend. Trotzdem kaufte sie auf dem Weg keine mehr, sondern lieber ein schnell trocknendes Mikrofaserhandtuch. So etwas gehöre ebenso auf die Liste eines Pilgers wie eine Taschenlampe. „Am besten eine Stirnlampe“, sagt die Wahl-Wedelerin.
Junge Wedelerin allein auf dem Jakobsweg unterwegs
Theoretisch wollte sie immer mit ihrem Vater – und will es auch immer noch einmal – den Jakobsweg bewältigen. Praktisch zog sie jedoch als junge Frau im Alter von 26 Jahren allein los, um ihr Leben über diese Wanderung voller Herausforderungen neu auszupendeln. Immerhin stimmte das Wanderschuhwerk – Hersteller Lowa –, als sie auf den ultimativen Selbstfindungstrip aufbrach.
„Die Stiefel waren großartig. Allerdings hatte ich sie nicht wirklich gut eingelaufen. Einmal vorher an der Ostsee am Brodtener Steilufer. Insgesamt waren es so 25 Kilometer vielleicht“, erinnert sie sich. Von Anfang bis Ende des Trips hatte Eisele Blasen an den Füßen – es waren insgesamt 20. Sie zog das Abenteuer aber trotzdem kompromisslos durch. Zweifel kamen immer mal wieder auf, aber Gedanken, aufzugeben, habe es nie gegeben. Mit wild lebenden Hunden, die in der Region Foncebadon ihr Unwesen treiben und auch Kerkeling geärgert hatten, hatte Eisele keine Probleme.
„Auf dem Jakobsweg bist du auch eigentlich nicht wirklich allein“
„Angst hatte ich nie. Unsicher habe ich mich auch nicht gefühlt. Und auf dem Jakobsweg bist du eigentlich nicht wirklich allein. Du begegnest immer anderen Wanderern. Spätestens innerhalb von fünf Stunden kommt jemand vorbei“, sagt die Autorin, deren Tagebuch-Erlebnisse letztlich erst Jahre später den Weg in ein gebundenes, veröffentlichtes Werk fanden.
Eine betrunkene Männergruppe sei zeitweise negativ aufgefallen, aber auch diese recht unangenehme Situation mit geistlosen Kommentaren überstand sie schadlos. Ein Handy hatte Eisele für Notfälle zwar mit, Fotos habe sie jedoch insgesamt „unter zehn“ geschossen. „Es war eine bewusste Entscheidung, keine Kamera mitzunehmen“, erzählt die Autorin.
Ziel Santiago de Compostela? Mit einer Pilgerin ging es weiter bis zum Atlantik
Manchmal läuft man auf dem „Camino“, das spanische Wort für Weg, zwischenzeitlich dann auch ein oder zwei Stunden ein paar Kilometer hinweg gemeinsam mit anderen Wanderern. Doch jeder habe sein eigenes Tempo und wolle dies auch gern allein gehen. „Dann wünscht man sich freundlich einen „Buen Camino“ und es geht allein weiter. „Abends trifft man sich oft eh in den Herbergen wieder“, sagt sie.
Eisele schoss über das klassische Ziel der Pilgertour sogar hinaus – nach der Kathedrale Santiago de Compostela wanderte sie mit einer Begleiterin noch gute 80 Kilometer weiter westlich zum Kap Finisterre („Das Ende der Welt“), um an der galizischen Atlantikküste im eiskalten Meer zu baden.
Die Muschel weist den Pilgern den richtigen Weg
Für die Navigation habe man nicht mal ein Telefon gebraucht, denn: Der Weg sei schließlich ausgezeichnet. Das bekannte Symbol mit der Muschel oder andere Wegweiser weisen die Route. Täglich ist sie zwischen 25 und 35 Kilometern marschiert und habe wegen des echten „Camino-Gefühls“ auch Angebote von Landwirten, die sie auf dem Traktor ein Stück mitnehmen wollten, ausgeschlagen.
Die Wedelerin: „So ab Kilometer 32 am Tag wurde es sehr anstrengend. 38 Kilometer an einem Tag waren mein längster Abschnitt.“ Die auf dem Weg liegenden Industriegebiete, in denen andere Wanderer ausgeraubt worden sein sollen, hat Eisele diszipliniert durchschritten.
Hochzeit: Wedeler Liebesromantik auf dem Jakobsweg
Obwohl sie gerade überhaupt nicht auf der Suche danach war, hat sie auf dieser beeindruckenden Reise den Mann ihres Lebens gefunden. „Einige missinterpretieren daher auch den Titel meines Buchs“, lacht die Autorin. Sie sei zwar wirklich zum Glück gelaufen, allerdings sei die daraus resultierende Hochzeit im Jahr 2016 jetzt nicht zwingend der Hauptaspekt für dieses Glück gewesen. Es habe sinngemäß nicht die eine ganz große Erkenntnis auf dem Weg gegeben, sondern viele kleine.
Ein Beispiel: „Ich war vor der Reise nicht zufrieden mit dem, was ich war und mit dem, was ich hatte. Und ich habe mich dabei ertappt, wie auch ich andere einfach gedanklich in Schubladen gesteckt habe. Und das, obwohl ich eigentlich selbst immer total gegen Leute war, die so gedacht haben“, meint die Journalistin. Sie sei anschließend wieder offener und toleranter geworden – so sei sie bereits zuvor gewesen, doch durch diese Reise habe sie gelernt, „wieder mehr bei mir selbst zu bleiben.“
Berlin oder Basel – die Wahl fiel zunächst auf Hamburg
Auf der Pilgerroute habe sie ihren späteren Mann Benjamin immer mal wieder regelmäßig getroffen – und es dann irgendwann sozusagen fast vermisst, wenn er nicht da war. Inzwischen wohnt sie mit ihrem Mann und Kind in Wedel, hat aber sogar noch Kontakt zur gesamten siebenköpfigen Pilgercrew aus dem deutschsprachigen Raum von damals. Jährlich gibt es ein Treffen dieser auch alterstechnisch gesehenen, bunt-gemischten Gruppe.
Eisele war in dem Trupp die Berlinerin, Benjamin stammt ursprünglich aus dem Schwarzwald, wohnte dann in der Schweiz in Basel – die Distanz zwischen diesen Städten liegt bei weit mehr als 800 Kilometern. In Deutschland sei als Kompromisslösung die Wahl auf Hamburg gefallen. „Ich muss ja aufpassen, was ich sage, aber das ist überhaupt nicht despektierlich gemeint: Aus Berliner Sicht ist Hamburg vergleichsweise klein.“
Wedel ist Teil des norddeutschen Jakobswegs
Um dem naturverbundenen Gatten noch etwas mehr entgegenzukommen, folgte 2019 der Umzug nach Wedel, gewissermaßen aufs Land. „Hier ist ja auch ein Teil des norddeutschen Jakobswegs an der Elbe quasi direkt vor der Haustür“, sagt die Pilgerin. Auch sie schätzt es sehr, aus der „hektischen Großstadt“ herausgekommen zu sein und liebt die Natur. Der Reise-Fan ist hier vor Ort auch oft in den Holmer Sandbergen unterwegs.
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Ihre Tagebuchnotizen von der Jakobsweg-Reise habe sie dann nach Jahren des Alltags noch einmal sauber heruntergeschrieben, nachdem es fast ein tägliches Ritual geworden sei, darin zu lesen. Ihr Mann habe sie darin bestärkt, diese doch gesammelt als Buch zu veröffentlichen. „Ehrlich gesagt war ich skeptisch, weil der Markt mit Büchern über den Jakobsweg ja schon recht gesättigt ist“, so die Wedelerin.
Eiseles Buch über den Jakobsweg: Gleich mehrere Zusagen von Verlagen
Sie habe ihr Skript dann aber dennoch einfach mal an sogenannte Literatur-Agenturen geschickt, die es dann ihrerseits an diverse Verlage weitergeleitet hatten. Laut Eisele hätten dann sogar einige Verlage Interesse gehabt, ihr Buch zu veröffentlichen. Im April 2023 ist es im HarperCollins-Verlag erschienen, es gibt auch eine Hörfassung davon.
„Ich weiß bisher wirklich noch nicht, wie viele Bücher verkauft worden sind. Ich habe ein paar positive Rezensionen im Internet gelesen oder erhalte auf Instagram auch Fotos von Lesern, die mit meinem Buch gerade auf dem Jakobsweg unterwegs sind“, erzählt sie. Am Freitag, 23. Februar, gibt es um 17 Uhr eine Lesung im Pilger-Café an der Hamburger St. Jakobi-Kirche.
Nicht nur viele Deutsche sind über die Pilger-Reise auf dem Jakobsweg auf der Suche nach dem eigenen Kompass – oder der Herausforderung. Laut einer Statista-Studie waren es 23.219 im Jahr 2022. Insgesamt waren es damals stolze 438.321 Pilger, die sich in jenem Jahr auf die Route zwischen Frankreich und Spanien begeben hatten.