Wedel/Itzehoe. 52 Jahre alter Mann schrammt haarscharf an Sicherungsverwahrung vorbei. Wie er die Eltern belog und Ersatz-Opa für zwei Kinder wurde.
Immer wieder tupfte sich Ben K. mit einem Taschentuch die Augen ab. Das Urteil des Landgerichts Itzehoe – für den Angeklagten war es offenbar ein Schock. Dabei hat der 52 Jahre alte Wedeler schwere Schuld auf sich geladen: Ihm wurde besonders schwerer sexueller Missbrauch von Kindern sowie Herstellung und Besitz von Kinderpornografie vorgeworfen.
Am Ende des Prozesses standen elf Jahre Gefängnis. Seit Ende November hat die 3. Große Strafkammer sich mit den 39 angeklagten Fällen befasst. Die Vorwürfe sind derart widerwärtig, dass der Vorsitzende Richter Dominik Groß noch vor der Verlesung der Anklageschrift die Öffentlichkeit für die Dauer des Verfahrens ausgeschlossen hatte.
Prozess fand nicht öffentlich statt, Urteil wurde öffentlich verkündet
Die Urteilsverkündung – sie fand nach zweieinhalb Monaten Verhandlung hinter verschlossenen Türen wiederum öffentlich statt. Auf diese Weise war zumindest schlaglichtartig zu erfahren, mit welchen gravierenden Vorwürfen sich die Richter befassen mussten. Demnach hat Ben K. zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen, über einen längeren Zeitraum bis zu seiner Festnahme im März 2023 schwer sexuell missbraucht und die Taten gefilmt.
„Die Familie wohnte über ihnen, zunächst hatte sie die Geräuschkulisse der Kinder gestört“, so der Vorsitzende Richter. Dann jedoch habe sich Ben K. mit den Eltern des 2018 geborenen Jungen und des 2020 auf die Welt gekommenen Mädchens angefreundet – laut Groß „mit dem Ziel, die Taten zu ermöglichen“.
Angeklagter war für die Kinder eine Art Ersatz-Opa
Der 52-Jährige habe sodann den Eltern während der Corona-Pandemie Hilfe angeboten und immer mehr Betreuungsaufgaben für die Kinder übernommen. Er sei mit ihnen zum Spielplatz gegangen, habe Ausflüge mit ihnen gemacht, schließlich hätten die Kinder auch häufiger bei ihm übernachtet. „Er wickelte sie, kochte ihnen Essen, brachte sie ins Bett“, so Groß. Ben K. sei für die Geschwister quasi zum Ersatz-Opa geworden.
Das innige Verhältnis zu den Kindern habe der Angeklagte jedoch zur Befriedigung seiner sexuellen Triebe ausgenutzt. Und er habe davon Aufnahmen gemacht, um diese mit seinen Chatpartnern zu teilen. „Die 39 angeklagten Taten sind von ihnen im Grundsatz eingeräumt worden“, so der Vorsitzende Richter weiter.
Missbrauchsprozess: Angeklagter gesteht, aber nicht vollständig
Ben K. habe vor Gericht reinen Tisch gemacht. Allerdings nicht in allen Punkten. So habe der Angeklagte bestritten, dass es zu einem Eindringen in den Körper der Kinder gekommen ist. Die drei Berufsrichter und zwei Schöffen kamen jedoch zu einem anderen Schluss.
Sie haben sich das gesamte Filmmaterial, das der 52-Jährige von den sexuellen Übergriffen erstellt hat, angesehen. In einem Fall sind sich die Richter sicher, dass eine Vergewaltigung vorliegt. „Wir sind klar auf der sicheren Seite“, so der Richter. Auch die Tonaufnahmen („Wir hören ein Kind laut schreien, da ist etwas passiert, was dem Kind schwer zusetzt“) würden eine deutliche Sprache sprechen.
Kinderpornografie: Chatpartner aus Berlin gefasst
17 Anklagepunkte bewerten die Richter als direkte Missbrauchstaten, in den anderen Fällen geht es „nur“ um die Herstellung von Kinderpornografie. Der letzte Anklagepunkt betrifft den Besitz einer großen Menge kinderpornografischen Materials, das der 52-Jährige von seinen Chatpartnern erhielt.
Auf Aufforderung dieser soll der Wedeler auch Fotos und Filme von den beiden Kindern in bestimmten Posen gemacht haben, um diese gegen anderes Material einzutauschen. Groß benannte einen Chatpartner aus Baden-Württemberg und einen weiteren aus Berlin, der aufgrund der von Ben K. im Ermittlungsverfahren gemachten Angaben identifiziert und gefasst werden konnte.
Angeklagter zeigte Beamten das Versteck der USB-Sticks
Der 52-Jährige sei in dem Moment, als die Polizei bei ihm in Wedel zur Hausdurchsuchung anrückte, geständig gewesen und habe die Beamten auch zu einem Versteck geführt, wo er die USB-Sticks mit den kinderpornografischen Aufnahmen verwahrt hatte. Groß: „Ohne seine Angaben hätte die Polizei diese nicht gefunden.“
Die Kammer wertete dies ebenso wie das Geständnis zugunsten des Angeklagten. Auch dass er glaubhaft Reue gezeigt habe, hielten die Richter ihm zugute. Negativ werteten sie unter anderem, dass die Kinder zum Zeitpunkt der Missbrauchstaten sehr jung waren sowie die Vielzahl der Taten.
- 14 Jahre Haft wegen schweren sexuellen Kindesmissbrauchs
- Sicherungsverwahrung für Sexualstraftäter wird geprüft
- Kripo-Beamter hortete 18.000 Kinderpornos
Ben K. galt rechtlich als nicht vorbestraft. Er hatte 1993 eine Verurteilung offenbar wegen einer Missbrauchstat kassiert, diese ist aber inzwischen aus dem Vorstrafenregister gelöscht. Richter Groß hielt dem Angeklagten vor, die Familie über diese Vorstrafe „beinhart angelogen“ zu haben. Er habe sich ihr gegenüber manipulativ verhalten, um sein Ziel zu erreichen – nämlich die Missbrauchstaten zu begehen.
Welche Folgen die Missbrauchstaten bei den Kindern hinterlassen haben, dazu lag den Richtern das Gutachten eines Mediziners vor. Er sprach von Veränderungen bei beiden Opfern, so komme es etwa zu Schlafproblemen oder auch Bindungsstörungen. Die Ursachen seien jedoch nicht genau aufklärbar, daher seien die Veränderungen nicht als Folge der Taten feststellbar.
Angeklagte war forensisch-psychiatrisch untersucht worden
Gutachterin Christine Heisterkamp hat den Angeklagten forensisch-psychiatrisch untersucht. Sie kam zu dem Ergebnis, dass Ben K. voll schuldfähig ist. Auch zu der Frage, ob eine Sicherungsverwahrung gegen den 52-Jährigen verhängt werden sollte, hat die Gutachterin Stellung genommen.
„Wir haben das ebenfalls ernsthaft geprüft“, so Richter Groß. Unbestritten liege bei dem 52-Jährigen eine pädophile Veranlagung vor, mit der er jedoch „offen und einsichtig“ umgehe. Die Frage sei, ob es sich bei Ben K. um einen Hangtäter handele – also um einen, der nach seiner Haftentlassung weitere derartige Taten begehen würde, wenn sich ihm eine Gelegenheit dazu biete.
Richter haben Sicherungsverwahrung für Angeklagten geprüft
„Dafür gibt es elf Kriterien, die teilweise erfüllt sind, überwiegend aber nicht“, so Groß weiter. Der Angeklagte distanziere sich glaubhaft und deutlich von seinen Taten, er verurteile sie und übernehme dafür die Verantwortung. Auch habe er vor den angeklagten Taten ein unauffälliges Leben geführt.
Groß: „Wir gehen davon aus, dass ein Hang bei Ihnen nicht vorliegt, sodass eine Sicherungsverwahrung nicht zu verhängen war.“ Der seit Frühjahr 2023 bestehende Haftbefehl gegen den Angeklagten – graue, schüttere Haare, grauer Dreitagebart – bleibt in Kraft.
Kindesmissbrauch: Die Höchststrafe lag bei 15 Jahren
Die Kammer hat für jede der angeklagten 39 Taten eine Einzelstrafe verhängt. Die niedrigste liegt bei sechs Monaten, die höchste bei fünfeinhalb Jahren. Alle Einzelstrafen addiert ergeben fast 90 Jahre. Die Höchststrafe, die das Gericht verhängen konnte, lag bei 15 Jahren.
Juristisch gesehen wird die höchste Einzelstrafe, in diesem Fall also fünfeinhalb Jahre, angemessen erhöht. Auf dieser Basis lautete das Urteil elf Jahre Gefängnis. Groß: „Das ist aus unserer Sicht tat- und schuldangemessen.“