Kreis Pinneberg/Pinneberg. Auch eine andere Firma hat große Pläne - und zwar dort, wo der Kreis das alte Straßenverkehrsamt umnutzen will. Gibt es eine Lösung?

Eine seit Monaten laufende Flüchtlingsplanung der Pinneberger Kreisverwaltung wird nun plötzlich durchkreuzt, und zwar von der Kreisstadt Pinneberg. Der Kreis wollte auf dem rund 5000 Quadratmeter großen Gelände des früheren Straßenverkehrsamtes in der Flensburger Straße in Pinneberg eine vorübergehende Flüchtlingsunterkunft für bis zu 90 Personen schaffen. Aber jetzt gibt es Probleme.

Denn es stellt sich jetzt heraus, dass die dort ansässigen Gewerbetreibenden selbst große Pläne haben und bis zu 13 Millionen Euro in neue Verkaufsflächen investieren möchten. Darum hat der Hauptausschuss des Kreistages eine Entscheidung darüber bis zu seiner nächsten Sitzung am 21. Februar zurückgestellt.

Flüchtlingsunterkunft in Pinneberg: Famila und Tempelmann wollen dort 9 Millionen Euro investieren

Die Verwunderung unter den Kreispolitikern am Mittwochabend war groß, als die beiden Familienunternehmer Hardy Tempelmann und Christian Lahrtz vor der Hauptausschusssitzung im Kreishaus ans Rednerpult traten. Der Geschäftsführer des Feinwerktechnikunternehmens und der Chef des Famila-Konzerns berichteten dort leidenschaftlich, was sie alles in unmittelbarer Nachbarschaft des seit Jahren leerstehenden Straßenverkehrsamtes vorhätten.

So habe Tempelmann etwa ein 17.000 Quadratmeter großes Nachbargrundstück erworben, um dort für vier Millionen Euro eine komplett neue Produktionsstätte für das Traditionsunternehmen zu schaffen.

Die beiden Unternehmer Hardy Tempelmann (links) und Christian Lahrtz stellten den Kreispolitikern ihre Erweiterungspläne für ihre Standorte in der Flensburger Straße in Pinneberg vor, in die sie mehrere Millionen Euro investieren wollen.
Die beiden Unternehmer Hardy Tempelmann (links) und Christian Lahrtz stellten den Kreispolitikern ihre Erweiterungspläne für ihre Standorte in der Flensburger Straße in Pinneberg vor, in die sie mehrere Millionen Euro investieren wollen. © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

Und auf der anderen Straßenseite, wo Famila mit 29.000 Quadratmetern seit mehr als 20 Jahren das direkt angrenzende Grundstück zum Straßenverkehrsamt besitzt, sollen etwa fünf Millionen Euro investiert werden, erklärte Lahrtz. Geplant sei dort die Ansiedlung eines Drogeriemarktes, des Futterhauses, eines Schuhladens und womöglich auch des Fahrradgeschäftes von nebenan. „Dafür brauchen wir aber die Fläche des ehemaligen Straßenverkehrsamtes, weil die zusätzliche Verkaufsfläche auch mehr Pkw-Stellplätze erfordert“, sagte Lahrtz.

Pinneberg: Famila hat sogar Vorkaufsrecht für das frühere Straßenverkehrsamt

Darum habe sich der Famila-Konzern, der in seinen 90 Filialen insgesamt 7000 Mitarbeitende beschäftigt, dafür schon vor Jahren ein Vorkaufsrecht für das einstige Straßenverkehrsamt beim Kreis gesichert, berichtete der Famila-Chef. Auch die Pinneberger Stadtverwaltung kenne diese Pläne schon seit etwa einem Jahr. „Insofern wäre es für uns ein ziemlicher Schlag ins Kontor, wenn dort eine Flüchtlingsunterkunft gebaut werden sollte“, sagte Lahrtz vor den Kreispolitikern.

Diese waren darüber sehr verdutzt. Denn im Herbst vorigen Jahres war der Hilfeschrei aus den Städten und Gemeinden groß, dass sie dringend eine vorübergehende Unterkunft für Geflüchtete vom Kreis Pinneberg bräuchten. Diese „temporäre Einrichtung“, die die zugewiesenen Kriegsflüchtlinge vom Land etwa vier bis sechs Wochen aufnehmen würde, sollte ihnen etwas Zeit verschaffen, bevor diese Menschen dann vom Kreis nach klar feststehender Quote auf die Kommunen verteilt würden.

Krisenstab des Kreises plant mit 12 Kollegen seit Monaten Flüchtlingsunterkunft

Unter der Leitung von Fachbereichsleiter Robert Schwerin ist daraufhin eine Art Krisenstab mit zwölf Kreismitarbeitern gebildet worden, der seitdem eifrig dafür mögliche Standorte auf kreiseigenen Liegenschaften eruiert, geplant und die finanzielle Förderung des Landes dafür abgeklärt hat. Das Ergebnis sollte jetzt dem Hauptausschuss präsentiert werden.

Fachbereichsleiter Robert Schwerin leitet den zwölfköpfigen Krisenstab der Kreisverwaltung, der jetzt dem Kreistag vorschlägt, eine vorübergehende Flüchtlingsunterkunft im früheren Straßenverkehrsamt in Pinneberg einzurichten.
Fachbereichsleiter Robert Schwerin leitet den zwölfköpfigen Krisenstab der Kreisverwaltung, der jetzt dem Kreistag vorschlägt, eine vorübergehende Flüchtlingsunterkunft im früheren Straßenverkehrsamt in Pinneberg einzurichten. © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

Es seien praktisch nur noch zwei Standorte infrage gekommen, das ehemalige Zollhaus an der Drostei und eben das frühere Straßenverkehrsamt, beide in Pinneberg, führte Schwerin aus. Das ehemalige Krankenhaus in Wedel, das ebenfalls mal dafür angedacht war, schied frühzeitig aus, weil nur eine Anmietung von bis zu 18 Monaten möglich wäre, erklärte der Krisenstabsleiter. „Es ist doch viel klüger, diese Millionen-Investition in ein eigenes Gebäude als in ein Mietobjekt zu stecken.“

Alle Städte sind über die Pläne seit Monaten informiert - auch Pinneberg

Alle zwei Wochen tagte dazu eine Task-Force per Videokonferenz, an der regelmäßig auch einige Bürgermeister aus dem Kreisgebiet teilnahmen, wie Rellingens Verwaltungschef Marc Trampe auf Nachfrage des Abendblattes bestätigt. Ein Sitzungsprotokoll sei dann immer allen Kommunen zugesandt worden, erklärte Fachbereichsleiter Schwerin. Somit sei auch die Kreisstadt Pinneberg frühzeitig über die Pläne des Kreises informiert gewesen, dort eine Flüchtlingsunterkunft einzurichten, betonte Schwerin.

„Das ist seit einiger Zeit im Gespräch“, sagt dazu auf Nachfrage des Abendblattes Rellingens Bürgermeister Trampe, ohne genaue Zeitangaben zu machen. Aus der Pinneberger Verwaltung heißt es dagegen, sie sei erstmals am 8. Januar dieses Jahres darüber informiert worden.

Diese Aussage ist nach Recherchen des Abendblatts nicht richtig. Danach ist der Pinneberger Verwaltung mindestens seit November bekannt, dass der Kreis intensiv den Umbau des früheren Straßenverkehrsamtes für diesen Zweck untersucht, prüft und plant. Pinnebergs Bürgermeister Thomas Voerste, der erst seit Januar im Amt ist, sagt aber auch: „Wir arbeiten mit der Politik an einer konstruktiven Lösung.“

Es gibt sechs Varianten für die Unterkunft in Pinneberg für 90 Geflüchtete

Sechs verschiedene Varianten für die Flüchtlingsunterkunft hat die Kreisverwaltung herausgearbeitet. Sie reichen von der Sanierung des alten Straßenverkehrsamtes über dessen Abriss bis zum Neubau. Die Kosten belaufen sich demnach zwischen 800.000 Euro und 3,2 Millionen Euro. Immer geht es um maximal 90 Geflüchtete, die dort für bis zu sechs Wochen untergebracht werden sollen. Der Kreis geht davon aus, dass das sanierte Gebäude dann für diesen Zweck zwei bis fünf Jahre zur Verfügung stünde. Das Land würde die Investition zu 90 Prozent und höchstens mit 800.000 Euro bezuschussen.

Würde der Kreis hier sogar ein völlig neues Gebäude errichten und es für alle möglichen Krisenlagen auch in Zukunft nutzen wollen, könnte es sogar 40 Jahre lang bestehen, wofür etwa 3,6 Millionen Euro benötigt würden, heißt es in der Beschlussvorlage der Verwaltung. Der Kreis sollte sich damit für künftige Krisenlagen wie Evakuierungen bei Katastrophenlagen wappnen, forderte Schwerin.

Landrätin: Der Förderantrag beim Land muss bis Anfang März gestellt sein

Auch wenn sich zurzeit die Flüchtlingslage mit 80 bis 100 Geflüchteten, die pro Monat dem Kreis vom Land zugewiesen würden, etwas beruhigt habe, sollte die ungeordnete Aufnahme von Kriegsflüchtlingen aus den Jahren 2015/16 unbedingt vermieden werden. „Wir hätten etwas in der Hinterhand“, sagte der Fachbereichsleiter und verwies darauf, dass in den Jahren 2022/23 ein Viertel mehr Geflüchtete als 2015/16 hierher kamen.

Zudem sei Eile geboten, bat Landrätin Elfi Heesch den Hauptausschuss um eine schnelle Entscheidung. Es sei alles geprüft worden, was möglich wäre. „Das ist jetzt die Vorlage.“ Sollte diese Unterkunft gebaut werden, müsste der Förderantrag beim Land Anfang März gestellt werden. Sonst müsste der Kreis sie allein bezahlen und bekäme keinen Zuschuss von bis 800.000 Euro.

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Doch die Kreistagsfraktionen zögerten allesamt. „Wir brauchen jetzt ein klares Signal aus den Kommunen, ob sie eine solche Unterkunft als Zwischenlösung noch wünschen“, sagte SPD-Fraktionschef Hans-Peter Stahl. „Wenn die Stadt Pinneberg es nicht will, müssen wir es auch nicht tun“, ergänzte Grünen-Fraktionschefin Susanne von Soden-Stahl. „Wir als Kreis stecken ja viel Geld in die Planungsarbeit. Also brauchen wir eine klare Aussage aus Pinneberg“, sagte sie. Und CDU-Fraktionschefin und Ausschussvorsitzende Heike Beukelmann sagte: „Wir können auch entscheiden, dass wir es nicht machen.“

Kreispolitiker pochen auf Einigung mit Pinneberg oder Alternativen

Eine Entscheidung soll jetzt auf der nächsten Sitzung in zwei Wochen fallen. Dabei sollte es möglichst „kurzfristig zu einem Konsens zwischen Kreis und Stadt Pinneberg kommen“, hofft FDP-Fraktionschef Olaf Klampe. Denkbar wäre auch, dass die Stadt Pinneberg dem Kreis ein anderes Grundstück dafür anböte oder der Kreis selbst eines seiner Tochtergesellschaften zur Verfügung stellte, schlug Torsten Hauwetter (CDU) vor.

Auch Famila wäre bereit, dem Kreis ein Alternativ-Grundstück im Tausch anzubieten, wenn der Einzelhandelskonzern dafür das alte Straßenverkehrsamt für die Erweiterungspläne erwerben könnte, sagte Geschäftsführer Lahrtz im Abendblatt-Gespräch. Doch das würde etwas Zeit benötigen. „Wir wissen ja erst seit voriger Woche von den Plänen des Kreises.“

Bürgermeister Trampe: Flüchtlingsunterkunft wäre weiterhin hilfreich

Zur Frage, ob die geplante Flüchtlingsunterkunft überhaupt noch notwendig sei, sagt Rellingens Bürgermeister Trampe: „Es wäre schon hilfreich für uns Städte und Gemeinden, wenn der Kreis uns eine Pufferlösung anbieten könnte.“ Auch wenn niemand wisse, wie sich die Flüchtlingslage in naher Zukunft entwickle. Aktuell würden nur 20 bis 40 Plätze für eine solche Einrichtung benötigt, erklärte Fachbereichsleiter Schwein dem Hauptausschuss.