Pinneberg. Pinneberger Neubausiedlung erhält horrende Gasrechnung. Einige Bewohner haben deshalb gekündigt. Was Verbraucherschützer sagen.

Es war ein kleiner Schock: Denn Ingo und Evelyn Straatmann aus Pinneberg trauten ihren Augen nicht, als sie die Rechnung ihres Wärmeversorgers Getec öffneten. Das Ehepaar soll 2600 Euro an Heizkosten für ihre 93 Quadratmeter große Wohnung nachzahlen. Eine Nachricht, die zu allem Ärger auch noch kurz vor Weihnachten im Briefkasten lag.

Und sie sind nicht die einzigen, die sich am Nienkamp und am Grotenkamp mit einer horrenden Abrechnung konfrontiert sehen. Ein Nachbar mit gleich großer Wohnung hat sogar eine Forderung von 13.000 Euro erhalten. „Heizen ist mittlerweile teurer als die Miete selbst“, sagt der 74-Jährige.

Preis-Schock: Heizen teurer als Miete - Nachzahlung in Höhe von 207.000 Euro für Gas

Insgesamt mehr als 80 Haushalte in der Pinneberger Neubausiedlung erhielten im Dezember die Jahresabrechnung für das Jahr 2022 von ihrem Energieversorger Getec. Auch sie sollen Tausende von Euro für Gas nachzahlen. Die Nachzahlungen bewegen sich zwischen 2500 und 18.000 Euro. Die Mietergemeinschaft muss insgesamt 207.000 Euro nachzahlen. „Wer kann sich Heizen denn noch leisten?“, fragt Evelyn Straatmann.

Straatmanns sind im Mai 2021 in den neuen Wohnblock eingezogen. „Schon für das Jahr 2021 mussten wir 500 Euro nachzahlen. Das war noch vor der Energiekrise“, sagt sie. Wegen des Ukrainekriegs sind die Energiepreise gestiegen und viele Lieferanten erhöhen ihre Preise. Die Abrechnung für 2022, die nun kam, toppt das Ganze noch einmal.

Soka-Bau hat mit Wärmeversorger Getec Vertrag über zehn Jahre geschlossen

In dem Neubaugebiet werden immer zwei Wohnblöcke von einem Gas-Blockheizkraftwerk versorgt. Die Mieter können nicht einmal den Anbieter wechseln, da der Soka-Bau als Vermieter mit der Getec einen Vertrag für zehn Jahre geschlossen hat.

„Die Rechnungen sind ein Wust aus Zahlen und Formeln und für uns kaum nachvollziehbar“, sagt Ingo Straatmann. „Dass die Preise, die uns in Rechnung gestellt werden, real sind, bezweifle ich ganz stark.“ Außerdem wären die meisten Menschen der Aufforderung der Bundesregierung, Energie zu sparen, gefolgt und hätten sparsam geheizt.

Mieter: „Der hohe Energiepreis ist für uns nicht nachvollziehbar“

Der hohe Energiepreis ergibt sich aus den Preis­än­de­rungs­klau­seln in den Fern­wär­me­lie­fe­rungs­ver­trägen. Die Versorger können die Preiserhöhungen auf dem Markt direkt an die Mieter weiterreichen. Ob das Unternehmen Preise in Rechnung stelle, die es selbst an seine Lieferanten zahle oder Preise, die darüber hinaus gingen, sei schwer nachvollziehbar, so Straatmann.

„Wir erhalten trotz Nachfragen keine Auskunft darüber, wie die Einkaufspreise sind“, sagt Ingo Straatmann. Nun notiert er akribisch jeden Monat den Verbrauch, um für die kommende Abrechnung gewappnet zu sein.

Verbraucherzentrale in Kiel strebt außergerichtliche Lösung an

Die Mieter haben sich zusammengeschlossen, um sich gegen die hohen Nachzahlungen zu wehren. Sie machen ihre Situation öffentlich, indem sie die Presse einschalten und suchen sich auch bei der Verbraucherzentrale in Kiel Hilfe.

„Wir versuchen derzeit eine außergerichtliche Lösung zu finden, behalten uns aber gerichtliche Schritte vor“, sagt Tom Janneck. Er leitet das Referat Energiewende & Nachhaltigkeit in der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein und ist mit den Mietern in Pinneberg im direkten Gespräch. Überdies vertritt er nun auch deren Interessen.

Getec, Hanse Werk Natur und Stadtwerke Flensburg ziehen Preise stark an

Ein bundesweites Problem, das nicht nur die Getec betrifft. In der Verbraucherzentrale gehen immer wieder Fälle dieser Art ein. „Zum Jahresende 2021 und über das Jahr 2022 hinweg haben wir viele Beschwerden dieser Art insbesondere beim Anbieter HanseWerk Natur erhalten. Sie haben eine ähnliche Preisgestaltung wie die Getec, da sie aber alle drei Monate die Preiserhöhungen an ihre Mieter weitergegeben, ist es früher aufgefallen“, sagt Jannick. Aktuell würden auch viele Beschwerden zu den Stadtwerken Flensburg eingehen, deren Preise deutlich steigen, wenn die Preisbremse ausläuft.

Gänzlich wehrlos sind die Mieter nicht. Für den Verbraucher gibt es in dieser Situation zwei Handlungsmöglichkeiten. „Wer sich noch nicht ganz sicher ist, ob er in der Angelegenheit notfalls auch vor Gericht ziehen würde, dem empfehlen wir, der Preiserhöhung zu widersprechen und weitere Zahlungen nur noch unter Vorbehalt zu leisten“, sagt Janneck.

Hohe Nachzahlung: Verbraucherschützer raten, schriftlich zu widersprechen

Dies sollte auf jeden Fall schriftlich gegenüber dem Versorger erklärt werden. „Wenn sich betroffene Verbraucher dann im Nachgang entschließen, gerichtlich gegen den Versorger vorgehen zu wollen, können die überzahlten also auf die Preiserhöhung entfallenden Beträge zurückgefordert werden.“

Wer dagegen bereits entschlossen ist, die Sache notfalls gerichtlich zu klären, der kann die auf die Preiserhöhungen entfallenden Beträge einfach nicht zahlen. Dies sollte gegenüber dem Versorger auch schriftlich begründet werden. Kein Weg, den die Verbraucherzentrale propagiert.

Wer Rechnung nicht bezahlt, könnte verklagt werden

„Denn in diesem Falle muss der Verbraucher damit rechnen, vom Versorger auf Zahlung der Preiserhöhung verklagt zu werden, auch mit einer Sperrandrohung oder einer Kündigung durch den Versorger muss gerechnet werden“, so der Verbraucherschützer. In beiden Fällen werde dann ein Gericht über die Rechtmäßigkeit der Preiserhöhung entscheiden.

Die Mieter in Pinneberg (Nienkamp/Grotenkamp) müssen ihre Fernwärme über Getec beziehen. Das Unternehmen fordert nun horrende Nachzahlungen von mehreren tausenden Euros.
Die Mieter in Pinneberg (Nienkamp/Grotenkamp) müssen ihre Fernwärme über Getec beziehen. Das Unternehmen fordert nun horrende Nachzahlungen von mehreren tausenden Euros. © Anne Dewitz | Anne Dewitz

Im Fall der Hanse Werk Natur hat sich der Bundesverband der Verbraucherzentrale entschlossen, eine Sammelklage einzureichen, zu der sich alle Betroffenen nun auch in ein Klageregister eintragen können. „Allerdings können sich solche Gerichtsverfahren über Jahre hinziehen“, sagt Jannick.

Gaspreise werden anhand von Börsenkursen festgelegt

Es ist nicht Usus, Preise anhand von Börsenkurse festzulegen, aber es ist auch nicht ungewöhnlich. „Für uns als Verbraucherzentrale stellt sich aber die Frage, ob die Nutzung von Indizes zukünftig stärker gesetzlich geregelt werden müssen“, so Tom Janneck. „Die Probleme, die aus den Preisänderungsklauseln ergeben, sind unter anderem Inhalt eines Gespräches, das noch im Februar bei der Landeskartellbehörde in Schleswig-Holstein stattfinden wird.“

Darüber hinaus: Schleswig-Holstein hat dieses Jahr den Vorsitz bei der Energieministerkonferenz der Bundesländer und Minister Tobias Goldschmidt habe angekündigt, eine Reform des Rechtsrahmens bei den Fernwärmepreisen dort auf die Agenda zu setzen.

Getec: 2022 besonders hoher Preisanstieg bei Gas

Die Abrechnungen werden von der Firma G+E Getec Holding GmbH in Magdeburg erstellt. „Die Wärmepreisentwicklung im Jahr 2022 hat trotz Verbrauchsverringerung und Soforthilfe zu einem signifikanten Wärmepreisanstieg aufgrund der enorm gestiegenen Gaspreise geführt“, sagt Stefan Hofmeister, stellvertretender Sprecher und Marketing Manager.

Insbesondere im vierten Quartal des Jahres 2022 sei ein besonders hoher Preisanstieg zu verzeichnen. Diese Preisentwicklung habe Effekte auf alle Liegenschaften, in denen Gas als Energieträger eingesetzt wird. Dies treffe auch auf die Liegenschaft in Pinneberg zu.

Vertrag zwischen Vermieter und Versorger seit Jahren fix

„Jedem Wärmeliefervertrag einer Liegenschaft liegt ein flexibler Arbeitspreis gemäß einer vertraglich vereinbarten Preisgleitklausel zugrunde“, erklärt Hofmeister die Preisgestaltung. Diese Klausel werde bei Vertragsschluss gemeinsam mit dem Vermieter festgelegt und sei in Pinneberg bereits Jahre vor der massiven Gaspreisentwicklung fixiert worden.

„Die in der Formel enthaltenen, variablen Faktoren sind ausschließlich Indizes, auf die Getec keinerlei Einfluss hat. Es war Getec in den Vorjahren demnach möglich, die sehr niedrigen Erdgaspreise direkt an die Mieter weiterzugeben, um günstige Wärmepreise anzubieten. Im Jahr 2022 wirkte sich der Erdgaspreis bedauerlicherweise auch direkt auf die Mieter aus“, heißt es in der Stellungnahme der Getec.

Getec: Russischer Angriffskrieg hat Gaspreis in Höhe getrieben

Und weiter: „Die Gasbeschaffung erfolgt synchronisiert zu unseren Lieferverträgen. Ausschlaggebend für die dort zugrunde gelegten Gasbeschaffungspreise ist in diesem Fall der European Gas Index (EGIX). Der Anstieg der Gaspreise an der Börse durch den russischen Angriffskrieg hat den EGIX auf eine Rekordhöhe getrieben und zu massiv gestiegenen Wärmepreisen geführt.“

Der EGIX-Wert hat sich im Vergleich von 2021 zu 2022 um das 2,4-fache erhöht; im Vergleich zu 2020 sogar um das Zehnfache. Der Europäische Gas Index ist öffentlich einsehbar. „Diese Preise sowie deren Berechnungsmethodik sind marktüblich und weichen nicht signifikant von anderen Wärmeanbietern ab“, so der Getec-Sprecher. „Auch in diesen schwierigen Zeiten war es Getec stets möglich, die Wärmeversorgung unserer Kunden sicherzustellen.“

Getec-Sprecher: Gaspreise sinken aktuell

Hofmeister macht Hoffnung auf sinkende Preise. „Der Abschlag der Bewohner hat sich zum 1. Januar 2024 um 40 Prozent reduziert, um die gesunkenen Gaspreise entsprechend zu berücksichtigen“, sagt Hofmeister. Eine weitere Anpassung werde bis Ende des ersten Quartals geprüft. „Wir haben großen Wert darauf gelegt, unseren Kunden das gesunkene Preisniveau frühestmöglich weiterzugeben.“

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„Wir bedauern die hohen Wärmekosten, die durch die immensen Gaspreise entstanden sind und nehmen diese Belange sehr ernst. Aus diesem Grund bieten wir individuell Ratenzahlungen an, um die Bewohner zu entlasten“, heißt es von der Getec. Derzeit erarbeite Getec außerdem ein Konzept, um an Standorten mit besonders hohen Nachzahlungen mit den Bewohnern direkt vor Ort in Kontakt zu treten.

Erste Mieter haben wegen hoher Rechnung Wohnung gekündigt

Mehrere Mieter haben sich bereits bei ihrem Vermieter Soka-Bau über die hohen Nachforderungen der Firma Getec beschwert, bestätigt Torge Middendorf von Soka-Bau auf Abendblatt-Nachfrage. „Einige Mieter haben auch bereits den Mietvertrag aufgrund der Problematik gekündigt.“

Man versuche die Mieter im Rahmen der Möglichkeiten zu unterstützen, zum Beispiel wenn diese prüfen wollten, ob die ihnen vorliegenden Abrechnungen rechtmäßig seien. Auf einer eigens einberufenen Mieterversammlung im vergangenen Jahr hätten Mitarbeiter von Getec bereits die Berechnungsmethodik ihrer Wärmekostenabrechnungen erläutert und zu verschiedenen Fragen der Mieter Stellung genommen.

Soka-Bau prüft vorzeitige Kündigung des Vertrages mit Getec

„Wir haben die Firma Getec nun noch einmal aufgefordert, uns nachvollziehbar darzulegen, wie der Arbeitspreis für das Jahr 2022 ermittelt wurde und uns die entsprechenden Nachweise für die Beschaffungskosten zum Beispiel für den Gaseinkauf zukommen zu lassen“, sagt Middendorf. Außerdem sei eine unabhängige Rechtsanwaltskanzlei damit beauftragt, die Ermittlung des Arbeitspreises sowie die jeweiligen Preisgleitklauseln zu prüfen.

Der Vertrag mit der Firma Getec läuft offiziell noch bis zum 31. Dezember 2032. Die Soka-Bau prüft derzeit eine vorzeitige Kündigung des Vertrages zum 31. Dezember 2027.