Kreis Pinneberg. Behandlung müsse bezahlbar bleiben. Dafür gründen und lenken Tierhalter aus dem Kreis Pinneberg neuen, bundesweiten Protest-Verein.

Seit gut einem Jahr gilt eine neue Gebührenverordnung für Tierärzte. Die Kostensteigerungen für Tierhalter von Hund, Katze, Kaninchen oder Meerschweinchen liegen weit über den angekündigten 20 Prozent, Behandlungskosten haben sich teilweise mehr als verdoppelt. Dagegen formiert sich bundesweit Widerstand. Der Protest wird jetzt lauter, Menschen aus dem Kreis Pinneberg haben dafür die Initiative ergriffen.

„Viele Tierhalter merken das erst, wenn sie mit ihrem Tier in die Praxis müssen“, sagt Jan Lüneburg. Der Arzt im Ruhestand und Seniorchef des Gestüts Idenburg in Hetlingen ist auch Hundeliebhaber und war schon früh auf das Problem aufmerksam geworden. Doch die Lobby auf Bundesebene war bislang zu schwach, um Änderungen zu erwirken.

Haustiere: Vereinigung deutscher Tierhalter wird vom Kreis Pinneberg aus geführt

Also mussten weitere Unterstützer her. Mit der Betriebswirtin und Pferdewirtschaftsmeisterin Sabine Reimers-Mortensen, die das Gestüt Grenzhöhe in Lutzhorn lenkt, fand er schnell eine auch in juristischen Fragen bewanderte Mitstreiterin. Beide gehören zum Vorstand der Vereinigung Deutscher Tierhalter e.V. (VDTH), die vor Kurzem vom Amtsgericht Berlin ins Vereinsregister eingetragen wurde.

Jan Lüneburg und Sabine Reimers-Mortensen führen den Vorstand der neu gegründeten Vereinigung Deutscher Tierhalter.
Jan Lüneburg und Sabine Reimers-Mortensen führen den Vorstand der neu gegründeten Vereinigung Deutscher Tierhalter. © Michael Rahn | Michael Rahn

„Ich setze mich dafür ein, dass die Tierarztkosten für die vielen Millionen Tierhalter in Deutschland bezahlbar bleiben. Haustiere tun uns Menschen gut. Ich möchte, dass die Haustierhaltung auch langfristig möglich bleibt und es unseren Tieren dabei gut geht“ sagt Sabine Reimers-Mortensen, die sich zur Vorsitzenden der Tierhaltervereinigung hat wählen lassen.

„Die Behandlungskosten haben sich teilweise mehr als verdoppelt“

„Rechnungen für die Kastration einer Katze von fast 800 Euro, der Kaiserschnitt bei einer Hündin für nahezu 2000 Euro. Das sind Beispiele aus meinem Bekanntenkreis, die zeigen, dass viele Tierhalter finanziell überfordert werden. Das ist doch grotesk“, wettert auch Jan Lüneburg. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Organisation.

Gemeinsam mit ihren Mitstreitern trommeln die beiden Tierfreunde aus dem Kreis Pinneberg für eine Petition an den Deutschen Bundestag, die jeder und jede unterstützen kann. Unter dem Titel „GOT – JA, aber FAIR!“ kann die Petition auf dem Server des Deutschen Bundestags bis zum 4. Februar 2024 digital mitgezeichnet werden. Mit einer ähnlich lautenden Petition versucht die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN), Druck auf das federführende Landwirtschaftsministerium von Cem Özdemir aufzubauen.

Tierhaltervereinigung fordert, neue Sätze zu überprüfen

Mit der Petition wird gefordert, die Auswirkungen der Gebührenerhöhung von Ende 2022 zu überprüfen. Aus Sicht der Tierhaltervereinigung sind nicht nur viele Gebührensätze um deutlich mehr als 20 Prozent angehoben worden. Auch die Systematik des neuen Leistungsverzeichnisses mit neuen Gebührentatbeständen und die nach wie vor großen Ermessensspielräume der Tierärzte führen zu einem dramatischen Anstieg der Behandlungskosten (Lüneburg). Die Akteure befürchten, dass damit das Tierwohl in Deutschland gefährdet wird.

Tatsächlich registrieren viele Tierheime, dass Menschen ihre Tiere abgeben wollen, weil sie zu hohe Kosten tragen müssen. Oder sogar aussetzen, wie Peter Dorendorf, Beauftragter des Pinneberger Tierschutzvereins beobachtet. Brigitte Maeder, Leiterin des Tierheims in Elmshorn, bestätigt ebenfalls dieses Verhalten: „Wir haben sehr viele Anfragen für Tierabgaben. Auffällig häufig melden sich auch die Tierarztpraxen: ‚Hier ist ein Kunde mit einer verunfallten Katze, er kann die Tierarztkosten nicht tragen, können Sie das Tier aufnehmen?‘“

Bestand der Pferde im Land wird deutlich sinken

Auch wirtschaftlich befürchten die beiden Sprecher der Tierhaltervereinigung negative Entwicklungen. „Bei den Pferden sind die Bedeckungen in diesem Jahr zum Beispiel um 25 bis 30 Prozent zurückgegangen, weil Züchter die hohen Besamungskosten nicht mehr zahlen können. Manche lassen ihre Stuten zur Kostenersparnis schon in Holland oder Dänemark besamen“, erläutert Jan Lüneburg.

Dieser Trend treffe Schleswig-Holstein sehr stark. Denn die Pferdewirtschaft im Land macht laut Lüneburg mehr Umsätze als die Werftindustrie. Einige Prognosen gehen davon aus, dass der Bestand der Pferde in Deutschland bis zum Jahr 2030 von 1,3 Millionen auf nur noch 900.000 sinken wird.

Senioren ohne Tier vereinsamen noch stärker

Sogar sozialpolitisch wirke sich die drastische Erhöhung von Tierarztgebühren aus. „Ein Haustier ist ein Stück Lebensqualität für allein lebende Menschen“, sagt Sabine Reimers-Mortensen. Doch wenn die Seniorin oder der Single sich das Tier nicht mehr leisten könne, würden noch mehr Menschen vereinsamen.

Eine angehende Tiermedizinerin hält einen Welpen fest. Tierschützer machen sich Sorgen um Tiere und Tierheime wegen höherer Arztkosten.
Eine angehende Tiermedizinerin hält einen Welpen fest. Tierschützer machen sich Sorgen um Tiere und Tierheime wegen höherer Arztkosten. © dpa | Arne Dedert

Bei ihrer Initiative geht es den Akteuren nicht darum, die Tierärzte zu brandmarken. „Ein Tierarzt muss die Möglichkeit haben, bei seiner Abrechnung den Zeitaufwand und die Schwierigkeit der Behandlung zu berücksichtigen“, betont auch die Vorsitzende der neuen Tierhaltervereinigung, Sabine Reimers-Mortensen. Aber Rechnungen müssen transparent und nachvollziehbar sein und es muss verbindliche Regeln und Auslegungen geben. Zurzeit müsse der Veterinärmediziner nicht mal erläutern, warum er einen möglichen höheren Gebührensatz berechnet.

Tierärztekammer verteidigt neue Gebührenordnung

Die Tierärztekammer verwahrt sich hingegen in diversen Erklärungen gegen die Behauptung, Tierärzte würden zu hohe Gebühren kassieren. Die Anpassung der Gebührensätze sei notwendig gewesen, um dem „eklatanten Fachärztemangel“ zu begegnen und junge Menschen zu motivieren, den Beruf zu erlernen.

Der Vorstand der Tierhaltervereinigung befürchtet dagegen, dass die massiven Gebührenerhöhungen kein zielführendes Instrument sind, um zusätzliche Kapazitäten zu schaffen. Hier sei vielmehr der Staat gefordert, der seinen Beitrag durch die Schaffung zusätzlicher Studienplätze, die Überprüfung von Zulassungskriterien zum Studium und die Ermöglichung flexiblerer Arbeitszeiten schon vor Jahren hätte leisten müssen.

Interessenvertretung der Tiermediziner rät zur Versicherung

Dr. Ann Johanna Marquardt von der Tierärztekammer des Landes verweist darauf, dass die Gebührenordnung für alle bindend sei und willkürlich weder nach oben noch nach unten ausgelegt werden dürfe. Sie rät: „Sicherlich ist es sinnvoll, im Vorfeld einmal den Kostenrahmen für eine Behandlung zu erfragen. In Routinefällen, zum Beispiel Impfungen, Kastrationen etc., kann eine Tierarztpraxis relativ genau die Kosten angeben.“

Allerdings sei darauf hingewiesen, dass im Krankheits- oder Operationsfall die Kosten nicht immer exakt vorausgesagt werden können. Deshalb verweist die Tierärztekammer darauf, eine Versicherung zu prüfen.

Tierhaltervereinigung klagt über teure Versicherungsprämien

Eine Krankenversicherung für Tiere schafft laut Vorstand der Tierhaltervereinigung nicht die gewünschte finanzielle Entlastung der privaten Haushalte. Denn auch die Versicherungs­prämien sind nach der Novellierung der Gebührenordnung massiv gestiegen, während alte Tiere oder Tiere mit Vorerkrankungen gar nicht mehr versichert werden können. Ein Teufelskreis, den die Regierung eines Landes, das den Tierschutz zum Staatsziel erklärt hat, dringend unterbrechen müsse.

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Um gegenzusteuern, fordert die Tierhaltervereinigung vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, dass bei Novellierungen der Gebührenordnung die Ermächtigungsgrundlage beachtet wird. Diese verlangt, dass die Interessen der Tierärzte genauso wie die Interessen der Tierhalter berücksichtigt werden. Dabei geht es nicht nur um die Höhe einzelner Gebührensätze, sondern auch um Transparenz, Verbraucherschutz und Rechtssicherheit. Diesen Prozess möchte die neue Tierhaltervereinigung künftig mitgestalten.