Uetersen. Erzieherinnen-Notstand trifft immer mehr Familien, in denen beide Partner arbeiten müssen. Land senkt Einstiegshürden in den Beruf.
Immer mehr Eltern sind betroffen von der Personalnot in den Kindertagesstätten im Kreis Pinneberg und ganz Deutschland. Viele müssen vorzeitig ihre Arbeit abbrechen oder spontan Urlaubstage einschieben, wenn in der Kita aufgrund von Krankheit und offenen Stellen gar nichts mehr geht. Diese Verzweiflung treibt nun einige zum Handeln.
Es waren die Eltern der Kita unterm Kirchturm in Uetersen, die sich als erste zusammenschlossen. Auf den Spuren des Kirchenreformators hämmerten sie am 31. Oktober ihrer Forderungen an die Kirchentür, um Politik und die breite Öffentlichkeit auf die Probleme in den Kitas aufmerksam zu machen. Seitdem werden die Protestierenden fast täglich mehr.
Kita-Notstand Pinneber: Eltern weiten ihren Protest aus
Bereits knapp drei Wochen später zogen etwa 200 Erwachsene und Kinder mit bunten Lichtern durch Uetersen. Auch aus Nachbarkommunen machten betroffene Eltern und Erzieherinnen mit. In den Zug reihten sich auch der Landtagsabgeordnete Thomas Hölck sowie Uetersens Bürgervorsteher Baris Karabaczak ein.
Noch vor Weihnachten folgen die nächsten Aktionen. Die Aktiven wollen während der Sitzung der Uetersener Ratsversammlung am Dienstag, 19. Dezember, auf ihr Anliegen aufmerksam machen. Die Akteure treffen sich um 18 Uhr vor dem Rathaus, die Sitzung fängt eine Stunde später an.
Unsere Gesellschaft ist sich fast einig: Frühkindliche Bildung, Entwicklung des Sozialverhaltens, Vermittlung von Werten und Integration sind wichtige Aufgaben, die Erzieherinnen in den Kitas der Gesellschaft ermitteln. „Kinder haben einen Anspruch, auch vor der Schule, diese Bildung zu erfahren“, sagt Nathalie Rieck, eine der Initiatoren der Gute-Kita-Initiative.
Erziehermangel: „Es ist an uns allen, das Land daran zu erinnern“
Die Sprecherin der Gruppe ermuntert andere, sich der Gruppe anzuschließen. Sie sagt: „Es ist an uns allen, das Land Schleswig-Holstein daran zu erinnern.“ Sie weiß, dass es ein Spagat sei, angesichts des Fachkräftemangels die Bildungsqualität zu erhalten und gleichzeitig dem wachsenden Betreuungsbedarf vor allem berufstätiger Eltern gerecht zu werden.
Beim Landtagsabgeordneten Martin Balasus trifft die Initiative der Eltern auf offene Ohren. „Wir haben bereits mit der Praxisintegrierten Ausbildung (PiA), den ‚helfenden Händen‘, einem leichteren Quereinstieg und der Einführung einer Ausbildungsvergütung schon wichtige Maßnahmen auf den Weg gebracht“, sagt der Christdemokrat.
Land setzt auf Erleichterung und verbesserte Möglichkeiten des Quereinstiegs
Das Land setze nun auf die Fachkräfte-stärken-Strategie. Dazu zähle, dass die Ausbildungsplätze für die Praxisintegrierten Ausbildung (PiA) erhöht wird auf jetzt 800. Ab 2024 werde das Land diese Ausbildungsform mit zusätzlichen zehn Millionen Euro stärken.
Das Land setze ebenfalls auf eine Erleichterung und verbesserte Möglichkeiten des Quereinstiegs, um für Personal in den Kitas zu sorgen. Weil künftig auch sozialpädagogische Assistentinnen Gruppen leiten dürfen, hoffe die Politik, dass dieser Beruf attraktiver werde. Seit 1. Januar 2023 dürfen zudem „Helfende Hände“ die Kitas unterstützen.
Quantität vor Qualität: Viele Eltern im Kreis Pinneberg sind skeptisch
Viele Eltern sind skeptisch. Quantität gehe dabei oft vor Qualität. Die „helfenden Hände“ seien keine wirkliche Entlastung für die Kitas. Hilfskräfte könnten aktuell nur eingestellt werden, wenn in der Kita Stellen frei sind. Eine Hilfskraft könne beispielsweise Kindern beim Anziehen helfen oder bei den Mahlzeiten begleiten und dort wertvoll unterstützen. In der pädagogischen Arbeit bringe es jedoch kaum Entlastung, werde aber wie eine Fachkraft beim Stellenschlüssel betrachtet.
„Sobald die freie Stelle durch eine pädagogische Fachkraft wieder besetzt wird, muss die Hilfskraft gehen“ berichtet Saskia Martens. Die „helfende Hand“ müsse deshalb zusätzlich eingesetzt und bezahlt werden. Ein Vorschlag aus der Elternschaft: „Um gerade auch den Erziehern den Druck zu nehmen, wäre ein Springer Pool, der in Urlaubs- und Krankheitszeiten unterstützen kann, ein guter Ansatz, um im derzeitigen Fachkräftemangel kurzfristig und flexibel Abhilfe zu verschaffen.“
„Wir Eltern sind es, die aktuell mit unseren Sozialabgaben in die Kassen einzahlen“
Gerade in diesen Zeiten bedürfe es Weitblick und einer Debatte über Legislaturperioden hinaus, wie Eltern, Pädagogen und Gesellschaft unsere Kleinsten gut auf das Leben vorbereiten wollen. „Immer mehr muss gezahlt werden, immer mehr muss deswegen gearbeitet werden. Das lässt sich mit immer weniger Rückhalt um gesicherte, belastbare Kinderbetreuung schwer vereinbaren.“ sagt Kathrin Konradt, ebenfalls Initiatorin und Mitbegründerin der Initiative.
Die daraus resultierende Last, die bei Eltern wie den pädagogischen Kräften mitschwingt, sei nicht mehr haltbar. „Wir Eltern sind es, die aktuell mit unseren Sozialabgaben in die Kassen einzahlen, denen netto oftmals zu wenig bleibt, um in diesen Zeiten den Kindern einen soliden Lebensstandard zu ermöglichen und ihnen als Vorbilder die Tugenden zu vermitteln, mit denen einst unsere Großeltern unser Land nach dem Zweiten Weltkrieg zu dem G7-Staat gemacht haben, in diesen Wohlstand wir heute leben dürfen“, sagt Nathalie Rieck.
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Die Initiative hat inzwischen viele Mitstreiter gefunden. Darunter sowohl Eltern als auch Erzieher:Innen aus den Kitas aus vielen Teilen des Kreises Pinneberg. Wer sich der Gruppe anschließen will, hat dazu am Montag, 18. Dezember bei einer Gesprächsrunde per Video Gelegenheit. Anmeldung über die Homepage der Gute-Kita-Initiative.