Uetersen. Frustrierte Mütter und Väter in Uetersen verleihen ihrer Forderung nach mehr Erzieherinnen mit ungewöhnlicher Aktion Nachdruck.
Vor etwa 500 Jahren, zu den Zeiten des Reformators MartinLuther, war es üblich, öffentliche Debatten über öffentliche Aushänge anzustoßen. Da sich Luthers Thesen gegen den Ablasshandel durchsetzten, hoffen jetzt auch engagierte Kita-Eltern in Uetersen, dass ihre Argumente gehört werden und die Politik mehr dafür tut, Kinder gut zu betreuen. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, „nagelten“ sie ihre Argumente an die Türen der Erlöserkirche und des Rathauses.
Die Initialzündung für diese Elterngruppe kommt aus den Familien, deren Kinder in die Kita unterm Kirchturm gehen. Dort scheint die Personalnot besonders groß. Seit Herbst sei der Betreuungsanspruch aufgrund von Langzeitkrankheiten einiger Erzieherinnen „gerade so erfüllt“, berichtet Jill Heyer.
Oft müsse beide Eltern arbeiten, um die finanzielle Last gemeinsam zu tragen
„Jeder Urlaub, jeder weitere Krankheitsfall bedeutet, dass alle anderen Erzieherinnen hochgradig gefordert sind. Immer wieder muss die Leitung des Kindergartens selbst einspringen, um besonders in den Nachmittagsstunden die Gruppen zu ergänzen“, erzählt die junge Mutter.
Jill Heyer ist 2020 mit ihrem Mann Jens Petersen aus Rheinfelden 900 Kilometer gen Norden umgezogen. Es lockte eine „kinderfreundliche Stadt“. Doch leider fand die Familie zwei Jahre keinen Kindergartenplatz, aber zum Glück zwei Tagesmütter. Wie viele andere müssen auch bei Familie Heyer-Petersen beide Eltern arbeiten, um Zinsen sowie Tilgung für den Hauskauf abzutragen.
Im Sommer sollte sich die Lage dank des Kindergartenplatzes eigentlich entspannen. Doch das Gegenteil trat ein. Jill Heyer: „Mehrmalig wurden wir aufgefordert, die Kinder nur dann zu schicken, wenn es absolut notwendig wäre. Es gab Schließtage, die teilweise am selben Tag, oder einen Tag vorher angekündigt wurden. Es fühlt sich an wie ein Damoklesschwert, das sowohl bei den Eltern als auch bei den Erzieherinnen sehr viel Druck entstehen lässt.“
Dramatische personalsituation in der Kita unterm Kirchturm
Seit Oktober spitzt sich die Situation zu. Mit nur wenigen Werktagen Vorlauf wurde den Eltern die Betreuungszeit auf 14 Uhr reduziert. Das hatte verheerende Folgen und eine Rolle rückwärts für Mütter und Väter, Ihre Arbeitgeber und das gesamte Umfeld. So seien Kinder und Beruf nicht mehr unter einen Hut zu bringen.
Elternsprecherin Jill Heyer argumentiert auch mit den großen möglichen Verlusten der Volkswirtschaft. Sie sagt: „Faktisch verlieren die Kommunen mit jeder Minute fehlender Kinderbetreuung Steuereinnahmen, weil wir Eltern in dieser Zeit unserer Erwerbstätigkeit nicht nachkommen können, weil uns Mittel zum Ausgeben fehlen, weil unseren Arbeitgebern Arbeitskraft fehlt und damit Wertschöpfung.“
Unbürokratische Entscheidungen und mehr Lohn sollen helfen
Um Abhilfe zu schaffen, fordern die Eltern, unbürokratische Lösungen, Ausnahmeregelungen und eine offene Darstellung der Probleme. Zu den Lösungen sollten nach Ansicht der Eltern eine bessere finanzielle Entlohnung der Erzieherinnen, erleichterte Regelungen für Quereinsteiger bis hin zu Lese-Omas und weitere Konzepte für Notlagen gehören.
Von der Politik fordern die Eltern, dass mehr finanzielle Mittel für die Kinderbetreuung und die Ausbildung zur Verfügung gestellt werden. Von den Trägern der Einrichtungen erwarten sie, dass ihre Ideen stärker berücksichtigt und die Kinder zu kreativem Handeln angeleitet werden.
Uetersens Bürgermeister lädt Elterninitiative ins Rathaus ein
Uetersens Bürgermeister Dirk Woschei hat den Hilfeschrei der Eltern vernommen. Er lädt die Akteure zu einem Gespräch ins Uetersener Rathaus ein. „Inhaltlich unterstütze ich die Anliegen der Initiative, es geht ja in erster Linie um den Fachkräftemangel im Kita-Bereich“, sagt der Verwaltungschef.
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Die Uetersener Eltern hoffen, dass die Initiative in der Region und auch darüber hinaus wächst. Andere Eltern und Kindergärten sind eingeladen, der Gute-Kita-Initiative beizutreten und gemeinsam den Weg der nächsten Jahre zu erarbeiten. Alle, denen die zukünftige Generation ihres Landes wichtig ist, sollen sich bei einem Lichter-Spaziergang am Donnerstag, 16. November, verbünden. Gestartet wird um 17 Uhr vom Uetersener Marktplatz.